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Karius und Baktus, die beiden bösen Zahntrolle, die in der Mundhöhle wohnen, lassen sich gut in Schach halten. Wenn wir nur alle gut und lang genug die Zähne putzen und nicht so viel naschen, haben sie ausgespielt, heißt es in dem gleichnamigen Kinderbuch. Seit einiger Zeit aber gibt es neben Karies einen weiteren Feind im Kindermund, gegen den die beste Zahnpflege machtlos ist: die sogenannten Kreidezähne, die bereits kaputt aus dem Kiefer wachsen. Die Mediziner sprechen von der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation, kurz MIH.
Wie man Kreidezähne erkennen kann
Kreidezähne sind meistens sehr schmerzempfindlich, höchst anfällig für Karies – und ein großes Rätsel. Etwa 10 bis 15 Prozent aller Kinder in Deutschland sind davon betroffen, bei den Zwölfjährigen sind es sogar 30 Prozent, die mindestens einen Kreidezahn haben, heißt es in der Deutschen Mundgesundheitsstudie. "Man kann schon von einer Volkskrankheit sprechen", sagt die Traunsteiner Kinderzahnärztin Dr. Monika Prinz- Kattinger. "Die Gründe für diese Fehlentwicklung und für deren immer größere Verbreitung sind ein Rätsel." Gelb-braun sehen befallene Zähne aus; der Schmelz, sonst ein hartes, widerstandsfähiges Bollwerk gegen Säuren, ist weich. Die schützende Schicht fehlt, weil die Mineralisation gestört ist. In schlimmeren Fällen brechen sogar Teile des Zahns ab. Weil die Oberfläche unregelmäßig und porös ist, hat die Karies leichtes Spiel. "Für die betroffenen Kinder ist der Leidensdruck hoch“, sagt Dr. Prinz-Kattinger. "Sie haben häufig Schmerzen beim Essen, Trinken und Zähneputzen – und im Winter sogar wegen der Kälte." Schon kleinste physikalische, chemische oder thermische Reize lösen die Schmerzgewitter im Nerv aus. Bei einer Behandlung sind sie sehr schlecht zu betäuben.
Regionale Unterschiede
1987 ist die Krankheit erstmals beschrieben worden. Dr. Prinz- Kattinger erinnert sich, dass bis Ende der 80er-Jahre vielleicht drei Patienten pro Jahr mit Kreidezähnen in ihrer Praxis aufgetaucht sind. Im neuen Jahrtausend arbeitete sie zunächst im Ruhrgebiet, dort hatte sie 30 bis 40 Fälle pro Woche; in Oberbayern, wo sie inzwischen lebt, sind es 20 bis 25 Fälle in der Woche. "Dass es regionale Unterschiede gibt, ist in Studien untersucht und bestätigt worden. Erklären kann man es noch nicht."
Auch Milchzähne kann es treffen
Kreidezähne entstehen, weil sich der Zahnschmelz nicht ausreichend ausgebildet hat. Im Gegensatz zu Karies können gesunde Ernährung und gute Zahnpflege die Entstehung von Kreidezähnen nicht verhindern: Sie kommen schon schadhaft in die Mundhöhle. Meist sind die bleibenden Backenzähne betroffen, seltener Milchzähne oder bleibende Schneidezähne. Die Ausprägung ist unterschiedlich: Mal ist nur ein Höcker angegriffen, mal die ganze Oberfläche eines Zahns. Mal ist er nur verfärbt, mal komplett brüchig – wie Kreide eben.
Mögliche Ursachen für Kreidezähne
Wenn die ersten bleibenden Backenzähne, die um den sechsten Geburtstag herum in den Kindermund wachsen, einen intakten Schmelz haben, können Familien vorsichtig aufatmen. Entwarnung gibt es aber erst, wenn auch die zweiten Backenzähne gesund sind, die um den zwölften Geburtstag herum erscheinen. Wissenschaftler vermuten, dass die meisten Kreidezähne zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr gebildet werden. "Vielleicht sind sie da einem Einfluss ausgesetzt, der ihre Mineralisation beeinträchtigt." Der Grundstein für MIH könnte allerdings auch schon früher gelegt werden, vielleicht bereits im Mutterleib.
Über die Gründe der Erkrankung rätseln Zahnmediziner weltweit. Eine These lautet, dass Weichmacher im Plastik beziehungsweise das häufig in Plastikprodukten vorhandene Bisphenol A (BPA) mit der Erkrankung zu tun haben. Seit 2011 ist zwar der Verkauf von Babyflaschen mit Bisphenol A bei uns verboten, aber der Stoff ist in vielen Alltagsgegenständen wie Milchtüten oder Konserven enthalten. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung ist ein Zusammenhang mit dem Weichmacher Bisphenol A nach derzeitigem Wissensstand jedoch unwahrscheinlich. Auch Antibiotika, Erkrankungen der Mutter am Ende der Schwangerschaft, Vitamin-D-Mangel und Komplikationen bei der Geburt stehen unter Verdacht. „Das alles sind aber nur Vermutungen“, sagt die Expertin. "Es werden gefühlt 50 Gründe diskutiert, aber keiner wurde bislang bestätigt."
Kreidezähne behandeln
Vorbeugende Maßnahmen gegen Kreidezähne gibt es nicht. Entscheidend ist allerdings, dass sie so früh wie möglich erkannt werden, um sie vor weiterem Schaden zu schützen. Das oberste Gebot für Eltern lautet daher, mit ihrem Kind spätestens ab dem ersten Zahn zweimal im Jahr zum Zahnarzt zu gehen. "Der Profi hat den Blick für Fehlentwicklungen und kann sie früher entdecken als Eltern. Leider gibt es immer häufiger diese Störung schon im Milchgebiss."
Je nach Schweregrad gibt es individuelle Therapien. Sie reichen von Fluoridierung mit Lacken bis zur Krone. "Ein Behandlungsziel ist es, zu verhindern, dass die Backenzähne entfernt werden müssen – sie sind eine tragende Säule des Kausystems", so Dr. Prinz- Kattinger. "Bei besonders guter Pflege, Prophylaxe und Versorgung ist es möglich, auch befallene Zähne zeitlebens zu erhalten."
Autorin: Nadine Luck