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Tanja Roos und ihr Mann Dr. Christian Roos haben vier Kinder, ein gemeinsames Unternehmen, arbeiten als Beziehungscoaches in Berlin (bald von Mallorca aus!), sind Podcast-Hosts und haben nun ein neues Baby: Seit letztem Jahr können wir ihr Buch "Das Ich im Du" lesen. Ein Beziehungsratgeber, der die eigenen Glaubenssätze hinterfragt und die persönliche Weiterentwicklung bestärkt – als Schlüssel für eine erfüllte Beziehung. Klingt so schön! Aber wie das geht, auch wenn man gefühlt im völligen Elternwahnsinn – zwischen sich türmenden To-do-Listen, Aufrechnen, Streit, Sex-Flaute und wieder Streit – droht unterzugehen, verrät uns Tanja im persönlichen Gespräch.
Leben & erziehen: Provokante Einstiegsfrage: Sind kinderlose Paare glücklicher?
Letztlich hängt es nicht an den Kindern, sondern an der eigenen Interpretation über sie. Sehe ich sie als Erweiterung oder als Begrenzung?
Was ändert sich grundlegend in einer Beziehung, wenn man Kinder bekommt?
Erst mal hat man viel weniger Zeit füreinander (lacht). Und man stößt immer wieder an die eigenen Grenzen. Kinder triggern. Alles, was noch nicht geheilt ist, zeigen einem die eigenen Kinder auf. Die Pufferzone ist geringer, in der sich Paare begegnen. Man ist oft am Anschlag, durch den Schlafmangel zum Beispiel. Man begegnet sich nicht mehr nur als Partner, sondern nun auch als Eltern. Da steckt ja auch mal die ein oder andere Überraschung drin, wie der andere so als Vater bzw. Mutter ist. Auf jeden Fall eine krasse Challenge! Aber auch wunderschön, sie zusammen zu meistern. Und zusammen daran zu wachsen.

Und im besten Fall versteht man sich dann als Team ...
Auf jeden Fall. Wenn alles ausgesprochen und nichts mehr zwischen einem steht. Ansonsten (wenn man Vorwürfe hat) kommt man schnell in ein Aufrechnen. Wer hat wann mehr gemacht ... Gleichberechtigung ist eine Grundvorraussetzung, um sich auf Augenhöhe begegnen zu können. Da hilft es als Paar sehr, immer in der ehrlichen Kommunikation zu bleiben und Dinge offen anzusprechen.
Ist das Thema Aufrechnen eines, das euch im Alltag als Coaches häufig bei Paaren begegnet?
Ja! Viele vergleichen sich auch durch Social Media im Alltag mit andern Eltern und Paaren. Es ist sichtbarer, wie andere Familien leben. Das projiziert man auf die eigenen Verhältnisse. Da passiert dann schnell ein solches Aufrechnen. Was aber noch viel mehr dahintersteckt: ein unaufgearbeiteter Vorwurf an den Partner, dessen Ursprung weit in der Vergangenheit liegt. Ein Vertrauensbruch zum Beispiel. Diese "offenen Rechnungen" kochen dann immer wieder hoch ...
Du und dein Mann Christian seid selbst Coaches und habt auch schon früh in eurer Beziehung Coachings wahrgenommen. Würdest du generell empfehlen: Je früher die Beziehungstherapie desto besser?
Auf jeden Fall! Auch gern schon, bevor Kinder da sind, weil man dann einfach mehr Zeit hat und auch abstecken kann, wie man sich ein Leben mit Kindern eigentlich vorstellt. Klar, in der Realität wird es noch mal anders sein. Aber so wird man nicht ganz unvorbereitet in die Elternrolle hineinkatapultiert. Mega hilfreich auch, um sich selbst und den Partner besser kennenzulernen. Aber mir ist klar, dass es sich um ein Privileg handelt, das sich nicht jeder leisten kann. Und die Therapieplätze sind auch begrenzt, mit langen Wartezeiten. Aber generell ist es eine gute Investition – wenn man mal schaut, wofür man sonst so sein Geld ausgibt.
Thema "Streiten": Total normal und gesund – oder kann es einer Beziehung auch nachhaltig schaden?
Mein Mann und ich vertreten die Meinung, dass Streit mega wichtig ist. Denn das Verletzte kommt so erst in einem hoch und kann heilen. Nur weil man die negativen Emotionen immer unterdrückt und ignoriert, sind sie ja trotzdem da – aber unverarbeitet. Wir haben in der ersten Zeit total intensiv gestritten. Von außen hätte wohl so mancher gesagt: Das ist ungesund oder destruktiv. Aber: Wir hatten beide Wunden aus unserer Vergangenheit, die wir aneinander abgearbeitet haben. Für mich war es ganz lange auch noch Trauerarbeit, denn mein Vater hat sich ein halbes Jahr, bevor ich Chris kennengelernt habe, umgebracht. Und Chris hat diese Wut ausgehalten, die eigentlich nicht ihm gegolten hat, sondern meinem Vater.
Aber wenn man als Paar immer wieder in die gleichen Muster gerät, immer nur der andere schuld ist und man seine eigene Verantwortung nie sieht, dann ist das auf Dauer destruktiv.
Wie kann ich gesundes Streiten lernen, wenn wir uns in diesen ungesunden Mustern gefangen fühlen?
Vielleicht streitet man soviel, weil für sein System Distanz sicherer ist. Durch den Streit hält man die andere Person auf Abstand. Vielleicht war in der Vergangenheit Nähe gefährlich oder hat einen zu sehr verletzt …
Powervolle Frage: "Was bekommst du von mir nicht, sodass ich von dir nicht bekomme, was ich möchte?"
Sind in diesem Zusammenhang auch die eigenen Glaubenssätze wichtig?
Genau. Wenn ich grundsätzlich glaube, Männer sind egoistische Arschlöcher, dann werde ich damit immer wieder konfrontiert – auch wenn ich einen Partner habe oder Söhne. Da hilft dann auch kein Kommunikationsseminar. Da muss ich tiefer ran: Denn der wird mich nicht in Ruhe lassen, bis ich ihn bearbeite. Wo kommt der her?
Was sind die häufigsten Glaubenssätze, die euch in Coachings begegnen?
Das sind oft Glaubenssätze über einen selbst: Ich bin nicht liebenswert. Ich bin nicht gut genug. Ich bin was Besseres. Ich bin machtlos/ohnmächtig.
Aber auch Glaubenssätze über das andere Geschlecht, die meist aus den ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht resultieren. Da sollte man auch immer auf die Elternbeziehung schauen. Wer hat da gefühlt mehr verloren? Das wird sich entweder wiederholen oder man sucht das komplette Gegenteil in der eigenen Beziehung.
Da kann man sehr viel aufdecken und sich selbst, den Partner und die Partnerschaft besser verstehen, um daraus besser zu agieren.
Hast du einen Tipp für Menschen, die keinen Therapieplatz ergattern oder es auch einfach nicht wollen? Wie kommt man an diese eigene "Essenz"?
Man kann auf der "Was ist?"-Ebene schauen: Wie sieht mein Leben aus? Was finde ich gut? Was stört mich? Was ist ein wiederkehrendes Problem?
Ihr schreibt in eurem Buch "Das Ich im Du", dass ihr Partner euch als Nummer 1 sieht. Ist das provokant oder gesund?
Nach hunderten Coachinggesprächen und durch unsere eigene Erfahrung können wir sagen, dass es für viele sehr viel Ruhe und Sicherheit bringt sich gegenseitig als Nr. 1 zu deklarieren. Das kann ich jedoch nur machen, wenn ich mich und meine Bedürfnisse selbst wichtig nehme und erkenne, was der Gewinn dieser Periodisierung ist. Freiheit und Unabhängigkeit zu leben widerspricht erfüllter Partnerschaft häufig, weil es sich ja dann nur lohnt, wenn wir uns wieder trennen. Gleichzeitig muss ich frei und unabhängig sein um mich freiwillig von jemanden abhängig zu machen. Zu wissen, ich kann selbst glücklich sein und unabhängig leben ist der größte Liebesbeweis mit jemanden trotzdem zusammen sein zu wollen. Aber wir würden natürlich nie sagen, dass das der einzig richtige Weg ist. Doch für uns hat es gut funktioniert und für viele unserer Klienten auch.
Aber viele Mütter schreien doch jetzt auf: Nein, meine Kinder stehen an erste Stelle!
Genau, das ist nicht günstig, denn dann nehmen Kinder eine Rolle ein, die ihnen nicht zugedacht werden sollte. Dann übernehmen sie schnell die Verantwortung dafür, dass es (in diesem Fall) der Mutter gut geht – wie kleine emotionale Diener. Und somit können sie auch nicht frei ihr Leben gestalten, weil sie immer nach ihrer Mutter schauen müssen. Aus unserer Sicht funktioniert es besser, wenn die Partner sich gegenseitig priorisieren. Und das bedeutet überhaupt nicht, dass du deine Kinder vernachlässigen solltest, ganz im Gegenteil: Wenn die Elternbeziehung gesund ist, dann können die Kinder davon nur profitieren und sich sicher fühlen. Auch wenn Mama und Papa mal streiten, sind sie sich das Wichtigste.
Ich kenne Paare aus meinen Coachings, die waren nur noch Eltern und haben sich selbst und einander komplett vergessen. Dann sind die Kinder aus dem Haus und man steht voreinander – und hat sich plötzlich nichts mehr zu sagen.
Ist Streiten vor den Kindern okay?
Kinder sind so feinfühlig und kriegen eh alle Vibes mit. Wenn es also bewusst nicht vor den Kindern ausgetragen wird, dann merken sie trotzdem die Unstimmigkeiten. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, auch vor den Kindern zu streiten und sich eben auch vor ihnen zu versöhnen. Sie haben ja auch mal Streit mit ihren Freunden. Und lernen: Es ist normal, Konflikte zu haben. Gerade mit denen, die wir besonders lieb haben. Denn dort fühlen wir uns sicher. Eine gesunde Streitkultur ist besser, als alles unter den Teppich zu kehren!
Wie schafft ihr es, euch Zeit füreinander als Paar einzuräumen?
Wir nehmen uns die Zeit, auch wenn es mal stressig ist. Gerade dann! Auch wenn es nur fünf Minuten sind: eine bewusste lange Umarmung, ein längerer Kuss, Händchenhalten beim Spazieren, dem anderen in die Augen sehen, einen gemeinsamen Kaffee, nachdem wir die Kids in Schule und Kita gebracht haben, ohne Handys etc … Wir gehen raus oder haben zu Hause eine Date Night, statt nur müde aufs Sofas zu fallen. Wir priorisieren Sex auch ganz bewusst. Dafür muss man die Wäscheberge auch einfach mal ausblenden. Denn wir wissen, wie gut es der Beziehung tut. Wie gut es uns tut. Wir geben uns zwischendurch ein High five, um auch rein körperlich zu signalisieren: Wir sind ein Team! Wir buchen uns ab und an in ein Hotel ein. Dieser andere Rahmen tut immer sehr gut. Wir spielen dann manchmal, dass wir uns gerade erst kennenlernen. Das lässt die Romantik aufflammen. Und auch zwischen den ganzen Gesprächen rund um Familien-Orga, darf mal einen nettes Wort und ein Kuss fallen.
Gerade dass der Partner da ist nehmen wir manchmal als selbstverständlich hin. Sich bewusst zu machen, dass unsere Lebenszeit und dadurch auch unsere gemeinsame Zeit zu 100 Prozent begrenzt ist, hilft sich ganz und gar immer wieder aufeinander einzulassen, dankbar für einander zu sein, und Nähe und Tiefe immer wieder neu zu etablieren.
Es sind die Kleinigkeiten, die manchmal den größten Effekt haben.
Manche Menschen tendieren zu diesem Perfektionismus und dem Aufopfern. Wir sollten wieder mehr ins Genießen kommen als nur ins Abarbeiten! Denn: Die eigene Schale muss erst voll sein, damit wir auch anderen etwas abgeben können. Es hilft, sich Dinge zu suchen, die die eigene Schale schnell wieder auffüllen. Und wenn ich mir nur mal kurz die heiße Badewanne gönne, zwanzig Minuten lese, Yoga mache, jogge, mit einer guten Freundin telefoniere …
Flaute im Bett: Was rätst du Eltern, die in bestimmten Phasen wenig bis gar keinen Sex haben?
Völlig normal! Viele Zahlen, die man dazu liest, stimmen gar nicht (lacht). Geburten und Schwangerschaften, da fühlt sich einfach alles anders an. Da sollte man großzügig mit sich sein und langsam in seine Sexualität zurückfinden. Sich neu kennenlernen, ausprobieren. Lernen zu sagen und mit dem Partner zu teilen, was man gerade fühlt und denkt. Die Sexualität ist manchmal blockiert weil man mit sich selbst, seiner Beziehung oder seinem Leben unzufrieden ist. Auch hier gilt herauszufinden, was eigentlich dahinter steckt. Warum erlaube ich mir gerade keinen Genuss, warum spüre ich keine Lebensfreude? Aber auch warum ertrage ich vielleicht gerade nicht mehr körperliche Nähe … wenn ständig ein kleines Kind auf und an mir dran ist … will ich dann vielleicht einfach meine Ruhe, wenn es schläft. Offene, ehrliche Kommunikation ist immer wieder der Schlüssel in erfüllten Beziehungen.
Gerade Frauen leiden in diesem Zusammenhang oft unter äußerlichem Druck, vor allem nach Schwangerschaften.
Ja, leider. Deswegen sagt man auch oft, dass Frauen erst ab etwa 40 in ihre sexuelle Kraft kommen und ganze neue Lust verspüren, weil sie dann nicht mehr so streng mit sich sind. Aber vor allem auch, weil es ihr egaler wird, was das Umfeld denkt. Und weil der (gefühlte) Druck von außen nachlässt.
Wie löst ihr das Thema gleichberechtigte Care-Arbeit für euch?
Momentan ist es 50:50. Wir haben schon viele Modelle durch ... Das funktioniert für uns sehr gut, ist aber leider auch ein Privileg. Chris macht immer den Morgen mit den Kids. Und ich schlafe etwas länger. Ich hol dann meistens die Kleinen aus der Kita. Und am Abend haben wir uns dann alle zusammen als Familie. Meist kauft Chris ein und kocht, er hat die Küche inne. Ich übernehme dafür die Wäsche. Viele der anderen To Do’s teilen wir uns auf.