
Auf dem Weg zum Spielplatz ist es passiert: Tobi (4) wollte mit ein paar anderen Kindern um die Wette laufen, geriet dabei ins Stolpern und fiel so unglücklich hin, dass ihm ein Zahn herausbrach. Seine Mutter ist empört. Warum waren die Kinder allein draußen? Hat kein Erwachsener aufgepasst? Die Betreuer hätten ein Wettrennen auf dem Asphalt verbieten müssen, meint sie. Das Erzieherteam weist die Schuld von sich: "Wir können kein Kind auf Schritt und Tritt überwachen." Der kurze Weg zum gegenüberliegenden Spielplatz führt durch einen Park und ist autofrei. Während die Kleinen noch umgezogen werden, dürfen die Großen regelmäßig vorgehen. Das sei den Kindern durchaus zuzumuten, argumentiert die Kita. Tobis Eltern wollen das nicht akzeptieren und fahren schweres Geschütz auf: "Wir zeigen euch wegen Verletzung der Aufsichtspflicht an." Ist eine solche Drohung berechtigt?
Alter und Fähigkeiten der Kinder müssen berücksichtigt werden
Es gibt keine pauschale Antwort. Wenn eine Verletzung der Aufsichtspflicht tatsächlich vor Gericht kommt, sehen Richter sich jeden Einzelfall genau an. Wie alt ist das Kind? In welcher Situation ist der Unfall passiert? Hätten Betreuer ihn verhindern können? Die Aufsichtspflicht besteht grundsätzlich darin, dass Erwachsene die Gesundheit eines Kindes im Blick haben, über Gefahren aufklären und notfalls eingreifen. Trotz Beaufsichtigung müssen Kinder aber selbstständig und verantwortungsbewusst werden können. Jedes Kind hat ein Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Eine Dauerüberwachung würde das nicht zulassen. Erzieher bewegen sich auf einem schmalen Grat: Sie müssen ihre Schützlinge vor Gefahren bewahren, können aber nicht jedes Risiko von ihnen fernhalten, indem sie alles verbieten.
Unfälle gehören zum Leben – auch in der Kita
Strafrechtliche Verurteilungen, die auf einer Verletzung der Aufsichtspflicht beruhen, sind selten. Unfälle passieren nun einmal. Niemand führt sie mit Absicht herbei. Das Leben ist ein Risiko. Selbst wenn ein Kind in der Kita tödlich verunglückt, werden meist milde Urteile in Form von Bewährungsstrafen gefällt. Bevor Eltern Erzieher anzeigen, sollten sie sich das gut überlegen. Danach ist das Verhältnis zerrüttet. Für Erzieher ist eine strafrechtliche Verfolgung eine persönliche Katastrophe. Sie müssen anschließend häufig ihren Beruf aufgeben und sind aus Sicht der Gerichte damit und mit Schuldgefühlen schon genug bestraft. Gegen Schmerzensgeld- oder Schadenersatzforderungen sind Erzieher in der Regel über die Einrichtung versichert. Bei Unfällen in der Kita (sofern sie staatlich anerkannt ist) sowie auf dem Hin- und Rückweg greift die gesetzliche Unfallversicherung.
Urteile gegen Erzieher – einige Fallbeispiele
- Eine Erzieherin wurde wegen fahrlässiger Tötung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Ein 16 Monate alter Junge hatte unbemerkt ihre Gruppe verlassen und war in einem Plastikbottich mit Wasser ertrunken.
- Während eines Waldausflugs wurde ein sechsjähriges Mädchen von einem Baumstamm überrollt, auf den sich andere Kinder gesetzt hatten. Das Kind starb. Zwei Erzieherinnen wurden zu je zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
- Ebenfalls mit einer Bewährungsstrafe endete ein Prozess gegen zwei Erzieherinnen, die nicht verhinderten, dass sich zwei Mädchen bei einem Ausflug absetzten und in einen Tümpel fielen. Ein Kind konnte rechtzeitig gerettet werden, das andere starb im Krankenhaus.
Autorin: Stephanie Albert