
Das Weinen unseres Babys ist belastend, das Lachen ansteckend. Doch warum ist das so? Eine mögliche Antwort könnten die sogenannten Spiegelneuronen liefern. Wir haben darüber mit einem Neurowissenschaftler gesprochen.
Spiegelneuronen sorgen für eine gute Bindung
Es bedarf einer Menge Feingefühl und ganz viel Zeit, um eine sichere und gute Bindung vom Kind zu den Eltern aufzubauen. Dr. Keysers: "Synchronie, also das aufeinander Eingehen, in den Interaktionen zwischen Eltern und Kindern spielt in den frühen Lebensjahren eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung einer sicheren Bindung."
Dabei helfen uns sogenannte Spiegelneuronen. Diese lassen einen Menschen Bewegungen und Zustände einer anderen Person erkennen. Daher sind sie "ideal geeignet, um es Eltern zu ermöglichen, sich auf das Verhalten ihrer Kinder einzustimmen und mit kongruentem Verhalten zu reagieren." Man weiß auch, dass Kinder mit bestimmten Gesichtsausdrücken auf die ihrer Eltern reagieren. Dieses Phänomen ist wichtig, um eine Bindung entstehen zu lassen.
Die Fähigkeit, einander zu spiegeln, schafft eine besondere Bindung zwischen Eltern und Kind, die für eine gesunde Entwicklung entscheidend ist.
So der Neurowissenschaftler.
Warum stört uns das Weinen vom Baby, warum ist Lachen ansteckend?
Aus Versuchen mit Nagetieren wissen er und seine Kollegen, das die Regionen im Gehirn, die Spiegelneuronen enthalten, dafür zuständig sind, auch die Not eines anderen Lebewesens zu erkennen und mitzufühlen. Möglicherweise sind also Spiegelneuronen dafür verantwortlich, dass das Weinen eines Kindes für uns so belastend und das Lachen eines Kindes so ansteckend ist.
Deshalb sollten Eltern authentisch sein
Der Wissenschaftler Dr. Keysers weist ebenfalls darauf hin, "dass empathischere Eltern dazu neigen, die Empathie ihrer Kinder zu erhöhen, und dass Eltern, die weniger auf ihre Kinder eingehen, die psychische Gesundheit ihrer Kinder beeinträchtigen".
Doch wie sieht es mit der Authentizität aus? Wenn es uns als Eltern eigentlich gerade gar nicht gut geht, wir aber gute Stimmung machen wollen, wie kommt das beim Kind an? Dr. Keysers erwartet hier ein gemischtes Bild, das Kindern vermittelt wird. Spüren Kinder, dass ihre Eltern ihr Verhalten an ihre Bedürfnisse anpassen, dürfte das zunächst ein positives Gefühl vermitteln. "Andererseits ist die soziale Wahrnehmung empfindlich", so der Wissenschaftler. "Menschen, auch Kinder, können zwischen authentischen und unechten Ausdrücken unterscheiden. Die wiederholte Wahrnehmung unechter Ausdrücke könnte die Erwartung des Kindes an Ehrlichkeit verändern", vermutet Dr. Keysers. Ihm seien aber keine Studien bekannt, die dies wirklich untersuchen.
Spannend: Spiegelneuronen lassen sich kontrollieren
Offenbar hängen die Spiegelneuronen, bzw. ihre Aktivierung, eng mit Empathie zusammen. Das konnten Dr. Keysers und seine Kollegen in Untersuchungen zeigen. So können Menschen bewusst einerseits Gefühle in anderen wahrnehmen, ohne sie nachzufühlen, und andererseits sich auch in die Gefühle anderer hineinversetzen, mitfühlen.
Die Aktivierungen in den Spiegelneuronen-Regionen sind stark reduziert, wenn Menschen ihre Empathie aktiv herunterregulieren, und signifikant erhöht, wenn sie versuchen, sich einzufühlen.
Der Wissenschaftler weist darauf hin, dass Empathie daher "nicht als Eigenschaft, sondern als Zustand, den man hoch- oder herunterregulieren kann", betrachtet werden sollte. Daher könne es tatsächlich helfen, Menschen zu ermutigen, die Kontrolle über ihre Empathie zu übernehmen und ihnen beizubringen, wann sie sie einschalten und wann sie sie ausschalten sollen, um das Beste aus ihrer Empathie herauszuholen.
Dr. Keysers sieht hier eine Chance für Eltern, die Empathie ihrer Kinder positiv zu beeinflussen: "Indem sie sie ermutigen, Empathie zu zeigen und zu versuchen zu fühlen, was andere fühlen, in Situationen, in denen Empathie vorteilhaft ist und umgekehrt." Denn es gibt auch Situationen, in denen Empathie an sich nicht vorteilhaft ist: Wenn man beispielsweise all das Leid der Welt empathisch aufnehmen würde, wäre man selbst schnell am Ende. Ein Burn-out oder Depressionen könnten die Folge sein.
Dies nenne ich empathische Weisheit: zu wissen, wann man seine Empathie hoch- und herunterregulieren sollte.
Auch für Eltern sei es wichtig, die eigene Empathie zu modulieren, damit sie – in Situationen, wenn es der langfristigen Entwicklung der Kinder zuträglich ist – Grenzen setzen können, auch gegen den Willen der Kinder. In anderen Zeiten müssen Eltern die Empathie dann wieder "einschalten". Nämlich vor allem, wenn sie sich Zeit nehmen, den Kindern zuzuhören, und zu spüren, wie sie sich fühlen. Damit die Kinder sich auch wirklich gehört, gesehen und ernst genommen fühlen.
Video zur Empathie-Regulierung
Im folgenden Video seht ihr die Neurowissenschaftlerin Valeria Gazzola bei "TEDx". Sie spricht darüber (auf Englisch), wie wir Empathie formen können:
Noch mehr Wissen über Spiegelneuronen
Prof. Dr. Christian Keysers:
- Generelle Funktion von Spiegelneuronen: Spiegelneuronen dienen allgemein dazu, dem Gehirn zu ermöglichen, beobachtbare Zustände anderer (einschließlich ihrer Handlungen, Emotionen und Empfindungen) in interne Zustände des Beobachters zu übersetzen. Sie also nachempfinden zu können. Zum Beispiel: Wenn man sieht, wie jemand ein Glas greift und daraus trinkt, ermöglichen Spiegelneuronen, selbst ein Durstgefühl wahrzunehmen und mitempfinden zu können, wie gut es sich dann anfühlt, etwas zu trinken.
- Spiegelneuronen sorgen dafür, das beim Beobachten einer Situation dieselben Handlungsimpulse auftreten, als wäre man selbst in der entsprechenden Situation.
- Spiegelneuronen können sich durch Erfahrung entwickeln. Ein Beispiel: Wenn jemand noch nie Klavier gespielt hat und ein Klavierstück hört, wird nur der auditorische Kortex (Region im Gehirn, die für das Hören zuständig ist) aktiviert. Bringt man einer solchen Person bei, ein bestimmtes Stück für eine Stunde zu spielen, aktiviert das Hören dieses bestimmten Stücks danach auch die motorischen Kortexe, als ob man mitspielen würde. Was wir nicht wissen, ist, ob einige Spiegelneuronen auch ohne Erfahrung existieren können.
... leitet das Labor für "Soziale Gehirnforschung" am Netherlands Institute for Neuroscience und ist Professor der Sozialen Neurowissenschaften an der University of Amsterdam. In einem Gespräch verrät er uns wissenschaftliche Zusammenhänge, mit denen wir uns gewisse Phänomene in der Beziehung zwischen Kindern und Eltern erklären können.