
Einmal durch den Instagram-Feed gescrollt und zack, da ist es, das Video einer Bekannten, deren Baby schon mit sieben Monaten durch die ganze Wohnung krabbelt – während das eigene, gleichaltrige noch immer auf der Spieldecke liegt und keinen Zentimeter vorwärts kommt. Als nächstes das Reel irgendeiner Promi-Mom, deren Kleinkind bereits kristallklare Sätze in die Kamera spricht. Und bei TikTok brüstet sich eine Influencerin damit, wie sie ihrem Kind noch vorm Kindergarten das Lesen beigebracht hat.
Sie sind gefühlt einfach überall, diese kleinen Wunderkinder. Ständig mit den Glanzleistungen des Nachwuchses anderer Leute konfrontiert zu sein, kann Mütter ganz schön unter Druck setzen. Manche Mamas fühlen sich regelrecht deprimiert und frustriert, wenn das eigene Kind nicht so ein Durchstarter ist. Dieses Phänomen hat nun sogar einen Namen: Meilenstein-FOMO.
Meilenstein-FOMO ist ein neues Phänomen
FOMO – Fear of missing out (zu deutsch: Angst, etwas zu verpassen) – ist bereits seit längerem ein geläufiger Begriff. Dahinter verbirgt sich die Furcht, dass das eigene Leben langweiliger und ereignisloser ist als das anderer – oft genährt durch die Flut an Aufnahmen von spektakulären Erlebnissen und Traumreisen bei Social Media. Diese Angst erreicht nun auch Eltern und nimmt dort ganz neue Formen an.
"Der Druck, bestimmte Meilensteine bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder auf eine bestimmte Art und Weise zu erreichen, ist nicht neu, aber im Zeitalter der sozialen Medien ist er viel ausgeprägter", sagt die Psychiaterin Dr. Anisha Patel-Dunn gegenüber "Huffpost". "Heute können Eltern ihre Familie mit viel mehr Menschen vergleichen als je zuvor."
Vergleichen erreicht Next Level
Durch Social Media können wir die Entwicklung unserer Kinder quasi rund um die Uhr mit anderen abgleichen – und das kann zu Stress führen. "Wenn die eigenen Erfahrungen nicht mit dem übereinstimmen, was man online bei Freunden, Familie oder Prominenten sieht, verspüren viele Stress oder die Angst, dass sie ins Hintertreffen geraten oder nicht auf dem 'richtigen' Weg sind", so die Psychiaterin.
"Heutzutage werden wir mit so vielen Informationen bombardiert", sagt Ann-Louise Lockhart, Kinderpsychologin und Elterncoach. "Wenn Kinder bestimmte Fähigkeiten oder Fertigkeiten nicht entwickeln, sind Eltern von Schuldgefühlen geplagt, weil sie denken, dass sie etwas falsch machen oder dass mit ihrem Kind etwas nicht stimmt."
Eltern zweifeln an sich selbst
Dabei gibt es in den allermeisten Fällen überhaupt keinen Grund zur Sorge, denn Kinder erreichen Meilensteine wie laufen, sprechen oder trocken werden in ihrem eigenen, individuellen Tempo. Das Spektrum des "Normalen" ist dabei ziemlich breit – manche Kinder sind eben früher dran, andere später. Das hat nichts mit der kindlichen Intelligenz oder den Fähigkeiten der Eltern zu tun. Hat der Kinderarzt eine Entwicklungsverzögerung ausgeschlossen, können Eltern in der Regel unbesorgt sein. In bestimmten Fällen spricht natürlich nichts dagegen, aufs eigene Bauchgefühl zu hören und sich eine zweite Meinung einzuholen.
Elterncoach Kendra Williams hat festgestellt, dass vor allem Mütter, die beruflich erfolgreich sind, das langsame Erreichen eines Meilensteins wie "das Durchfallen bei einer Prüfung" empfinden. "Oft höre ich, dass sie ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet haben und immer gut in dem waren, wofür sie sich eingesetzt haben. Wenn ihr Kind also einen Meilenstein nicht erreicht, glauben sie, das muss ein Mangel ihrerseits sein", sagt sie gegenüber HuffPost.
Ihr Tipp in solchen Fällen: Die Nutzung sozialer Medien reduzieren. "Wenn man sich nach dem Scrollen durch den Feed gestresst, ängstlich oder niedergeschlagen fühlen, ist das ein Zeichen dafür, dass es von Vorteil sein könnte, weniger Zeit mit diesen Apps zu verbringen."
Soziale Medien zeigen ein verzerrtes Bild
Eine weitere Möglichkeit: "Sie können auch allen Konten entfolgen, die diese Emotionen hervorrufen. Menschen veröffentlichen online die Highlights ihres Lebens. Es ist keine realistische Darstellung ihrer tatsächlichen Alltagserfahrungen", sagt sie.
Ein Kind, das motorisch ein richtiger Frühzünder ist, hängt dafür möglicherweise in der sprachlichen Entwicklung zurück – auf dem Online-Profil ist das aber nicht sichtbar.
Die Expertin rät Eltern, die unter starker Meilenstein-FOMO leiden, sich Freunden und Familie anzuvertrauen. Auch eine Therapie kann eine gute Möglichkeit sein, seine Gefühle auszuarbeiten.