Hinter den Kulissen einer Kita

Müssen Abschiedstränen zum Kita-Alltag wirklich dazugehören?

Was geschieht in einer Kita wirklich, nachdem man sein Kind abgegeben hat? Was läuft tagtäglich im Hintergrund ab? Und was, wenn mein Kind beim Verabschieden weint? Hilfreiche Einblicke in den Kita-Alltag.

Kita Alltag: Müssen Abschiedstränen sein?© iStock/StefaNikolic
Nachgefragt: Müssen Abschiedstränen wirklich sein?

Dass Merles Mutter sich von ihr verabschiedet hat, hatte die Zweijährige schon vergessen, weil sie voll und ganz mit dem Bauernhof-Puzzle beschäftigt war. Aber jetzt fließen doch Tränen. Wie gut, dass Erzieherin Alena gleich bei ihr ist, sie auf den Schoß nimmt und sich mit ihr beschäftigt.

Abschiedstränen gehören dazu ...

Solche Szenen kennt Martina Pinkis, Leiterin der Kita Ernst-Bergeest-Weg im Hamburger Stadtteil Marmstorf. "Es gibt auch mal Tränchen. Die Trennungsphase gehört einfach zum Kita-Alltag mit dazu.“ Martina Pinkis findet Merles Reaktion gut und richtig: "Wenn ein Kind das nicht gleich durchlebt, kommt es irgendwann, mit drei, vier Jahren. Irgendwann passiert es eben doch." Wenn die Kinder dann eine verlässliche Vertrauensperson an ihrer Seite wissen und sich trösten lassen, sind auch Tränen nur halb so wild: Denn dann ist die Eingewöhnung gelungen.

Auch die kleine Merle hat sich nach zehn Minuten wieder beruhigt. Das Telefon der Eltern, die sonst benachrichtigt worden wären, bleibt stumm. Sie erfahren am Abend, wenn sie ihre Tochter abholen, wie der Tag in der Kita gelaufen ist – und das morgendliche Weinen ist dabei nur noch eine kleine Episode.

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Draußen spielen macht besonders Spaß.

Eltern müssen sich auf die Kita verlassen können

Klar ist: Gerade in der Eingewöhnungsphase müssen Eltern der Kita vertrauen und sich darauf verlassen können, dass ihr Kind in der neuen Umgebung besondere Aufmerksamkeit erhält und dass sie benachrichtigt werden, wenn es doch einmal nicht rund läuft.

So halten es auch die Leiterinnen der Marmstorfer Kita, die zum Elbkinder-Verbund gehört, der in Hamburg fast 200 Kitas betreibt. Ihr Konzept: "Wir lassen uns viel Zeit für die Eingewöhnung, und es ist auch immer eine Eins-zu-eins-Betreuung für diese Stunden da", erklärt Martina Meldal, die stellvertretende Leiterin. "Wir arbeiten angelehnt an das Berliner Eingewöhnungsmodell. Das beruhigt die Eltern: Zu wissen, dass wir es ganz vom Kind abhängig machen, wie lange die Trennungsphasen andauern."

Das Berliner Modell nimmt das Kind als Maßstab

Nach dem Berliner Modell bestimmt allein das Kind, wie lange die Eingewöhnung dauert. An den ersten Tagen in der Kita ist immer noch ein Elternteil dabei. Nach vier Tagen gibt es dann die erste kurze Trennung, und im Folgenden übernimmt die Fachkraft immer mehr: füttern, wickeln, spielen... Die Trennungszeiten werden täglich länger, bis es für das Kind Routine geworden ist, in der Kita ohne Mama oder Papa auszukommen.

In die Kita Ernst-Bergeest-Weg kommen immer mehr Kinder schon mit knapp einem Jahr – viele Eltern kehren gleich nach den zwölf Monaten Elterngeld in den Beruf zurück. So junge Kinder reagieren jedoch anders als ältere. "Es ist eben kein linearer Prozess, sondern es geht auch immer mal wieder rückwärts, etwa wenn das Kind krank war und deshalb länger nicht in die Kita gehen konnte", wie Gerlind Große sagt, Professorin für frühkindliche Bildungsforschung an der Fachhochschule Potsdam. Sie rät: "Die Eltern sollen die Kita erst dann für längere Zeit verlassen, wenn sicher ist, dass die Fachkraft das Kind trösten kann."

Was es Eltern enorm erleichtert loszulassen: zu wissen, was in der Kita los ist. Das bewährte Mittel, um sich im Alltag gegenseitig auf den aktuellen Stand zu bringen, sind für Eltern und Erzieher die sogenannten Tür-und-Angel-Gespräche bei Bringen und Abholen des Kindes. Gab es zu Hause besondere Ereignisse? Was hat die Kinder in der Gruppe heute besonders beschäftigt?

Wenn beide Seiten ihren Teil offen beitragen, umgeht man auch mögliche Missverständnisse, wie Bildungsforscherin Gerlind Große sagt: "Es gibt dabei einen Rollenkonflikt zwischen dem Wissen der Eltern, die sagen, dass sie ihre Kinder am besten kennen, und dem fachlichen Vorteil, den die pädagogischen Fachkräfte haben. Aber das Schöne ist: Beide haben recht!"

Am besten fügen Eltern und Erzieher ihr Bild zusammen

Wenn sich Eltern und Erzieher vertrauen, fügen sie ihre Beobachtungen zu einem Gesamtbild darüber zusammen, wie sich das Kind in der Kita fühlt und welche Entwicklungsschritte es gerade macht. Davon profitieren beide Seiten.

Natürlich stellen Eltern lieber eine Frage zu viel als zu wenig – schließlich hat man der Kita das Wertvollste anvertraut, was man hat. Das kann für das Kita-Personal durchaus anstrengend sein, auch wenn alle wissen, dass die Zusammenarbeit mit den Eltern die Basis für eine gute Entwicklung des Kindes ist. Gerade in diesem Bereich fühlen sich Kita-Fachkräfte jedoch häufig unsicher, bestätigt Gerlind Große: "Es gibt eine große Nachfrage nach Weiterbildungen zu diesem Thema, und es liegt in der Verantwortung der Kita-Leitung, diesen Aspekt zu stärken." Denn das dürfen Eltern nun wirklich verlangen: dass die Fachkräfte Verständnis für die Probleme haben, die die Eltern an sie herantragen.

Eine gute Kita bietet von sich aus viele Informationen an

Wie ernst eine Kita die Bedürfnisse der Eltern nimmt, zeigt sich auch daran, welche Informationen sie von sich aus anbietet. Frei zugängliche Wochenpläne, aktuelle Informationen am Schwarzen Brett, regelmäßige Elterngespräche, Elternabende, fixe Termine, an denen Eltern im Alltag dabei sind, wie etwa ein Frühstück mit den Eltern – eine gute Kita nutzt viele solcher Möglichkeiten. Und sie hat auch ein geordnetes Kritikmanagement. Professorin Große: "Was an Kritik kommt, muss irgendwie aufgegriffen werden und zu einem Feedback führen."

Für die Hamburger Kita liegt der beste Weg, Kritik gar nicht aufkommen zu lassen, darin, das Engagement der Eltern willkommen zu heißen. Dort begleiten Eltern mal einen Ausflug ins Schwimmbad als zusätzliche Betreuung, bieten als Lesepaten Vorlesestunde oder bereiten das Sommerfest vor. "Man spricht ja gar nicht mehr über Elternarbeit, sondern über eine Erziehungspartnerschaft", sagt Leiterin Pinkis. Wo das klappt, fühlen sich nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern gut betreut.

Autor: Rolf von der Reith

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