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"Weil es mit Kindern immer chaotisch ist", antwortet ein Mitarbeiter des SWR3 auf die Frage, warum der Mütterpodcast des Senders "Chaos2" heißt. Chaos gilt als Zustand vollständiger Unordnung oder Verwirrung. Aber es trifft den Nagel meist auf den Kopf, wenn es um Konflikte in der Familie geht: Schnell gewinnen Emotionen die Oberhand, und die Kontrahenten treffen sich auf der persönlichen Ebene getreu dem Motto "Ich bin das Ideal und du der Skandal", so formuliert es der Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun. Unordnung und Verwirrung auf allen Seiten sind die Folgen. Die Kinder treibt es zum Weinen und die Eltern in die Verzweiflung. Dies führt wiederum zu seltsamen Blüten: Einige kapitulieren, andere greifen zu Ratgebern, um ihre Kinder mit Tricks zu manipulieren. Viele bestechen ihren Nachwuchs oder drohen schlicht. Und schließlich gibt es (leider) noch immer Gewalt in einigen Familien.
Warum hört mein Kind nicht auf mich?
Provokant gefragt: "Aber warum tun Kinder auch nicht, was man ihnen sagt?" Die Ursachen sind in der Regel einfach zu ergründen: Sie sind gerade mit etwas anderem beschäftigt. Sie haben keine Lust darauf. Sie fühlen sich schlecht oder wollen sich nicht herumkommandieren lassen. Das alles wären auch für uns Erwachsene gute Gründe, eine Sache nicht anzugehen.
"Nicht dass es Eltern egal wäre, wie sich ihre Kinder fühlen. Es ist jedoch nicht die oberste Priorität Hilfe suchender Eltern. Seien wir ehrlich. Wenn die Kinder das tun würden, was wir ihnen sagen, würden die Dinge viel reibungsloser laufen, und wir würden uns alle großartig fühlen", erklärt Joanna Faber. Die US-amerikanische Erziehungsexpertin leitet seit vielen Jahren Elternkurse. Sie ist die Tochter von Adele Faber, die Weltbestseller wie "So sag ich's meinem Kind" oder "Hilfe, meine Kinder streiten" herausgebracht hat. Joanna hat soeben gemeinsam mit Julie King einen eigenen Ratgeber mit dem deutschen Titel "Wie Sie sprechen sollten, damit Ihr Kind Sie versteht" veröffentlicht, der in den USA wahre Begeisterungsstürme heraufbeschworen hat.
Sie bietet den Eltern keine Erziehungstricks an, sondern eine "ultimative Werkzeugkiste", mit der Konflikte aufgelöst und Kinder für Kooperation begeistert werden können. Und das Schöne daran ist, alles lässt sich im Alltag umsetzen.
Am Anfang steht eine simple Erkenntnis
Der wichtigste Grundsatz lautet: Wenn sich Kinder nicht gut fühlen, können sie sich nicht richtig verhalten. Da helfen keine Tricks oder Vorträge. Schließlich wird kein Kind, das nicht in die Kita will, auf gute Argumente eingehen wollen. Es gilt also, die schlechten Gefühle eines Kindes – und damit es selbst anzunehmen. “Wir können negative Gefühle schlecht akzeptieren, weil sie so ... nun ... so negativ sind. Wir wollen ihnen keine Macht über uns geben. Wir wollen sie korrigieren, verkleinern oder am liebsten alle auf einmal verschwinden lassen", analysiert Joanna. Bei unseren Kindern erscheint uns die Korrektur-Strategie ganz leicht anwendbar: "Du hasst Boris? Aber er ist dein bester Freund", "Du willst ihm eins auf die Nase geben? Das tut man nicht" oder "Du willst, dass ich das Baby, dein Brüderchen, zurückbringe? Das sagt man nicht! Ich will das nie wieder von dir hören." Wenn solche Aussagen uns selbst betreffen, sind wir auch leicht verletzt. Wie wäre es mit: "Ach, du hast Halsschmerzen? Ja, so schmerzhaft wird es schon nicht sein" oder "Was, das Baby stresst dich? Na, so schlimm ist es auch wieder nicht."
Wenn negative Gefühle anerkannt werden, fühlen sich die Menschen erleichtert: "Sie versteht mich. Ich fühle mich besser. Vielleicht ist es nicht so schlimm. Vielleicht kann ich damit umgehen." Gefühle wahrzunehmen, anzuerkennen und zu respektieren bedeutet auch, die Person anzuerkennen. Wer aber als "Skandal" abgestempelt ist und die Ablehnung erlebt, ist sicher nicht bereit zu kooperieren. Der Schweizer Kinderarzt und Erziehungsspezialist Remo Largo berichtet in seinem Buch "Kinderjahre" über die Behandlung von Tausenden Kindern, die den Erwartungen der Erwachsenen nicht entsprachen. "Für uns war das eigentliche Problem der Kinder, dass sie nicht 'sie selbst' sein durften", schreibt Largo. "Wenn es uns jedoch gelang, die Erwachsenen auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten des Kindes einzustellen, verbesserte sich sein körperliches und psychisches Wohlbefinden, und seine Lernbereitschaft nahm zu." Damit ist klar, wie wichtig Geborgenheit und Zuwendung sind, weil ein Kind immer dann Zuwendung erlebt, "wenn wir ihm das Gefühl von Angenommensein vermitteln".
Eltern müssen zuallererst auf sich selbst achten
Sich selbst verleugnende Supermamas und -papas sind ergo nicht gefragt. Erst wenn die Eltern "ihr eigenes Bedürfnis nach Geborgenheit und Zuwendung ausreichend befriedigen können, können sie auch ihrem Kind die nötige Zuneigung geben", erklärt Largo. Fast ebenso wichtig ist, dass sie ihre eigene Integrität wahren und authentisch bleiben, wozu der dänische Familientherapeut Jesper Juul immer wieder ermutigte. Nur wer auf sich selbst achte und sich respektiere, könne auch den anderen achten und respektieren. Das mag mühsam erscheinen, ist aber die Basis für ein glückliches Familienleben, in dem es nicht darum geht, Kinder in ihrer Freiheit einzuschränken oder durch Manipulation, Drohung oder gar Gewalt in ihrer Würde zu verletzen. Das Schlüsselwort ist "Gleichwürdigkeit" zwischen Kindern und Eltern, wie sie Juul immer wieder gefordert hat.
Gefühle allein reichen nicht aus
Wenn das alles klappt, haben wir aber lange noch keine glücklichen Kinder und Eltern. Schließlich hat sich deshalb noch keines der Kinder angezogen, die Zähne geputzt, sein Essen gegessen oder sich wieder mit seinen Geschwistern vertragen. Dafür halten die US-Expertinnen Joanna und Julie ihren Werkzeugkoffer bereit. Dieser ist reich gefüllt. Schließlich müssen die Aktionen auch zur Situation und den Persönlichkeiten passen. Schauen wir uns aber zunächst mal an, wie viele Eltern mit ihren Kindern reden. Wir hören harsche Befehle: "Ist das deine Tasche? Dann heb sie auf! Jetzt!" Andere bevorzugen Vorwürfe: "Wenn du erst den Deckel auf den Apfelsaft geschraubt hättest, statt dir den letzten Keks zu schnappen, hättest du nichts verschüttet." Beliebt sind auch Bewertungen: "Deine Freunde teilen immer das Spielzeug mit dir. Stell dich nicht so an!" Warnungen wie "Du bekommst Bauchschmerzen, wenn du all die Süßigkeiten isst" oder rhetorische "Ist es das, was du gerade tun sollst?" sind ebenso oft zu hören wie Sarkasmus. "Du hast deinen Rucksack bei deinem Freund gelassen? Sehr klug!" Und dann gibt es noch die langen Vorträge und Drohungen ("Wenn du jetzt nicht ins Auto steigst, fahre ich ohne dich"), die wir selbst als Kinder schon gehasst haben. Seien wir ehrlich, viele von uns haben diese "üblichen" Erziehungsmittel entweder genauso oder zumindest ähnlich schon mal angewandt. Mögen sie im ersten Moment vielleicht sogar genutzt haben, Ausdruck einer mitfühlenden und respektvollen Haltung sind sie nicht. Um Probleme mit Kindern nachhaltig zu lösen, müssen wir sie in die Problemlösung einbeziehen.
Kommunikation mit Kindern: Ein paar Vorschläge für lohnende Alternativen
1. Spielt zusammen
Kinder lernen durch Spielen und spielen entspannt – vor allem, wenn noch eine Portion Humor dabei ist. Das funktioniert zwar nicht in jeder Situation, schafft aber nachhaltige und seelenwärmende Erfahrungen, an die sie sich noch lange gerne erinnern. Bringt doch mal Objekte des Haushalts zum Reden: Einsame Schuhe könnten jammern "Uns ist kalt und wir sind leer. Wo kommen schöne warme Füße her, die sich in uns setzen können". Die Tasse könnte rufen: "Lass mich hier nicht allein! Ich muss zu meinen Kumpels ins Waschbecken." Erfindet Spiele: "Wie viele Sekunden, meinst du, dauert es, bis all deine schmutzigen Kleider im Wäschekorb sind?"
2. Bietet Wahlmöglichkeiten
Versucht einen Befehl zu ersetzen – auch wenn ihr meint, es gäbe keine Alternative. Schließlich muss das Kind in die Wanne, wenn es nicht zum Himmel stinken soll. Dennoch, jeder Mensch möchte ja am liebsten selbst entscheiden: In diesem Fall könntet ihr etwa anbieten: "Möchtest du dein Bad mit Schaum oder mit Booten?", "Möchtest du hineinhüpfen oder lieber hineinkrabbeln?". Ihnen mag das albern erscheinen, für einen Fünfjährigen ist das eine lustige Geschichte, bei der er mitentscheiden kann.
3. Verantwortung delegieren
Jeder Mensch sehnt sich nach Autonomie. Als Eltern könnt ihr die Arbeit definieren, die erledigt werden muss. Überlasst den Kindern die Ausgestaltung. Bevor ihr mit einem Erstklässler jeden Morgen darum streitet, eine Jacke anzuziehen oder nicht – hängt doch einfach ein Thermometer in der Garderobe auf, das zeigt, ab wann es besser ist, kurze Hosen zu tragen oder die Jacke anzuziehen.
4. Selbstkontrolle unterstützen
Wer sein Kind informiert, statt ihm Befehle zu erteilen, gibt ihm die Chance, selbst herauszufinden, was es tun soll. Das unterstützt seine Selbstkontrolle. Statt also zu sagen, “Du hast den Klebestift wieder offen gelassen. Klasse!“, informiert sie so: “Klebestifte trocknen sehr schnell aus, wenn sie nicht verschlossen sind.“
5. Sagt es mit einem Wort
Kinder haben alles schon mal gehört, viele Male. Statt also Vorträge darüber zu halten, dass die Essensreste schon wieder auf dem Tisch liegen geblieben sind, versucht es mit nur einem einprägsamen Wort. Was passiert bei einem Vierjährigen, wenn er das Wort "Apfelbutzen" hört? Er denkt nach. "Apfelbutzen? Oh, den habe ich auf dem Tisch liegen lassen und sollte ihn vielleicht lieber in den Biomüll werfen." Dieses Handeln kommt ihm vielleicht nicht gleich in den Sinn, aber die Chance ist größer.
6. Beschreibt einfach, was ihr seht!
Das Wort allein reicht nicht immer, manchmal könnt ihr ja beschreiben, was ihr seht. Statt "Komm zurück, du bist halbnackt", sagt ihr zu ihm "Ich sehe einen Jungen, der einen halben Pyjama anhat. Er trägt das Oberteil und bald ... die passende Hose".
7. Schildert, wie ihr euch gerade fühlt
Wir als Eltern sind nicht endlos geduldig. Deshalb ist es wichtig, den Kindern gelegentlich zu sagen, wie wir uns fühlen. Die wichtige Regel dabei: Seid wirklich ehrlich! Die Kinder durchschauen euch sowieso. Indem ihr beschreibt, wie ihr euch fühlt, gebt ihr euren Kindern nicht nur wichtige Informationen, sondern schafft einen Wortschatz der Gefühle, den diese verwenden können, wenn sie selbst frustriert, verärgert oder verängstigt sind.
8. Schreibt zur Not eine Notiz
Wenn ihr feststellt, dass ihr eure Wünsche gebetsmühlenhaft wiederholen müsst, ist es Zeit – für eine Notiz. Auch wenn die Kleinen noch nicht lesen können, sie werden sofort mitbekommen, dass ihr etwas als Folge des Konflikts aufschreibt. Und Geschriebenes hat eine Kraft, die gesprochene Wörter nicht haben. Euer Kind wird sicherlich fragen, was da auf dem Zettel steht – und ist beeindruckt.
9. Niemals Beleidigungen
Keines dieser Tools funktioniert immer. Eltern bleiben noch immer dafür verantwortlich, dass der Laden läuft. Wenn das Kind trotz eures Einsatzes von spielerischen Elementen und des Eingehens auf ihr Verhalten den Fahrradhelm einfach nicht tragen will, könnt ihr ja so was sagen: "Ich stelle das Fahrrad vorerst weg. Du möchtest deinen Kopf nicht von einem Helm einquetschen lassen, und ich kann dich nicht ohne Helm fahren lassen." Wichtig ist, das Kind dabei nicht zu beleidigen, zu beschimpfen oder zu beschuldigen. Ihr beschreibt, was ihr empfindet und was euch möglich ist.
Natürlich gibt es gute Gründe, warum diese Werkzeuge auch mal nicht funktionieren
Entweder sind wir nicht in der Stimmung, oder unsere Kinder sind gerade total übermüdet – egal, wir müssen die Würde unserer Kinder schützen und ihren Willen zu Selbstbestimmung angemessen berücksichtigen. Joanna und Julie halten dazu in ihrem Buch eine Fülle von Vorschlägen für schwierige Erziehungssituationen bereit. Wohltuend dabei ist, dass sie für Kinder wie für Eltern genauso viel Einfühlungsvermögen zeigen.
Autor: Gernot Körner