Euch ist eine blöde Bemerkung herausgerutscht? Dann entschuldigt euch bei eurem Kind – und versucht, ihm zu erklären, was ihr wirklich meintet. Nur so kann und wird es euch verstehen © Getty Images/ Jozef Polc
Euch ist eine blöde Bemerkung herausgerutscht? Dann entschuldigt euch bei eurem Kind – und versucht, ihm zu erklären, was ihr wirklich meintet. Nur so kann und wird es euch verstehen.

Der Small Talk mit der fremden Mutter auf dem Spielplatz hatte gutgetan. Einmal gemeinsam schimpfen auf die Kitaschließung aufgrund von Personalmangel und Krankheitsfällen und das nach den letzten Jahren mit sämtlichen Einschränkungen durch die Pandemie. Doch dann sagt sie diesen einen Satz, und sie sagt ihn laut: "Ich erschieß mich, wenn ich schon wieder mit der kleinen Nervensäge zu Hause hocken muss." Ich zucke zusammen. Unsere Kinder spielen im Sandkasten vor uns. Ich blicke zu ihnen und probiere, in ihren Gesichtern abzulesen, ob sie diese Bemerkung wahrgenommen haben. 

Bekommen Kinder alles mit, was man sagt?

Kleine Kinder verstehen keine bewusste Übertreibung, keinen Sarkasmus und keine Ironie. "Manche Kinder können das vereinzelt zwar schon ab vier Jahren, wenn die Bemerkung von den eigenen Eltern kommt", erklärt Kleinkind-Pädagogin Sarah Maria Röckel. "Man geht aber davon aus, dass Kinder erst im Grundschulalter über die Fähigkeit verfügen, diese Art von Sprache vollkommen zu verstehen und auch angemessen darauf zu reagieren."

Unsere Kinder im Sandkasten reagieren gar nicht. Meine vierjährige Tochter unterbricht zwar kurz das Spiel, buddelt dann aber weiter. Der etwa gleich alte Junge zeigt keinerlei Reaktion auf den Spruch seiner Mutter. Dabei wäre es mir fast lieber gewesen, einer von beiden hätte nachgefragt. Dann hätte ich erklären können, dass das nur ein Spaß war. Natürlich erschießt sich diese Mami nicht wirklich, wenn die Kita jetzt wieder geschlossen hat. Und natürlich liebt sie ihren Sohn über alles und verbringt gern Zeit mit ihm. 

Wie rede ich über meine eigenen Kinder?

Auch ich liebe meine Kinder. Ich finde sie großartig, einfach perfekt und bin unendlich stolz auf sie. Und dennoch kann ich seit der Sandkasten-Situation nicht aufhören, darüber nachzudenken, wie oft ich selbst schon unbedachte sarkastische Bemerkungen über diese fantastischen kleinen Wesen gemacht habe. "Wir wollen sie auf Hochbegabung testen lassen", sagte ich süffisant zu meiner Freundin, als meine Tochter in ihren Früchteriegel biss, während die Verpackung noch drum war. "Gaaanz weit für sein Alter ist der, wenn's ums Malen geht!", witzelte ich an einem anderen Tag ironisch über die undefinierbaren Krakeleien meines Sohnes. Meine Freundin und ich lachten. Meine Kinder nicht. Wie auch? Sie konnten nicht verstehen, dass ich das genaue Gegenteil von dem meinte, was ich sagte. Ein Witz auf ihre Kosten, den sie nicht begreifen können. Wie unfassbar gemein von mir.

Warum lästern wir über unseren Nachwuchs?

"Oft wollen wir in bestimmten Situationen witzig sein, um nicht dahin gucken zu müssen, wo es wirklich wehtut", erklärt mir Mama-Coach Imke Dohmen. Mein Witz über die Bilder meines Sohnes könne demnach damit zusammenhängen, dass ich in Wahrheit ein Problem damit habe, wenn gleich alte Kinder (oder sogar seine kleine Schwester) schönere Bilder malen als er. Die Erkenntnis tut weh, denn sie ist wahr. "Natürlich lassen wir nicht jeden hinter diese Fassade blicken", weiß Imke Dohmen. Deshalb kommt ein witziger Spruch leichter über die Lippen als die Wahrheit.

Kinder verstehen uns früher, als wir denken

Die Ironie in einem solchen Spruch können kleine Kinder noch nicht deuten. Die gesagten Worte hingegen schon. Und das viel früher, als die meisten von uns ahnen: "Kinder beginnen schon mit etwa acht Monaten, gesprochene Worte zu verstehen", erklärt Sarah Maria Röckel. "Bis sie ganze Sätze begreifen, dauert es dann natürlich noch ein bisschen." Doch die Expertin gibt zu bedenken: "Jedes Kind entwickelt sich in seiner eigenen Geschwindigkeit. Deshalb kann man nicht pauschal sagen, ab wann es die Inhalte unserer Unterhaltungen aufnimmt und versteht."

Deshalb sollten Eltern immer umsichtig mit den eigenen Worten sein, wenn Kinder in Hörweite sind. "Besonders Ablehnung ist ein Thema, was bei Kindern zu Ängsten führt", weiß die Kleinkind-Pädagogin. "Kinder wollen ihren Eltern und Bezugspersonen gefallen. Bekommt das Kind Ablehnung in Form von gesprochener Sprache mit, wie ein kurzes 'Mein Sohn nervt mich schon den ganzen Tag', wird es nicht verstehen, warum es abgelehnt wird." Aus diesem Grund sollen Eltern sich von Anfang an bewusst sein, dass manche Themen besser nicht im Beisein der Kinder besprochen werden, rät die Expertin: "So können wir vermeiden, dass Kinder Inhalte aufnehmen, ohne dass es uns bewusst ist."

Redet nicht über sie, sondern mit euren Kindern

Das gilt vor allem dann, wenn die Kinder selbst Gesprächsthema sind. "Wenn jemand ÜBER jemanden spricht, tut das immer weh", gibt Mama-Coach Imke Dohmen zu bedenken. "Und unsere Kinder schämen sich in Grund und Boden, wenn wir mit anderen über sie reden." Das gilt laut der Expertin nicht nur für Lästereien, sondern auch für Lob: "Beobachte dein Kind einmal dabei, wie es reagiert, wenn du es vor anderen lobst. Es lenkt ab, guckt woanders hin – es ist ihm peinlich."

Ob lobend oder lästernd, ernst gemeint oder ironisch: Am besten ist es laut der Expertin ganz einfach, in Hörweite von Kindern nicht ÜBER sie, sondern MIT ihnen zu sprechen. "Das ist ja auch das, was wir Erwachsene voneinander erwarten", erinnert Imke Dohmen. Aber wenn uns im täglichen Mama-Alltag doch einmal eine blöde Bemerkung über unseren Nachwuchs herausrutscht? Ganz einfach: "Sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber", empfiehlt Sarah Maria Röckel. Besonders wichtig ist es laut der Expertin, die aufkommenden Gedanken und Assoziationen des Kindes dabei ernst zu nehmen – auch wenn diese auf den ersten Blick für uns Erwachsene abwegig erscheinen: "Selbst wenn Kinder das Gesagte akustisch verstehen und inhaltlich begreifen, können sie oftmals die Gefühle, Sorgen oder Ängste, die dabei aufkommen, nicht genau zuordnen."

Drei wichtige Erkenntnisse für die Kommunikation

Ich nehme mir viel vor nach diesen beiden Gesprächen. Erstens: Ich reiße keine doofen Sprüche mehr über meine eigenen Kinder. Zweitens: Wenn ich sie loben möchte, dann spreche ich sie direkt an, nicht über ihren Kopf hinweg. Und drittens: Wenn mich das nächste Mal eine fremde Mutter auf dem Spielplatz mit einem Spruch schockiert, dann verurteile ich sie nicht vorschnell für das, was sie gesagt hat. Stattdessen gebe ich ehrlich zu, dass mir auch manchmal alles zu viel wird und dass sie nicht allein ist. Denn nicht nur die Kleinen, auch wir Großen müssen hin und wieder einfach die richtigen Worte hören, damit es uns gut geht. 

War früher alles besser?

Unsere eigenen Eltern haben doch nicht schlecht über uns Kinder gesprochen. Oder doch? "Über Kinder wurde schon immer in deren Beisein gesprochen – damals wie heute", weiß Mama-Coach Imke Dohmen. Der große Generationen-Unterschied: "Früher trug man Probleme nicht nach außen, schon gar nicht zu Fremden." Die Folge: "Die Wortwahl unserer eigenen Eltern war gewählter. Heute rutschen Eltern tatsächlich schneller unüberlegte Formulierungen heraus."

Autorin: Silke Schröckert

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