Alte Muster durchbrechen

Toxische Großeltern: Wie Eltern ihre Kinder vor übergriffigem Verhalten schützen

Viele Familien sind geprägt von andauernden Konflikten und toxischen Verhaltensweisen. Spätestens, wenn Kinder ins Spiel können, müssen Eltern handeln.

Eltern streiten, Kind ist unglücklich.© iStock/PeopleImages
Kinder sind toxischem Verhalten wehrlos ausgeliefert.

Zuerst ist es meist nur so ein Gefühl. Ein Unbehagen. Der vage Verdacht, dass irgendwas falsch läuft. Wer in einer toxischen Familie aufwächst, findet meist erst viel später die richtigen Begriffe für das Erlebte.

"Jeder merkt es, obwohl sich viele nicht bewusst sind, dass sie in einer toxischen Familie leben. Es ist nicht zu übersehen. Man fühlt sich unwohl, ist gestresst, ärgert sich viel, ist deprimiert, entwickelt Ängste", erklärt Thomas Hohensee, Coach und Autor ("Toxische Familien").

Das Perfide daran: "Man weiß nicht, wie man besser mit ihnen umgehen soll. Ein chronisches Unwohlsein ist in toxischen Familien die Regel, von morgens bis abends. Es gibt auch harmonische Momente, in denen sich alle wohlfühlen, aber das ist die Ausnahme. Und weil man sich daran gewöhnt, betrachtet man es als das neue Normal."

Toxische Muster erkennen und durchbrechen

Toxische Beziehungen – der Begriff ist derzeit in aller Munde und wird im Internet nahezu inflationär benutzt. Doch was bedeutet der Ausdruck wirklich?

Eine klare, eindeutige Definition dafür, dass eine Familie toxisch ist, gibt es nicht. "Gewalt war früher die Regel. Das hat zum Glück stark abgenommen. Aber es gibt noch immer die Negativität, das übermäßige Kritisieren der Kinder, das einen runterzieht", so Thomas Hohensee.

Generell gilt: Meist spüren Menschen, dass es ein Problem gibt, bevor sie es benennen können. "Schon Babys merken, dass etwas schiefläuft. Aber Kinder sind machtlos. Das Bewusstsein entwickelt sich erst später, wenn man mehr differenzieren kann. Oftmals erkennen Kinder, dass es in anderen Familien ganz anders läuft."

5 wichtige Merkmale toxischen Verhaltens

  • Persönliche Grenzen werden missachtet.
  • Toxische Personen verhalten sich egozentrisch und eigennützig.
  • Nach Kontakt mit der toxischen Person bleibt ein Gefühl der Verletztheit zurück.
  • Die Beziehung beruht nicht auf Gegenseitigkeit und Augenhöhe.
  • Toxische Person scheinen in einer anderen Realität zu leben. Es fallen Sätze wie "Das ist nicht passiert" oder "Das habe ich nicht gesagt", obwohl sich das Gegenteil beweisen lässt.

Hilfe, bin etwa ich das Problem?

Wenn Menschen sich der toxischen Muster innerhalb ihrer Herkunftsfamilie nicht bewusst werden und sich aktiv dafür entscheiden, sie zu durchbrechen, entsteht häufig ein Teufelskreis: Wer selbst in einer dysfunktionalen Familie aufgewachsen ist, neigt dazu, die schädlichen Verhaltensweise weiterzugeben. "Es prägt das eigene Denken", weiß Thomas Hohensee. "Wenn einem gesagt wird, dass man nichts kann oder ein schlechter Mensch ist, nimmt ein Teil von einem das auf und es kommt in Stresssituationen wieder auf. Man verinnerlicht es und wird auch schneller getriggert und reagiert überempfindlich." Das wiederum kann einen negativen Einfluss auf das eigene Verhalten innerhalb einer Familie haben.

Doch: Toxische Muster lassen sich ablegen. Oftmals ist es allerdings ein langer Prozess. Der erste Schritt ist, sich überhaupt erst über darüber bewusst zu werden, welche Auswirkungen bestimmte Verhaltensweisen auf andere haben.

Thomas Hohensee rät: "Bei den Gefühlen ansetzen: Wenn man merkt, dass man ein Stressklima erzeugt, selbst Streit vom Zaun bricht, Kinder ständig kritisiert und andere und man selbst darunter leidet, dann kann die Einsicht wachsen, etwas zu ändern. Man muss merken, durch welche Gedanken das eigene Verhalten ausgelöst wird. Wenn man losbrüllen möchte und sich stoppt, ist das ein Fortschritt. Es geht darum, Alternativen zu finden."

Toxisches Verhalten sei wie die Muttersprache, die man von kleinauf erlernt. "Man übernimmt viele Gewohnheiten und Verhaltensweisen von zu Hause, und es ist schwer, sich davon zu lösen."

Die eigenen Kinder vor toxischen Großeltern schützen

Wenn Familienfeste wie Weihnachten anstehen, wird für viele Betroffene der Besuch bei der Herkunftsfamilie zur Tortur. In diesen Situationen geht es darum, sich selbst zu schützen. "Man kann nur sein eigenes Verhalten steuern. Es ist wichtig zu überlegen, wie man es überstehen will. Man muss den festen Entschluss haben, sich nicht in alte Muster drängen zu lassen. Das ist anstrengend, aber man darf sich nicht irritieren lassen. Es ist auch wichtig zu überlegen, ob und wie lange man sich dem aussetzen will. Wenn man am Ende unglücklich, nützt das keinem", so der Experte.

Besonders kompliziert wird es, wenn eigene Kinder ins Spiel kommen, die es zu schützen gilt. "Großeltern verhalten sich den Enkeln gegenüber zwar oft anders als zu den eigenen Kindern", weiß Thomas Hohensee. Wiederholen sie jedoch auch der nächsten Generation gegenüber ihr Fehlverhalten, ist es wichtig, dass die Eltern sich vor ihre Kinder stellen. "Je früher man das unterbindet, desto besser. Kinder sind darauf angewiesen, dass die Erwachsenen ihnen helfen. Sie müssen Konflikte riskieren, und wenn jemand partout nicht einlenkt, muss man halt gehen, auch wenn es ein Tabubruch ist."

Grenzen setzen und Konsequenzen ziehen

Ein guter Indikator sei auch, wenn Kinder ein Treffen mit den Großeltern ablehnen. Eltern sollten dann hellhörig werden. "Kinder sind sehr offen und sagen, wenn sie nicht zu den Großeltern wollen, und das sollten Eltern respektieren."

Grundsätzlich gilt: "Man muss sich das nicht gefallen lassen und darf Grenzen setzen. Viele machen den Fehlern, zu reden und zu appellieren, aber niemand ändert sich einfach so. Man muss Zeichen setzen und konsequent sein. Vollendete Tatsachen schaffen. Das ist etwas Beeindruckendes, wenn man fest dabei bleibt. Man muss riskieren, dass die Beziehung zerbricht. Häufig respektieren die anderen dann die Grenzen. Wenn man ganz ruhig und bestimmt auftritt, dann lenken viele ein."

Toxisches Verhalten: Definition

Toxisches Verhalten bezieht sich auf eine Art von Verhaltensweisen, die schädlich, negativ oder belastend für andere Menschen sind. Der Begriff "toxisch" (bedeutet "giftig") wurde im Bereich der Psychologie erstmals 1972 in einem US-Fachblatt verwendet und wurde dort auf zwischenmenschliche Beziehungen und Verhaltensweisen übertragen. Toxisches Verhalten kann verschiedene Formen annehmen, wie zum Beispiel Mobbing, Manipulation, Aggression oder ständiges Kritisieren. Es kann zu emotionaler oder psychischer Belastung führen und die betroffenen Personen in ihrer Entwicklung und ihrem Wohlbefinden beeinträchtigen.