Unendlich erschöpft

Ehrlicher Wochenbett-Bericht: Mehr Müdigkeit als Magie

Unsere Autorin freute sich riesig auf ihr Wunschkind und die Kuschelzeit im Wochenbett – doch dann kam alles anders. Ein ehrlicher Bericht, der trotzdem Mut macht ...

Viel Liebe, aber auch große Traurigkeit und Selbstzweifel: Die ersten Wochen nach der Geburt empfinden viele Mütter als ein Wechselbad der Gefühle.© Foto: iStock/FatCamera
Viel Liebe, aber auch große Traurigkeit und Selbstzweifel: Die ersten Wochen nach der Geburt empfinden viele Mütter als ein Wechselbad der Gefühle.

Mutter wollte ich werden. Eine gute Mutter. Ich wollte die Magie eines Kinderlächelns spüren, das alle Sorgen vergessen lässt. Wollte mich vom Wunder des Lebens selbst überzeugen. Jahrelang hatte ich mir ausgemalt, wie ich es machen würde. Aufopferungsvoll und voller Hingabe wollte ich diese Rolle ausfüllen und in ihr meine Erfüllung finden. Ich habe, noch als ich schwanger war, ganz fest daran geglaubt, dass sich spätestens ab der Geburt geheime Tore in meinem Herzen öffnen werden, hinter denen sich dieser sagenhafte "Mutterinstinkt" verbirgt, über den alle reden. Ich dachte, wer Mutter wird, bekommt die entsprechende Identität gratis dazu.

Weinen ohne Pause

Und dann saß ich da, weinend auf meinem Bett mit Blick auf die belebte Straße in Berlin Neukölln, neben mir das kleine Töchterchen, gerade ein paar Tage alt. Es war Hochsommer, und ich weinte. Ich weinte, weil ich vergeblich auf diese innere Eingebung wartete, die mir sagte, was ich wann mit diesem kleinen Körper zu tun hatte. Ich weinte, weil ich nicht schlafen konnte, wenn das Kind schlief. Ich weinte, weil ich mich dafür schämte, dass ich lieber mit den fremden Menschen unten auf der anderen Straßenseite Bier trinken wollte, anstatt im Bett, auf meinen Hämorrhoiden sitzend, lebendige Milchbar zu spielen. Ich weinte, weil mein Körper so ein Schlachtfeld war, dass ich es gar nicht ohne Pausen auf die andere Straßenseite geschafft hätte. Und ich weinte, weil ich nicht aufhören konnte zu weinen. Dabei wollte ich doch stark und glücklich sein. Eine gute Mutter ist stark und glücklich, habe ich gedacht. Mich beschlich das Gefühl, dass die Gesellschaft mir in Bezug auf die Mutterschaft heimlich meine Schnürsenkel zugeknotet hatte, sodass ich selbst über meine eigenen Füße gestolpert bin. Mitten rein ins Wochenbett.

Das Stillen läuft nicht rund

Der Babyblues hatte mich fest im Griff, und einen Großteil der Traurigkeit projizierte ich aufs Stillen. Klappte es beim Bonding nach der Geburt so gut, wollte mein Baby danach einfach nicht mehr trinken. Dabei stand doch in allen Elternratgebern, Stillen sei das Natürlichste der Welt. Wir machten etliche Umwege vom Abpumpen übers Fingerfeeding bis zu einer Stillberatung und einer Untersuchung des Zungenbändchens. Mit einem Stillhütchen wollte es dann nach ein paar kräftezehrenden Wochen endlich klappen. Das Gefühl von Scham und Scheitern blieb aber am Stillhütchen kleben, wie die paar Tropfen Muttermilch nach jeder Mahlzeit. Mit dem Unterschied, dass ich die Tropfen einfach wegwischen konnte, meine Gefühle nicht. Für das, was andere Mama-Kind-Duos einfach so aus dem Ärmel schüttelten, mussten wir wochenlang üben und benötigen Hilfsmittel.

Nur noch anstrengend

Ein Realitätsschock jagte den nächsten. Wurde der Mutterschaft doch Zeit meines Lebens ein regelrechter Mythos zugesprochen, dachte ich, jede gute Mutter steht nachts gerne am Kinderbettchen und wacht über ihr Baby. Schlafmangel? Kein Problem. Ich bin ja Mutter, ich mach das gerne. Mütter fühlen so, dachte ich. Mir machte der Verzicht aber überhaupt keinen Spaß. Es gab auch keinen zauberhaften Hormonschub, der mich am nächsten Tag die Strapazen der Nacht vergessen ließ. Ich war müde – und ich war nicht gerne müde. Lange habe ich mir nicht erlaubt, die anstrengenden Parts der Mutterschaft einfach anstrengend zu finden. Für mich sind sie nicht insgeheim voller Magie und trotz ihrer Anstrengung irgendwie schön. Die schönen Parts sind schön und die anstrengenden Parts sind einfach irre anstrengend. Jede Mutter darf das fühlen und laut aussprechen.

Was wäre ich im Wochenbett nur ohne die wunderbare Begleitung meiner Nachsorgehebamme Christine Oel gewesen! Ich glaube ja, die meisten Hebammen haben Zauberkräfte. Meine auch. Sie wusste immer genau, wann sie milde mit mir sein musste und wann es angebracht war, mich zu motivieren. Sie hatte die Geduld mit mir, die ich nicht hatte. "Die Gesellschaft stellt immens hohe Anforderungen an Eltern. Wir sind es gewohnt, insbesondere Mütter stets perfekt performen zu sehen, andernfalls erlauben wir uns Urteile. Der Druck, diesen Anforderungen gerecht zu werden, lastet auf werdenden Eltern", erklärt Christine Oel.

Im starren Korsett gefangen

Es gibt Unmengen an Klischees, die ich nicht als solche erkannt habe, weil sie unsere Gesellschaft unkommentiert stehen lässt. Mit jedem Kind wird auch eine Mutter geboren – so ein Quatsch! Die Mutterschaft mutierte in den letzten 100 Jahren zu einer Selbstverständlichkeit, die sie nicht ist. Das führt dazu, dass die wirkliche Realität von Müttern unsichtbar gemacht wird: Wie sehr ich mich dafür geschämt habe, weil ich immer nur dachte: "Wann bist du endlich groß?" Wo ich doch wusste, dass ich eigentlich "Sie werden ja so schnell groß" denken muss. Rückblickend erkenne ich, dass ich in diesem Wochenbett – und weit darüber hinaus – versucht habe, mich in das starre gesellschaftliche Bild einer guten Mutter hineinzuzwängen, wie in eine zu eng gewordene Jeans. Es war nicht genug Platz für alles, was ich bin.

Hebamme Christine Oel rät deshalb allen werdenden Mamas und Papas: "Elternsein will gelernt werden. So etwas, wie einen Mutterinstinkt, der frischgebackenen Mamas wie eine Souffleuse leise diktiert, was sie am besten tun sollten, gibt es nicht. Das bedeutet auch, gnädig mit sich zu sein, da jeder Schritt neu gelernt werden will, Emotionen gefühlt werden wollen, und altes gehen gelassen werden will." Dabei sei es laut der Hebamme wichtig, einen Schritt nach dem anderen zu gehen und sich von anderen Menschen begleiten und unterstützen zu lassen.

Mütter dürfen überfordert sein

Es hat ein knappes Jahr gedauert, bis ich verstand, dass eine traurige Mutter auch eine gute Mutter sein kann. Damals hätte ich genau so einen Wochenbettbericht wie diesen hier gebraucht. Ich hätte einen Ratgeber gebraucht, in dem steht, dass gute Mütter alles fühlen und alles sein dürfen, auch überfordert von so viel Selbstaufgabe. Dass ein Babylächeln überhaupt nicht alles wiedergutmacht. Und dass eine Mutter eben nicht einfach so geboren wird, sondern dass alle Eltern erst mal lernen müssen, wie sie diese Rolle eigentlich ausfüllen wollen – und können.

Autorin: Hannah Struck

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