
"Wer ein Kind bekommen will, sollte erstmal psychologisch abgeklärt werden."
Dieser Satz sprang mich letztens an, als ich durch meinen Instagram-Feed scrollte. Und irgendwie bin ich daran hängengeblieben.
Diese These vertritt der Autor Michael Nast ("Generation Beziehungsunfähig"). Seine Begründung: "Eltern bräuchten generell ein psychologisches Grundwissen. Das ist doch das Fundament jeder Kindererziehung. Denn es ist einfacher, ein Kind auf seelisch gesunde Art zu erziehen, als einen geschädigten Erwachsenen zu therapieren."
Klingt erstmal logisch. Wir legen schließlich für alles Mögliche Prüfungen ab – angefangen beim Fahrradführerschein in der Grundschule. Ergibt ja auch Sinn: Wer die Verkehrsregeln nicht beherrscht, ist quasi eine wandelnde Gefahrenquelle für sich selbst und andere. Gilt das weitergedacht auch fürs Elternsein – hier halt auf psychologischer Ebene?
Viel Meinung, wenig Ahnung?
Im Geburtsvorbereitungskurs werden wir darauf vorbereitet, wie wir das Kind auf die Welt bringen. Die Hebamme erklärt uns das richtige Baby-Handling. Aber danach? Sind Eltern ziemlich auf sich allein gestellt – und fangen an zu googeln. Heutzutage haben wir nicht nur Zugang zu zig Ratgebern, Blogs, Podcasts rund ums Thema Erziehung, man entkommt ihnen sogar quasi gar nicht. Auch aus dem Umfeld werden wir mit Meinungen dazu bombardiert, was wir als Eltern tun und lassen sollten, welche Reaktion gut/falsch/katastrophal ist. Aber wie verlässlich ist das, was wir da hören und lesen? Wenn wir zu einem Thema auf widersprüchliche Aussagen stoßen, welcher vertrauen wir dann? Sollten wir auf unser Bauchgefühl hören, oder sind wir dann sowieso verloren?
Dank Internet haben Eltern heutzutage Zugang zu viel mehr Informationen als alle Generationen zuvor. Doch durch diese Informationshäppchen, dieses Inselwissen fühlen sich viele Eltern verunsichert. Brauchen wir also fundiertes Knowhow, einen gleichen Wissensstand für alle Eltern, an dem wir uns orientieren können?
Was ein Elternführerschein bringen könnte
Michael Nast findet: "Alles beginnt mit den Eltern. Wenn Eltern ihre inneren Konflikte nicht aufarbeiten, geben sie sie an ihre Kinder weiter. Vielen Eltern ist ja auch gar nicht klar, welche Verletzungen sie ihren Kindern mit bestimmten Verhaltensweisen zufügen. Aber das sollte man schon sehen können, wenn man die Verantwortung für einen anderen Menschen übernimmt."
Sein Vorschlag: "Der Staat könnte zum Beispiel psychologische Kurse über Kindererziehung anbieten. Der erfolgreiche Abschluss könnte mit einer Verdopplung des Kindergeldes verbunden sein. Kinder bilden irgendwann unsere Gesellschaft. Wer sie vernachlässigt, vernachlässigt auch unsere gesellschaftliche Zukunft."
Steile These – mit der er in die gleiche Richtung denkt wie die Hamburger Diplom-Psychologin Gudrun Halbrock († 96).
Sie sagte gegenüber der "Zeit": "Ich fordere einen verpflichtenden Elternführerschein! Wir müssen Eltern in Kursen besser aufs Elternsein vorbereiten. Aus Büchern lernt man nicht genug." 90 Prozent ihrer Patienten bräuchten keine Psychotherapie, wenn sie eine bessere Kindheit gehabt hätten. "Wenn wir wollen, dass unsere Kinder mit ihren Gefühlen umgehen können, müssen wir Erwachsenen unsere eigenen kennen", so ihre Auffassung. Ihr Vorschlag: "Ein achtwöchiger Kurs mit wöchentlich zwei Stunden, das ist das Minimum. Ein solcher Kurs könne auch die Voraussetzungen für staatliche Zuschüsse wie etwa das Elterngeld sein."
Ein Thema, das polarisiert. Das Reel von Michael Nast wurde zwischenzeitlich schon beinahe 1.000 Mal kommentiert.
Zu kurz gedacht?
Er bekommt viel Zuspruch – aber auch etliche Gegenstimmen. "Ich bin der Meinung, alle Menschen sollten psychologisches Grundwissen vermittelt bekommen. Denn alle Menschen dieser Gesellschaft haben zwangsläufig Kontakt zu Kindern. Nur Eltern dafür in die Verantwortung zu nehmen, finde ich nicht richtig. Die Verantwortung für das Wohl der gesamten Gesellschaft kann und darf nicht bei Eltern gesucht werden", heißt es in einem Kommentar.
Ein anderer User findet: "Eltern wachsen mit und an ihren Kindern. Manche bewusst und erfolgreich als Familie, andere unbewusst und dann manchmal sehr schmerzhaft. Wir sind hier, um Erfahrungen zu machen, und die lassen sich durch einen psychologischen Grundkurs nicht mal eben schnell vorwegnehmen. Elternsein bedeutet die Offenheit für Wachstum und Entwicklung, dann überstehen Kinder auch die Verletzungen ihrer Eltern und wachsen selbst dran. Bewusstsein lässt sich leider nicht staatlich verordnen. Das wäre so schön einfach."
Einen ähnlichen Ansatz vertritt auch die Psychologin und Systemische Beraterin Hannah Blankenberg. Sie sagt: "Elternschaft bedeutet nicht, dass wir von Anfang an alle Antworten haben. Es geht darum, dass wir sie herausfinden, während unsere Kinder wachsen. Denn neben unseren Kindern wachsen vor allem auch wir selbst."
Und auf diesem Weg sollten Eltern Hilfe und Unterstützung erfahren, genau in dem Maß, in dem sie sie brauchen – ob nun mit Elternführerschein oder ohne.