
Wenn man einfach mal so anrecherchiert, findet man im Internet alle möglichen (und unmöglichen) Aussagen: Stillen sei schädlich für die Zähne, Dauerstillen oder Langzeitstillen erst recht, denn auch Muttermilch und Ersatzmilchen enthalten Milchzucker, der schlecht für die Zähne ist. Und das genaue Gegenteil: Muttermilch schütze aufgrund ihrer besonderen Zusammensetzung sogar vor Karies und senke anders als Industriezucker nicht den pH-Wert im Mund. Ein saurer pH-Wert ist aber eine Voraussetzung für Karies. Also was stimmt denn nun, haben wir uns gefragt. Und direkt bei zwei Expertinnen nachgefragt.
Muttermilch und Milchnahrungen führen möglicherweise zu Stillkaries
Dr. Susann Özel ist Zahnärztin mit eigener Kinderzahnarztpraxis in Hamburg. Für sie ist klar, dass auch Muttermilch den Zähnen schadet. Stillkaries bekomme sie in ihrer Praxis leider täglich zu sehen. Und das sei verstärkt bei Kindern der Fall, die oft und lange an der Brust trinken oder eine entsprechende Ersatzmilch bekommen: "Je mehr genuckelt wird, desto höher die Chance für Karies und desto mehr Zähne sind betroffen. Ich kenne keinen Unterschied zwischen Muttermilch und Milchnahrung in diesem Zusammenhang", sagt die Zahnärztin.
Keine ausreichenden Studiendaten
Die Kinderzahnärztin Michaela aus Göttingen, die selbst Mama ist, schreibt zum Thema "Stillen und Karies" auch bei Instagram (siehe Post unten). Für sie ist die Frage nach Stillkaries eine der häufigsten in der zahnärztlichen Praxis. Und auch sie bestätigt, dass in Muttermilch sieben Prozent Milchzucker (Laktose) enthalten sind. Dieser könne durch Kariesbakterien in der Mundhöhle in Säuren umgewandelt werden und somit Karies begünstigen.
Sie weist aber gleichzeitig darauf hin, dass Muttermilch zusätzlich komplexe Nährstoffe, Mineralien, Antikörper, Vitamine und Hormone enthalte, die enorm wichtig sind. Zudem klärt sie uns auf: "Manche Stoffe wie zum Beispiel Lactoferrin zeigten in Studien einen schützenden Effekt gegen 'Str. mutans' – dem Leitkeim der Karies. Weitere In-vitro-Studien (Untersuchungen nicht am lebenden Organismus und unter Laborbedingungen) zeigen, dass Muttermilch allein keinen nennenswerten Einfluss auf die Entstehung einer Karies hat. Beobachtungsstudien am Menschen zeigen sogar einen kariesschützenden Effekt in den ersten zwölf Lebensmonaten."
Allerdings wiesen Kinder, die besonders häufig oder vermehrt nachts gestillt werden, ab dem 24. Lebensmonat ein erhöhtes Kariesrisiko auf, berichtet Michaela. Zu bedenken sei dabei, dass es in dieser Altersgruppe an Studien mangele und weitere Faktoren wie Zuckerkonsum, Art und Häufigkeit der Nahrungsaufnahme, Mundhygiene, Fluoridzufuhr, orale Restriktionen (Beeinträchtigungen), Mundatmung und soziale Aspekte nicht betrachtet werden. "Deshalb lässt sich zusammenfassend sagen, dass laut aktueller Studienlage, bei angemessener Mundhygiene und physiologischer muskulärer Zungenfunktion, KEIN erhöhtes Risiko für die Entstehung einer Karies im Zusammenhang mit Stillen nachgewiesen werden kann" stellt die Zahnärztin fest und macht noch einmal deutlich: "Karies gilt als multifaktorielles Geschehen, keine Studie konnte bisher diese Zusammenhänge erfassen."
Muss ich jetzt abstillen?
Das Stillen hat wie beschrieben zahlreiche unbestrittene Vorteile für das Baby und wird auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen. Seid euch bitte darüber im Klaren, dass die Entscheidung ob und wie lange ihr stillt, immer eure eigene und individuelle ist. Karies entsteht beim Stillen keinesfalls immer sofort bei Durchbruch der ersten Zähnchen (und auch später nicht zwangsläufig). Und auch wenn häufiges und langes Stillen nach dem Durchbruch der Zähne zu Karies führen KANN, müssen für die Kariesentstehung immer mehrere Faktoren zusammenkommen, wie wir oben erfahren haben.
Zähne putzen schon in der Stillzeit?
Nuckelt ein Baby sehr lange an der Brust und schluckt die Milch nicht hinunter, verändert das den pH-Wert im Mundraum – leider zugunsten von Karies. Denn der Mundraum braucht Spucke, um pH-neutral zu bleiben. Diese kann aber nicht wirken, wenn zu viel Milch durch den Mund fließt.
Je früher man mit dem Zähneputzen beginnt, desto schneller gewöhnt sich das Baby daran. Noch bevor die Zähne da sind, können Eltern das Zahnfleisch mit einem speziellen, weichen Silikon-Fingerling sanft massieren. Das lindert auch den Druckschmerz vor dem Durchbruch der Zähnchen. Spätestens wenn der erste Zahn da ist, heißt es aber: unbedingt Zähne putzen!
Dr. Susann Özel hat noch weitere Tipps zum Schutz vor Karies bei Babys: "Bitte immer nach dem Stillen die Zähne mit fluoridhaltiger Zahnpasta putzen. Wenn das Kind eingeschlafen ist, sollten der Mund und insbesondere die Zähne wenigstens mit einem feuchten Tuch abgewischt werden, sodass die Milch nicht an den Zähnen kleben bleibt."