
Wenn Frauen darüber nachdenken, wie die Hebamme sein wird, die sie während der Geburt begleitet, gehen ihr sicher viele Eigenschaften durch den Kopf. Ist sie jung oder sehr erfahren? Forsch oder besonders zartfühlend? Aber an ein Attribut denkt wohl kaum jemand: dass die Hebamme männlich sein könnte.
Tobias Richter ist eine von rund 25 männlichen Hebammen in Deutschland – und für ihn ist es der schönste Beruf der Welt. "Ich wollte immer was im medizinisch-sozialen Bereich machen. Als ich ein Schulpraktikum als Krankenpfleger gemacht habe, habe ich gemerkt, dass es doch nicht ganz das Richtige für mich ist." Erst als er in einem Kreißsaal hospitieren durfte, war für ihn die Sache klar. "Ich dachte: 'Wow, das ist es!'", erinnert er sich. Die Arbeit dort habe ihn derart fasziniert, dass er sich entschied, Hebamme zu werden.
Schwerer Start in den Hebammenberuf
Eine gewisse familiäre Vorbelastung bringe er wohl mit, erzählt er lachend. Schließlich sei seine Mutter ebenfalls Hebamme. Tobi, der inzwischen in Berlin lebt, ist im ländlichen Raum aufgewachsen. "Da kennt jeder die Hebamme im Ort, und die Dankbarkeit, die meiner Mutter überall begegnet ist, fand ich immer schön. Das hat mich geprägt."
Doch sein Einstieg in den Beruf war alles andere als einfach. "Ich habe 40 Bewerbungen geschrieben und viele Absagen bekommen", erinnert er sich. Viele konnten nicht nachvollziehen, wieso er als Mann Hebamme werden wollte. "Mir wurde das Helfersyndrom nachgesagt, und ich wurde in Vorstellungsgesprächen besonders in die Mangel genommen. Mir wurde auch gesagt: 'Sie wissen schon, dass das nicht normal ist?'" Als männliche Hebamme habe er sich besonders beweisen müssen, sagt er.
Oft habe er daran gedacht, alles hinzuwerfen. "Manche Kolleginnen haben mich glatt ignoriert. Gutes wurde nie erwähnt, nur das Negative wurde immer hervorgehoben. Es war relativ hart und hat mir viel abverlangt", erinnert er sich an seine Ausbildungszeit.
Viele Schwangere reagieren überrascht
Seit fünf Jahren arbeitet Tobi inzwischen als Hebamme im Krankenhaus, und wenn er den Kreißsaal betritt, reagieren viele Schwangere auch heute noch verdutzt. "Der Hebammenberuf wird mit Frauen assoziiert", weiß er. "Manche Schwangere sagen, sie möchten nicht von einem Mann betreut werden. Viele sind erstmal überrascht, aber dann merken sie, dass man es gut mit ihnen meint."
Doch auch die Männer machen oft große Augen, wenn er sich als Hebamme vorstellt. "Einmal habe ich erlebt, dass ein Mann das partout nicht wollte. Ich habe ihm gesagt, dass es hier um seine Frau geht. Meine Hauptaufgabe ist es, zu tun, was die Frau möchte."
Das Wichtigste bei seinem Beruf sei die Empathie, sagt er. „Man muss die Paare dort abholen, wo sie stehen. Das kann ein Mann genauso gut wie eine Frau, wenn man ein Gespür für andere Menschen hat.“
Zwischen Stress und Glücksmomenten
577 Geburten hat Tobi bereits begleitet. Seine Berufswahl habe er nie bereut, sagt er – auch wenn es auf der Geburtsstation oft stressig zugeht. "Wenn der Kreißsaal aus allen Nähten platzt und man nicht weiß, wo vorne und hinten ist - das ist dann ein gefährlicher Punkt, weil Hebammenarbeit zur Fließbandarbeit wird", sagt er. Für sich selbst zog er deshalb vor einigen Monaten einen Schlussstrich und reichte die Kündigung ein. "Ich arbeite jetzt in einer kleineren Klinik mit weniger Geburten."
Wer sich für den Hebammenberuf entscheidet, müsse sich der Belastungen, die dieser Job mit sich bringt, bewusst sein. "Geburten sind nie planbar. Man muss sehr flexibel sein und arbeitet im Schichtdienst. Das ist körperlich anstrengend, und das darf man nicht unterschätzen. Aber man weiß, wofür man das macht: für diese tollen Geburten."
Erschwerend hinzu kommen berufspolitischen Missstände. "Es ist immer noch nicht der Fall, dass wir die 1:1-Betreuung umsetzen können", sagt er.
Trotz aller Schattenseiten könne er sich jedoch keine erfüllendere Aufgabe vorstellen. "Es ist ein Beruf mit ganz viel Dankbarkeit, der mit vielen schönen Momenten verbunden ist", erklärt Tobi. Und doch, es gibt auch diese anderen Momente. "Zur Hebammenarbeit gehört auch, Tod- und Fehlgeburten zu begleiten. Es kann jedoch auch ein Moment des Friedens sein, wenn Geburt und Tod so nah beieinanderliegen."
Eines wird es in diesem Beruf jedenfalls nie: langweilig. "Es ist ein krasser Lebensmoment für die Paare, und man darf dabei sein", erklärt Tobi. "Und es ist jedes Mal ein bisschen aufregend. Jede Geburt ist individuell, und man kann nie sagen, wie lange es dauert."
Inzwischen hat Tobi noch ein berufsbegleitendes Studium abgeschlossen, um sich künftig auch in der Hebammenausbildung zu engagieren. Doch die Arbeit im Kreißsaal möchte er nicht missen. "Ganz ohne Geburten geht es nicht", sagt er und lacht.