Nicht ohne Mama und Papa

Trennungsangst: Was tun, wenn Kinder klammern?

Ihre Tränen zerreißen einem das Herz, ihre Furcht scheint unüberwindbar – Kinder mit Trennungsangst haben es nicht leicht und machen ihren Eltern das Leben schwer. Doch mit den richtigen Strategien und viel Geduld lassen sich Klammer- und Fremdelkinder helfen.

Kindern mit Trennungsangst fällt es sehr schwer, ohne Mama und Papa zu sein.© Foto: Getty Images
Kindern mit Trennungsangst fällt es sehr schwer, ohne Mama und Papa zu sein.

"Musst du denn immer heulen?" Die Tagesmutter, bei der ich meine Tochter erstmals abgeben wollte, war nicht gerade einfühlsam. "Lass die Lütte mal hier. Die wird schon aufhören", sagte sie. Ihre Strategie war einfach: schreien lassen, bis das Kind nicht mehr kann. "Gibt es denn keine andere Lösung?", fragte ich vorsichtig und hoffte auf eine sanfte Ablösemethode, die ich noch nicht kannte. "Nein", sagte sie und ließ mich wissen, dass Gluckenmütter selbst schuld seien. "Dein Kind ist jetzt ein Jahr alt, da musst du auch Loslassen lernen." Danke. Würde ich gerne. Aber wie? Ich war ja gerade dabei, es zu üben. Also Augen zu und durch. Als ich nach einer Stunde zurückkam, hallte herzergreifendes Geschrei durchs Treppenhaus. Das war’s. Wieder ein Versuch gescheitert. "So was habe ich ja noch nie erlebt", schnaubte die professionelle Kinderbetreuerin. 

"Wir sind noch nicht bereit für eine Trennung"

Weder meine Tochter noch ich seien bereit für eine Trennung. Wenn wir nicht an uns arbeiten würden, könne sie mein Kind leider nicht aufnehmen. Ich war das gewohnt. Meine Schwester, meine Nachbarin, eine Mutter aus der Krabbelgruppe – alle hatten es schon versucht. Doch ohne Tränen konnte ich mein Kind niemandem überlassen. Babysitter nahmen Reißaus. Wir blieben ein Jahr länger als geplant unzertrennlich. Schon bei dem Gedanken, mein Kind spätestens mit drei in eine Betreuung zu geben, stieg Panik in mir auf. 

Verlustangst ist überlebenswichtig

Meine Tochter gehört zu den Kindern mit Trennungsangst. Die kann vorbeigehen, kann sich aber auch sehr hartnäckig halten. Die Angst vor dem Verlust einer Bezugsperson ist ein komplexes Gefühl. Nicht schlimm, aber belastend – für Eltern und Kind. "Es ist eine ganz normale vorhersehbare Reaktion darauf, dass die Kinder fürchten, das wichtigste Element in ihrem Leben zu verlieren", sagt Elizabeth Pantley, Buchautorin, vierfache Mutter und Expertin für sanfte Erziehung. Also besteht kein Grund zu ernsthaften Sorgen, wenn Kleinkinder kletten. Doch mein Wunsch nach kinderfreien Stunden (an Tage wagte ich noch gar nicht zu denken) wuchs und wuchs. Ich merkte, dass das Aneinanderkleben mir nicht guttat und fragte mich: Was steckt dahinter?

Erziehungsexperten wissen: in der Regel nichts Dramatisches. Eine allgemeine Verlustangst ist erst einmal überlebenswichtig. Der Mensch ist von Natur aus so angelegt, dass er in Gefahr entweder flüchtet oder angreift. Da kleine Kinder weder das eine noch das andere können, müssen sie sich darauf verlassen, dass Erwachsene sie schützen. In der Steinzeit hätte ein Kind ohne den Schutz einer Gemeinschaft nicht überlebt. Erst mit dem Älterwerden merken Mädchen und Jungen langsam, dass eine Trennung nicht so schlimm ist. Dass Mama und Papa zurückkommen, auch wenn das Kind sie mal eine Zeit lang nicht sieht. Über die Ursachen und die Frage, warum manche Kinder mehr Angst haben als andere, müssen Eltern sich keine großen Gedanken machen. Jedes Kind ist anders. 

Unser Buch-Tipp

Im Buch "Die kleine Eule Luna"* setzen sich Autoren um Winona Michel, Hannah Buschkamp und Carlotta Drerup mit der Trennungsangst von Kindern auseinander. Eule Luna und Glühwürmchen Sole sprechen darin über ihre Ängste, allein zu bleiben und finden gemeinsam Ideen und Wege, mit ihnen umzugehen. das Buch hilft Kindern vor allem dabei, sich ihren Ängsten zu stellen, sie zu akzeptieren und daraus für das Leben Kraft zu schöpfen.

Eltern sollten auf ihre Gefühle hören und eigene Wege finden, mit der Trennungsangst ihres Kindes umzugehen

Viel wichtiger ist es, dass sie zusammen mit ihrem Kind eigene Wege finden, um das Problem so zu lösen, dass es für alle erträglich wird. Eltern sollten dabei auf ihr Gefühl hören und sich nicht von allgemeinen Aussagen irritieren lassen. Ratschläge wie "Du darfst dich von seinen Tränen nicht erpressen lassen" oder "Du verwöhnst dein Kind zu sehr" sind wenig hilfreich, wenn man selbst merkt, dass das Kind sehr leidet. Wer eine Trennung erzwingt, obwohl das Kind lautstark oder leise leidend dagegen protestiert, macht seine Tochter oder seinen Sohn nicht stärker. Im Gegenteil: Es werden nur die Ängste verstärkt. Wenn Mütter und Väter das Gefühl haben, dass es – zumindest eine Zeit lang – hilfreich ist, Trennungen zu vermeiden, sollten sie genau das tun, wenn es sich einrichten lässt. Mit Liebe und Aufmerksamkeit kann man ein Kind nicht verwöhnen. 

Die meisten Trennungsprobleme erledigen sich mit der Zeit von allein

Die meisten Trennungsprobleme erledigen sich mit der Zeit von ganz allein. Das war auch bei meiner Tochter so. Sie schaffte die Eingewöhnung im Kindergarten, ging später gerne in die Schule. Nur bei der ersten Klassenfahrt kehrte ihre Angst zurück. Wir musste sie vorzeitig abholen. Inzwischen funktioniert aber auch das. Während Eltern auf Entwicklungsschritte warten, können sie schon früh einiges tun, um ihren Kindern zu helfen. 

Trennungsängste überwinden – so kann es klappen:

Am besten geht man dabei in kleinen Schritten vor, die dem Kind Mut machen, ohne es zu überfordern. Wer sein Kind aufmerksam beobachtet, merkt schnell, was es mag und was ihm zu viel ist. Die Grenze zur Überforderung ist überschritten, wenn das Kleine weint. Bleibt es aber neugierig, zugewandt und aufgeschlossen, zeigt es Freude oder gluckst es sogar vor Vergnügen – dann sind Eltern auf dem richtigen Weg. Schon früh lässt sich Abschiednehmen und Wiedersehen spielerisch fördern. Zum Beispiel:

  • Verschwinden und wiederkehren: Zeigt eurem Kind einen Gegenstand und nehmt ihn wieder außer Sichtweite. Taucht er wenig später wieder auf, ist die Freude groß. Den meisten Babys zwischen acht und zwölf Monaten macht dieses Spiel Spaß. Sie lernen dabei, dass Dinge nicht für immer verschwinden, wenn man sie gerade nicht sieht, sondern dass sie noch da sind und dass das Wiedersehen Freude macht. Das gute alte Guck-guck-Spiel gehört übrigens dazu. Tipp: Auch andere Leute, die zum Bekanntenkreis gehören (Großeltern, Nachbarn und Freunde) sollten mal ins Spiel eingebunden werden. So gewöhnt sich das Kind auch an fremde Gesichter.
  • Verstecken spielen: Der Klassiker der Kinderbelustigung ist ebenfalls pädagogisch wertvoll. Etwas größere Kinder spielen liebend gerne Verstecken, weil sie den Nervenkitzel genießen und sich auf das Wiederfinden freuen. Geht das Spiel einem Kind zu weit, weil es Angst bekommt, sollte es abgebrochen werden. Oft hilft es, wenn das Kind sich anfangs zusammen mit einem Elternteil versteckt und der andere suchen muss
  • Andere einbeziehen: Die Anwesenheit von anderen Menschen tut kleinen Kindern gut. Wenn sie anfangs fremdeln, sollten andere sich nicht aufdrängen, sondern warten, bis das Kind von sich aus Kontakt aufnimmt. Das wird es tun, wenn es sich an die anderen gewöhnt hat.
  • Kontakte zu Gleichaltrigen: Die Lust am Spielen treibt auch zurückhaltende Kinder an. Wenn Eltern ihnen oft Kontakt zu Gleichaltrigen ermöglichen, fördern sie das auf angenehme Weise.
  • Abschiedsrituale: Kleine wiederkehrende Rituale wie Tschüss sagen, Küsschen oder Winken an der Kitatür erleichtern den Abschied. In vielen Kitas dürfen Kinder ihre Eltern bewusst "rausschmeißen", indem sie sie sanft wegschubsen.
  • Vertrautes mitgeben: Der Teddy darf mit in die Kita. Der Kuschelhase ist auch bei der Tagesmutter immer dabei. Vielen Kindern geben vertraute Dinge beim Loslassen Sicherheit. 

"Wir geben dir das Gefühl, dass du es schaffen wirst"

Wenn Kinder mit Trennungsproblemen größer werden, ergeben sich neue Konflikte. Selbst wenn sie in der Kita oder in der Schule unter vertrauten Menschen gut zurechtkommen, fällt ihnen das Abschiednehmen bei anderen Anlässen weiterhin schwer. Mal zwei Tage verreisen? Auf Klassenfahrt gehen? Beim besten Freund übernachten? Da wird Klammerkindern ganz mulmig – und den Eltern ebenfalls. In diesem Fall ist es wichtig, dass Mama und Papa ihrem Kind das Gefühl geben, dass sie ihm das kleine Abenteuer zutrauen. Wenn sie selbst ihre Angst oder Trauer offen zeigen, machen sie es ihrem Nachwuchs nur noch schwerer. Oder sie vermitteln ihrem Kind sogar, dass es ein schlechtes Gewissen haben muss, wenn es seine Eltern verlässt. 

Trennungsangst als emotionale Störung: Eine Verhaltenstherapie kann helfen

Erst wenn ein Kind im Vorschul- und Schulalter nicht in der Lage ist, ohne seine Eltern auszukommen, wird Trennungsangst bedenklich. Das trifft etwa zwei bis drei Prozent aller Kinder und gilt dann als emotionale Störung. Ein Besuch bei einem Kinder- oder Jugendpsychotherapeuten ist empfehlenswert.

Besonders gefährdet sind sensible, empfindsame und schüchterne Kinder, die schon als Babys sehr stark gefremdelt haben. Während einer psychologischen Behandlung wird – besonders wirkungsvoll mit einer VerhaltenstherapieSchritt für Schritt das Trennen und das Alleinsein geübt. Bis die Kinder verinnerlicht haben, dass sie stark genug sind, etwas ohne Eltern zu schaffen. Etwa drei Viertel der Betroffenen können damit ihre Probleme lösen. Eine rechtzeitige Therapie in der Kindheit kann das Risiko mindern, dass ängstliche Kinder auch später als Erwachsene noch unter Ängsten und Panik leiden. 

Autorin: Franziska Pfeiffer

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