Ständig unter Strom

Mental Load: Die weibliche Last des Dran-Denkens

Immer mehr Frauen stoßen im Familienalltag an ihre Belastungsgrenze. Sie muten sich selbst (zu) viel zu und verlieren sich in ihrem Perfektionismus. Wie mentale Überlastung schadet und was aus dem Dilemma heraushilft.

Viele Mütter stehen im Alltag unter Dauerbelastung.© Foto: iStock/globalmoments
Viele Mütter stehen im Alltag unter Dauerbelastung.

Obwohl Vera nicht arbeiten geht, platzt ihr Tag aus allen Nähten: die Kinder, das Frühstück, Bringdienst zu Kita und Schule, einkaufen, putzen, waschen, kochen, gemeinsam Mittag essen, Kinder zum Schwimmen und Playdate fahren.

Nebenbei macht Vera alle Termine, versorgt den Hund, plant den Wochenendausflug, empfängt die Getränkelieferung, besucht Opa im Altenheim, besorgt ein Geschenk für den Kindergeburtstag, ruft die Lehrerin an, denkt an den Waffelteig, betreut Hausaufgaben, organisiert das Kita-Fest und serviert ihrem Mann abends noch etwas Warmes.

Wie ein achtarmiger Oktopus kümmert sich Vera um einfach alles und managt das Leben ihrer gesamten Familie. Und niemand erwartet etwas anderes. Mama macht das schon: Ist ja ihr Job, den sie selbst so gestaltet. Den Besuch im Fitnessclub hat die 45-Jährige schon gecancelt, weil er einfach nicht mehr in ihren Tag passt. Die Rückenschmerzen gehen schon von alleine wieder weg ...

Das Dilemma der Perfektionistinnen

Ich schaffe das schon! Natürlich will sich Vera auch nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Sie weiß schließlich am besten, was sie tut. Aber stellen Männer sich eigentlich bewusst doof an, damit sie nicht in die Pflicht genommen werden? Vielleicht liegt die Wahrheit viel mehr darin, dass Frauen sich für die besseren Performerinnen halten und den Männern Kompetenzen ihres hochkomplexen Aufgabenfeldes nicht zutrauen? Dann hilft nur noch, alles (perfekt) selber zu machen. Kein Wunder, dass die eigenen Grenzen da schnell erreicht sind.

Was genau verstehen Experten unter Mental Load?

Der Hamburger Ärztin und Coach Dr. Mirriam Prieß zufolge ist "Mental Load" "ein Zustand der Überlastung, der sich überwiegend mental, aber auch emotional zeigt." Gehirn und Gefühlsleben werden überbeansprucht bis zur Erschöpfung, Überforderung und inneren Ohnmacht, ähnlich einem Burnout. Der Begriff ist "geprägt durch die Überlastung der Frau in Bezug auf die Betreuung der familiären, häuslichen Situation, für alles alleine verantwortlich zu sein und alles alleine schaffen zu müssen." Es geht dabei um den unbedingten Willen, die Ansprüche an sich selbst und von der Gesellschaft bis zur Perfektion zu erfüllen.

Mental Load ist die Summe aller unsichtbaren Aufgaben, die erledigt werden müssen. Emotionale Arbeit, Management von Emotionen und Beziehungen sowie Denkarbeit, die alleine die Heldinnen des Alltags planen und vollbringen. Viele Frauen und Mütter definieren sich wie Männer im Job über ihre Leistung im Haushalt. Sie kümmern sich immer um andere, nie um sich selbst. Sie nehmen immer mehr auf sich und leiden zugleich unter dem Druck. Dass alles jederzeit möglich sein muss, repräsentiert den gesellschaftlichen Anspruch unserer Zeit.

Ein unsichtbarer Job ist nie getan – die Last des Dran-Denkens

Die Frau ist in Sachen Haushalt und Familienarbeit die selbsternannte Chefin, der Mann ihr Untergebener, dem sie kleine Jobs zuteilt. Sämtliche Aufgaben um Organisation und Stress herum ist ihre von der französischen Illustratorin Emma geprägte "Last des Dran-Denkens".

Hinzu kommt: Die Unsichtbarkeit dieses wie selbstverständlich erledigten Managements verstärkt das Phänomen des Nicht-gesehen-Werdens. Die Dauer-Belastung stiehlt der Mutter und Hausfrau nicht nur ihre Zeit, sie verstärkt auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und die emotionale Belastung. Wenn klar wird, dass sie an ihre Grenzen kommt, ist es höchste Zeit umzudenken, bevor ihre psychische und physische Gesundheit leidet.

Gegen die Überlastung den Dialog suchen

Wichtig für die Entlastung: Auch mal nein sagen und den Partner mehr in die To-dos des Alltags einzubeziehen. "Gesundheit, Zufriedenheit und Erfüllung entstehen dort, wo der Dialog stattfindet", erklärt Expertin Dr. Prieß. "Ein Gleichgewicht zwischen Nehmen und Geben herzustellen, wie ein Gleichgewicht zwischen Ich, Du und Wir: Unser Leben unterliegt nicht dem Zufall, sondern wir beide gestalten zu gleichen Anteilen unser Wir. Über das Wie unseres Wir gilt es, in den Dialog zu gehen – das heißt: Wir begegnen uns mit Interesse, Offenheit, Empathie, Augenhöhe, Respekt und Wertschätzung und suchen in dieser Atmosphäre des Miteinanders die Lösung."

Aufgaben abgeben und zu sich finden

Als Vera lernte, loszulassen, wurde ihr Leben leichter. Nur wer sich nicht mehr für alle Aufgaben zuständig fühlt, wird sie los. Als sie ihre Lage erkannte und bewusst von ihrer Verantwortung abgab, spürte sie den Druckabfall. Veras Kinder können inzwischen vieles auch wunderbar alleine und Oma springt häufiger ein. Veras Mann ist jetzt fest für die Entsorgung von Leergut und Müll zuständig und es ist total okay für ihn. Er ist sogar ein wenig stolz darauf, dass Vera ihn mehr machen lässt.

Sogar die Warnung ihres Arztes, mehr auf sich selbst zu achten, um einen drohenden Bandscheibenvorfall abzuwenden, hat Vera ernst genommen. Neuerdings geht sie zweimal die Woche zum gezielten Rückentraining, trifft sich regelmäßig mit ihren Freundinnen und verfolgt zur Entspannung ihre Lieblingsserie auf Netflix. Mehr Gelassenheit tut ihr gut. Und wenn die Wäsche mal nicht gleich gebügelt ist, dann ist das eben so.

Was hilft Betroffenen langfristig?

Coach Dr. Mirriam Prieß gibt drei erfolgversprechende Tipps:

  1. Jede gelingende beginnt immer bei mir selbst. Dafür muss ich mir bewusst sein, welche unbewussten Prägungen und Erfahrungen zu Ansprüchen und Überzeugungen führen, die mich blockieren und mich zum Opfer meiner Lebenssituation werden lassen. Augenhöhe in der Partnerschaft und Elternschaft beginnt mit der inneren Augenhöhe mir selbst gegenüber.
  2. Elternschaft kann nur gelingen, wenn die Partnerschaft erhalten bleibt. Nehmen Sie sich bewusst Zeit für das Wir.
  3. Führen Sie regelmäßige Dialogzeiten ein: Wie geht es mir? Wie geht es Dir? Was können wir gemeinsam tun? Was kann jeder für sich tun?
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