Aus Stiefmutter-Sicht

"Wenn ich meinen Geliebten sehen wollte, musste ich springen, wenn er gerade kinderfrei hatte"

In Grimms Märchen ist sie der ultimative Bösewicht. Keine Frage: Die Stiefmutter hat ein echtes Imageproblem. Dabei hat die Realität so gar nichts mit Aschenputtel & Co. zu tun. Warum Bonusmütter genauso liebevolle Mamas sind wie alle anderen auch …

Elsa Koester© Jan Koester
Böse Stiefmutter? Von wegen! Elsa Koester beweist das Gegenteil

Elsa Koester war Mitte dreißig, als sie sich bis über beide Ohren verliebte – in einen Mann mit zwei Kindern. "Ich hatte echt keine Ahnung, worauf ich mich wirklich einließ", sagt sie rückblickend. Zum Glück. Denn die Blauäugigkeit, mit der sie sich damals in die Romanze stürzte, bescherte ihr das vielleicht größte Abenteuer ihres Lebens – und ihre Familie. "Im Nachhinein bin ich sehr froh über diese Naivität, denn hätte ich gewusst, wie kompliziert und auch schmerzhaft das gerade in der Anfangszeit wird, wäre ich vermutlich abgeschreckt gewesen."

Was es bedeutet, Stiefmutter zu sein, bekam die Journalistin und Autorin ("Stiefmutter sein. Vom ungeplanten Glück, in einer Patchworkfamilie zu leben") von Anfang zu spüren. "Wenn ich meinen Geliebten sehen wollte, musste ich dann springen, wenn er gerade kinderfrei hatte. Und mich daran gewöhnen, dass er bei einem romantischen Date plötzlich aufspringt und losrennt, weil etwas mit den Kids ist."

Chaos, Konflikte und schlechtes Gewissen

Die beiden Kinder ihres Partners waren damals 14 und 6. Bei ihrem Kennenlernen war Elsa frisch getrennt, ihr neuer Partner wohnte noch bei seiner Ex, zusammen mit dem gemeinsamen Sohn. Die ältere Tochter lebte bei ihrer Mutter. Und das alles mitten im ersten Lockdown. "Es war das reine Chaos und dauerte Monate, bis wir überhaupt einen gemeinsamen Ort hatten."

An das erste Treffen mit ihrer Stieftochter, die sie in ihrem Buch Arianna nennt, kann sich Elsa noch genau erinnern. "Es war weird, um es in den Begriffen meiner Stieftochterfreundin zu sagen. Total verwirrend", erzählt sie. "Diese große Intimität zwischen dieser mir völlig fremden Jugendlichen und meinem Geliebten brachte mich echt durcheinander. Sie umarmten sich und kuschelten, das war ich einfach überhaupt nicht gewöhnt, und gleichzeitig war mir klar, dass ich da diejenige war, die total schräg auf Eltern-Kind-Nähe reagierte. Da fing es an mit dem schlechten Gewissen, das wohl jede Stiefmutter kennt."

Auch wenn sie Arianna sofort ins Herz schloss, waren die ersten zwei Jahre geprägt von Konflikten. "Wir waren eifersüchtig aufeinander, von der Angst getrieben, dass mein Partner beziehungsweise ihr Vater eine von uns für die andere sitzen lassen könnte, wenn es nicht mit uns allen funktioniert."

Unterstützung durch eine Familienberatung

Ihren Stiefsohn lernte sie erst kennen, als die Beziehung bereits ein Jahr lief. "Davor ging mein Partner immer die Hälfte der Zeit zu seinem Sohn und verschwand für mich in diese unbekannte Welt, in die ich nicht hinein durfte und in der ich offiziell gar nicht existierte", erinnert sie sich. "Das war für mich sehr hart, denn ich konnte mir ja auch nicht sicher sein: Werde ich ihn jemals kennenlernen? Was, wenn ich ihn gar nicht mag, während ich hier aber schon ein Leben mit meinem Partner und seiner Tochter aufbaue? Es war chaotisch und stressig, und ohne Familienberatung hätten wir die Kurve vielleicht nicht bekommen."

Die Ängste erwiesen sich im Nachhinein als unbegründet. "Dann lernte ich den Kleinen endlich kennen, und auch wir fanden uns ziemlich schnell ziemlich toll."

Drei Jahre später ist Elsa in die Rolle der Stiefmutter hineingewachsen. "Am Anfang versuchte ich, immer alles richtig zu machen, immer lieb zu sein und verständnisvoll, aber richtig eng wurde unsere Beziehung eigentlich erst dann, als es auch mal knallte: Als ich offen meine Meinung sagte, auch wenn sie den Stiefkids gar nicht gefiel, und andersherum. Wir waren wütend aufeinander, wir weinten."

Kompromisse gehören dazu

Ehrlichkeit und Authentizität sind die Stichwörter. "Wir sprachen dann viel, erklärten uns gegenseitig, entschuldigten uns, hörten uns zu, lernten uns richtig kennen und bauten so Vertrauen auf."

Besonders mit ihrer Stieftochter dauerte es eine Weile, bis sie eine Ebene fanden, die für beide funktioniert. "Wir haben darüber geredet, was wir füreinander sein wollen, und kamen darauf: Keine Ahnung, das wissen wir nicht! Mal sind wir Freundinnen, mal Stiefmutter und Stieftochter, mal sowas wie Mentorin und Mentee vielleicht. So nenne ich sie nun Stieffreundintochter oder Stieftochterfreundin, je nachdem, was gerade stärker ist."

Doch nicht nur zu den Kindern, auch zu den Müttern musste sich Elsa eine Beziehung erst erarbeiten. "Meine Stiefkids sind zur Hälfte durch ihre Mütter geprägt, und wenn ich sie liebe, dann geht das für mich nicht, ohne mindestens ein wenig Wärme für diesen Teil ihrer Identität zu empfinden", erklärt sie. "Die besten Erfahrungen habe ich damit gemacht, die anderen beiden Mütter nachzuvollziehen, zu verstehen, warum sie so handeln wie sie es tun, und dann zu überlegen: Wie können wir als Familie einen Kompromiss finden, der uns allen gerecht wird?"

Was Stiefmutter besser können

Heute weiß sie: "Eine Stiefmutter hat eine andere Rolle als eine Mutter. Ich fühle mich nicht in Konkurrenz zu den Müttern meiner Stiefkids, es ist für mich klar, dass sie eine wesentlich intimere Beziehung zu ihnen haben als ich und die größten Erziehungsfragen auch erstmal zwischen den Eltern besprochen werden."

Da sie nicht die klassische Mutterrolle erfüllt, bringt ihre Rolle als Stiefmutter auch einige Vorteile mit sich: 

In Teenage-Phasen, in denen sich Arianna an ihren Eltern abarbeitet, bin ich eine willkommene Ansprechpartnerin, denn ich habe ja nichts 'verbrochen' in ihrer Kindheit!

Auch wenn die Familie inzwischen ihren Weg gefunden hat, bleibt der Argwohn von Außenstehenden dennoch bestehen. Vorurteile erlebt Elsa in ihrem eigenen Alltag ständig: Bei Chorkonzerten der Kids, Theateraufführungen in der Schule, beim Abholen der Kinder von Freunden oder bei gemeinsamen Ausflügen mit ihrem Stiefsohn und seinen Freunden. "Die Eltern der anderen Kinder schlucken grundsätzlich, wenn ich mich als Stiefmutter vorstelle, und das ist auch nicht anders, wenn ich versuche, das Wort zu meiden, und etwas sage wie: 'Ich bin Elsa, die Partnerin vom Papa des Kleinen'."

Die Zurücksetzung spürt Elsa in vielen Alltagsmomenten. "Wenn es Absprachen gibt, also was die Kids essen dürfen und was nicht, oder wann man sie zurückbringen kann, dann wird ausschließlich mein Partner adressiert."

Und dann gibt es noch das Vorurteil, sie würde ihr Leben "für diesen Mann" aufopfern. "'Der Typ hat ja Glück, hat eine gefunden, die die Sorgearbeit für seine Kids übernimmt!' Dass wir einfach nur Familie füreinander sein wollen, das verstehen leider die wenigsten."

Woher kommt das schlechte Image der Stiefmutter?

Doch warum ist der Ruf der Stiefmutter dermaßen ramponiert? "Sie ist keine Mutter, sie ist bloß Partnerin, sie hat also gar keinen Instinkt, um die armen Kids zu schützen, sondern will nur den Papa rauben und die Kinder wegekeln, um eine eigene Familie zu gründen! So wird es ja erzählt in Aschenputtel", erklärt Elsa. Dieses Imageproblem bekommt sie selbst auch manchmal zu spüren: "Diese Skepsis, ob ich für die Kinder wirklich gut sein kann, die weht mir auch manchmal entgegen", sagt sie. "Ich denke, in Zeiten queerer Co-Mutterschaft, von ersten Drei-Eltern-Konstellationen, sozialen Eltern und Transelternschaft können wir uns langsam an den Gedanken gewöhnen, dass auch Menschen durchaus in der Lage dazu sind, die Bedürfnisse von Kindern wahrzunehmen und zu befriedigen, die kein Baby in ihrem Bauch hatten."

Dafür, dass das Misstrauen Stiefmüttern gegenüber ziemlich unfair ist, ist Elsas Geschichte der beste Beweis. Manches bespreche Arianna sogar lieber mit ihr als mit ihren Eltern, weil sie nicht so involviert sei in die Konflikte der Vergangenheit. Inzwischen haben die Kinder und sie auch ihre ganz eigenen Rituale. "Zum Beispiel habe ich zu Hause den Filmabend eingeführt, wie meine Mutter und ich ihn zelebriert haben. Mein Stiefsohn liebt es jetzt, sich mit mir in das Sofa zu kuscheln und zusammen mit mir Filme zu sehen. Die Bücher hat er von seiner Mutter und seinem Vater, aber die Filme von mir."

Buch-Tipp: "Stiefmutter sein: Vom ungeplanten Glück, in einer Patchworkfamilie zu leben"

"Wie ich damit umgehe, wenn die Leute in den Grimmschen Märchen stecken bleiben? Ganz einfach: Ich habe mich dermaßen empört, dass ich ein Buch darüber geschrieben habe!", sagt Elsa Koester. Darin räumt sie auf mit alten Vorurteilen über Stiefmütter und erklärt, warum ein Umdenken längst überfällig ist.