Patchworkfamilien

Patchwork-Coach: "Stiefeltern können auch nichts dafür, in diese Rolle geraten zu sein"

Ein aktuell erschienener Ratgeber für Patchworkfamilien will mit Klischees aufräumen und hebt sich vor allem in einer Sache von bisherigen ab. Wir haben mit den Autoren gesprochen.

Patchworkfamilie mit vier Kindern vor blau-wolkigem Himmel.© iStock/Daniel Bendjy
In einer Patchworkfamilie muss nicht alles rund laufen. 

Die meisten Patchworkratgeber haben eins gemeinsam: Sie haben das Ziel, eine perfekt-harmonische Familie zu erreichen. Das Patchwork- und Trennungsberater-Ehepaar Lisa Jahns und Torsten Geiling haben eine andere Auffassung und dazu ein Buch geschrieben (siehe Buchtipp unten). Das Familienleben ist komplex genug, da braucht man nicht auch noch den Druck, gesellschaftliche (und eigene überhöhte) Erwartungen erfüllen zu müssen.

Keine Frau will die böse Stiefmutter sein

Doch woher kommt dieser Anspruch der perfekten, harmonischen Familie, vor allem in Patchworksituationen? "Dieser Glaube ist gesellschaftlich tief verankert", sagt Lisa Jahns. 

Viele Frauen meinen, das kulturell tief eingebrannte Bild der bösen Stiefmutter unbedingt widerlegen zu müssen und verbiegen sich dabei oft selbst. 

Gerade wenn der Mann Kinder mit in die neue Beziehung bringt, haben viele Frauen große Ambitionen und wollen beweisen, dass sie liebevoll sind, erklärt Lisa Jahns. Sie geben dann alles, machen alles mit, planen tolle Ausflüge, kochen das Lieblingsessen der Kinder, um nur ja nicht in das Bild der bösen Stiefmutter wie bei Aschenputtel zu passen. "Doch dieses Pensum ist nicht durchzuhalten. Daher sollten sich Stiefmütter von Anfang an überlegen, was sie wirklich möchten und sich erlauben, das beim Partner offen anzusprechen", rät Lisa Jahns. Wenn man den Kinderlärm einfach nicht dauerhaft erträgt oder ertragen will, ist es wichtig, sich Freiräume zu schaffen. Torsten Geiling: "Stiefeltern können auch nichts dafür, in diese Rolle geraten zu sein."

Von Frauen – vor allem in Patchworkkonstellationen – werde nach wie vor erwartet, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse der Kinder zuliebe zurückstecken und die Stiefkinder wie ihre eigenen lieben. Dass es okay ist, eigene Kinder mehr zu lieben als die des Partners, müssen viele erst erkennen. 

"Es muss wenigstens in der zweiten Runde klappen" – diese Vorstellung geistert laut Lisa Jahns in den Köpfen der Menschen herum. Torsten Geiling ergänzt: "In unserer Gesellschaft darf man nicht scheitern – weder beruflich, noch in der Familie." Es ist ein Tabubruch, wenn man gesteht, dass man sich nicht rundum wohlfühlt mit der neuen Situation und nicht alles gut läuft. Das kennen wohl die meisten Stiefeltern. 

Zu hoher Anspruch: In einer Patchworkfamilie muss nicht alles perfekt sein!

"Für viele ist es eine enorme Erleichterung, wenn sie sagen dürfen, dass eben nicht alles perfekt läuft", berichtet Torsten Geiling aus seiner Beratungspraxis. Lisa Jahns geht noch weiter:

Man muss es nicht als Bonusfamilie empfinden.

Dieser Begriff lenkt den Fokus zwar auf die positiven Aspekte einer Patchworkfamilie, kann aber gleichzeitig Druck machen. Lisa Jahns: "Es ist völlig in Ordnung, wenn ihr keine 'heile' Familie werdet. Ihr dürft ehrlich zu euch selbst sein, wenn ihr es nicht als schön empfindet."

Viele Menschen, die in die Beratungspraxis der beiden Patchwork-Experten kommen, sind auch erleichtert, wenn sie sich eingestehen, dass man Harmonie nicht auf Biegen und Brechen erzwingen kann, sondern dass sie Konflikte auch einfach mal so stehen lassen dürfen.

Patchworkfamilie und ihre Herausforderungen hautnah

Wie war es bei den Autoren selbst? Bei ihrem Kennenlernen befanden sich beide in sehr unterschiedlichen Lebensphasen. Lisa Jahns war beruflich sehr ambitioniert, arbeitete viel. Beide lebten am Bodensee. Die zwei Kinder von Torsten Geiling lebten 400 Kilometer entfernt, er besuchte sie jedes zweite Wochenende. Er erwartete, dass Lisa in begleitete, doch sie wollte nach einer harten Arbeitswoche lieber auch mal ihre Ruhe haben. 

"Meine größte Herausforderung zu dem Zeitpunkt war zu verstehen, dass ich der einzige war, der auf Familie machen wollte. Meine Kinder freuten sich, wenn sie mich alleine hatten, und Lisa verbrachte gerne Zeit mit ihren Freundinnen oder alleine." "Wir haben in der Zeit auch mal gestritten, das war ein ziemlicher Prozess", sagt Lisa Jahns. Das Hauptgeheimnis sei tatsächlich – wie so oft – die Kommunikation. Nur wenn alle Beteiligten ehrlich und offen über ihre Bedürfnisse sprechen, entsteht eine gute Basis – letztendlich für ein Zusammensein, in dem es auch ungelöste Konflikte geben darf.

Konflikte zunächst auf Erwachsenenebene lösen

Für die Kommunikation ist es unerlässlich – und das gilt für alle Familien –, die Paarebene von der Elternebene zu trennen. Wenn das leibliche Elternteil einen Konflikt mit seinem Kind austrägt, darf sich der Stiefelternteil raushalten. Es sei denn, es betrifft Regeln im gemeinsamen Haushalt. Ein Beispiel: Streiten sich Elternteil und Kind über die Hausaufgaben, sollte sich der Stiefelternteil nicht einmischen. Geht es aber ums Tischabräumen oder andere vorher vereinbarte Regeln im gemeinsamen Haushalt, darf auch das Stiefelternteil darauf hinweisen, diese einzuhalten. Lisa Jahns: "Ich sage immer, man kann sich vorstellen, die Stiefkinder wie Freunde der eigenen Kinder zu behandeln. Betrifft es Regeln bei uns zu Hause, ist es etwas anderes als die generelle Erziehung." 

Besteht grundsätzlich eine Uneinigkeit zwischen den Partnern über Erziehungskonzepte, sollten sie diese zunächst auf der Paarebene klären. "Viele Eltern besprechen sich erst mal mit ihren eigenen Kindern, bevor sie mit ihrem Partner reden", sagt Lisa Jahns. Das sei ungünstig, weil der Partner sich zurückgesetzt fühlen könnte. 

Kommen die Kinder des einen Partners nur hin und wieder zu Besuch, dürfen auch mal andere Regeln gelten. Leben leibliche und Stiefkinder in einem Haushalt, muss man eine gemeinsame Grundlage finden. 

Zu den eigenen Gefühlen stehen

Wie es zu dem provokanten Buchtitel "Du wusstest doch, dass ich Kinder habe!" kam? "Ein- bis zweimal ist dieser Satz auch bei uns gefallen und ich habe ihn Lisa an den Kopf geworfen", gesteht Torsten Geiling. Lisa Jahns erklärt: "Er spiegelt genau das Dilemma wider, in dem sich wohl die meisten Stiefeltern das ein oder andere Mal wiederfinden. Und zeigt mit seinem Untertitel 'Wie du in deiner Patchworkfamilie selbstbestimmt Grenzen setzt und ihr ein Paar bleibt' auf, dass es dennoch Wege gibt, damit umzugehen."

Man darf fühlen, was man fühlt und dass es wichtig ist, zu den eigenen Gefühlen zu stehen, auch wenn sie vielleicht unpassend oder unangenehm erscheinen. Zunächst einmal muss man sich über die eigenen Grenzen, Wünsche und Bedürfnisse klar werden, dann kann und sollte man sie kommunizieren. Je früher, desto besser. "Nur weil ich mich wütend fühle, muss ich nicht wüten", betont Torsten Geiling. Gefühle und Handeln sind zwei Paar Schuhe. 

Lasst euch bei Konflikten also nicht entmutigen, sprecht darüber und gesteht euch zu, sie nicht lösen zu müssen. Das kann eine Menge Druck rausnehmen.

Unsere Patchwork-ExpertInnen
Torsten Geiling und Lisa Jahns.

Lisa Jahns und Torsten Geiling haben gemeinsam zwei Kinder. Torsten Geiling brachte zwei weitere Kinder mit in die Beziehung. Beide kennen die Herausforderungen des Patchwork-Alltags aus eigener Erfahrung.

Lisa Jahns ist Kommunikationswissenschaftlerin und Beraterin für Patchworkfamilien und Stiefeltern. Torsten Geiling ist systemischer Coach und Trennungsberater, der Menschen vor allem vor, während und nach ihrer Trennung begleitet.

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