
Der 1. Januar 2007 war ein Meilenstein in der Familienpolitik: An diesem Tag wurde das Elterngeld eingeführt. Seitdem hat sich der Anteil der Väter, die diese Leistung in Anspruch nehmen, verdoppelt. Tatsächlich ist er aber auch heute noch ziemlich niedrig: Lediglich 43 Prozent aller Väter, nachzulesen in einer aktuellen Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB), stellen überhaupt einen Antrag auf Elterngeld. Die wertvollen Elternzeit-Erfahrungen, von denen unsere Väter auf der Seite vorher schwärmen, sind immer noch die Ausnahme – zumindest in Zahlen gesehen. Nur jeder zehnte Elternzeit-Papa nimmt mehr als die klassischen zwei Monate. Und die werden dann eben nicht allein genutzt, sondern oftmals, um als Familie zu verreisen. Echte Fortschritte bei der Aufteilung der Familienarbeit? Fehlanzeige. Denn Fakt ist: 98 Prozent der Mütter nehmen Elternzeit! Wird Familie heute wirklich noch so konservativ gedacht? Und ist es überhaupt verwerflich Elternzeit (auch) als Urlaub zu verstehen?
Auch auf Instagram hat Influencer-Papa Sebastian Tigges das Thema angesprochen und ist damit auf extremes Diskussionspotenzial gestoßen:
Die Frau hat das Baby, der Mann den Job
"Das Problem ist vielschichtiger, aber tatsächlich leben die meisten Familien immer noch das 'klassische' Modell", sagt Imke Dohmen, Mama-Coach und Psychologische Beraterin aus Hamburg. Die Frau kümmert sich ums Baby und erledigt die Care-Arbeit, während der Mann den finanziellen Rahmen der Familie setzt. So wurde es uns schließlich jahrzehntelang von unseren eigenen Eltern vorgelebt. Außerdem: Neun Monate im Bauch, die Geburt, das Stillen – das bindet Frauen emotional enorm an ihr Kind, dafür geben sie sogar (zeitweise) ihren Job auf. Die Krux: Oft fehlt dann die Wertschätzung von außen. Die suchen Mamis dann wieder im selbstgebauten Nest, inklusive Expertise rund um Pekipkurs und Beikostplan. Und der Papa? Der kann schon mal außen vorbleiben, auch wenn das eigentlich gar nicht will ...
Hindert uns also das sogenannte Maternal Gatekeeping an echter Gleichberechtigung?
Nein, so einfach ist das natürlich nicht: "Frauen müssen, um loslassen zu können, erst einmal vertrauen", betont Imke Dohmen und ergänzt, dass das Ganze natürlich auch hochgradig politisch ist: "Kann eine Frau überhaupt den finanziellen Ausgleich schaffen? Die Gender-Pay-Gap ist leider Realität. (Anm. d. Red.: Aktuelle Zahlen aus 2022 berechnen, dass Frauen immer noch etwa 18 Prozent weniger verdienen als Männer.) Viele Paare können es sich aktuell schlichtweg nicht leisten, die Elternzeit gleich aufzuteilen." Erste Ideen hierzu kommen von den Grünen aus Bayern: Jedes Paar könnte beispielsweise 3000 Euro zusätzlich erhalten, wenn die Elternzeit jeweils zur Hälfte von Mutter und Vater genommen wird.
Denn die Bereitschaft von Männern zu mehr Elternzeit ist tendenziell da – die Sorge um Karriereknick und Gehaltseinbußen aber groß. Imke Dohmen sagt: "Viele Arbeitgeber in Deutschland sind leider noch nicht so weit. Ein Vater aus meinem Bekanntenkreis wollte Elternzeit nehmen, da hat sein Arbeitgeber ihm gekündigt." Dabei zeigt die BIB-Studie: Das berufliche Ansehen steigt bei Männern – anders als bei Frauen – mit genommener Elternzeit sogar. Eine norwegische Studie hat Folgendes ergeben: Wenn Männer Elternzeit nehmen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kollegen es auch tun werden, um elf Prozent.
"Wir Frauen dürfen uns im Loslassen üben"
Ein Blick in die Zukunft gibt Grund zur Hoffnung: Das Väternetzwerk "Conpadres" hat in einer Umfrage herausgefunden, dass nahezu 100 Prozent der zukünftigen Väter Elternzeit nehmen wollen. Und über die Hälfte von ihnen möchten sich die Elternzeit gleichwertig mit ihren Partnerinnen aufteilen.
Ja, und bis dahin spricht nichts gegen eine gemeinsame Tour – wie auch immer die dann aussieht. Exklusivzeit als Familie, die unsere Mamas (und Papas!) auf der ersten Seite dieses Artikels nicht mehr missen wollen. Denn Gleichberechtigung in Sachen Kindererziehung beschränkt sich schließlich nicht auf die ersten 14 Monate. "Ob die Elternzeit im Ausland oder zu Hause genommen wird, entscheidet natürlich jede Familie selbst", betont Imke Dohmen und empfiehlt: "Wir Frauen dürfen uns im Loslassen und die Männer im Verantwortung-Übernehmen üben. Das eine geht nur mit dem anderen. Wenn mein Partner Dinge anders macht, heißt es nicht, dass einer von uns etwas falsch macht – eben nur anders."
Was Eltern dazu sagen ...
Nadine (35) aus Hamburg, Journalistin, eine Tochter (3), mit ihrem Mann Michael: "Wir haben die gemeinsame Zeit sehr genossen"
Unsere Elternzeit haben wir zwar nicht klassisch aufgeteilt, aber die meiste Zeit habe ich übernommen. Nicht weil mein Mann nicht dazu bereit gewesen wäre – im Gegenteil: Er hätte große Lust darauf gehabt, ein paar Monate länger zu Hause zu bleiben. Aber manchmal ist das eben auch eine Geldfrage. Umso wichtiger war es aber auch, dass wir uns am Ende sieben Wochen Zeit für gemeinsamen Elternurlaub genommen haben. Wir haben uns das Wohnmobil einer Freundin geliehen und sind damit durch Deutschland getingelt: mecklenburgische Seenplatte, Spreewald, fränkische Schweiz, Allgäu, Schwarzwald und die Pfalz waren unsere Highlights. Wir haben die gemeinsame Zeit sehr genossen – sie war so wichtig für unsere kleine Familie. Ich kann nicht bestätigen, dass mein Mann nicht wüsste, wie er sich allein um unsere Tochter kümmert. Es kommt auf die Einstellung an: Sobald er nach der Arbeit zu Hause war oder auch in unserem Urlaub hat er viele Aufgaben übernommen und wollte immer alles gleichberechtigt aufteilen. Meine Tochter ist heute sogar ein Papa-Kind.

Bonnie (37) aus Hamburg, Personal-Coach, eine Tochter (18 Monate), mit ihrem Mann Marvin: "Der Alltag wird an einen anderen Ort verlagert"
Dass wir die Elternzeit für den Urlaub nutzen möchten, war uns schon vor der Geburt unserer Tochter klar. Denn mein Mann Marvin und ich sind immer viel und gerne gereist. Zugegeben, Urlaub mit Kind hat nichts mit der Art Urlaub zu tun, wie wir ihn kannten. Entspannt ausschlafen und dann frühstücken? Stundenlanges Sightseeing und sich treiben lassen? Fehlanzeige. Wir stellten schnell fest, dass der Alltag mit all seinen Herausforderungen einfach an einen anderen Ort verlagert wird. Rückblickend war unsere Reise nach Belgien zwar anstrengend, aber auch wertvoll. Weil wir als Familie noch mehr Zeit zusammen hatten – ohne Meetings und Abgabefristen. Unsere Tochter mochte das Meer genauso gerne, wie im Kinderwagen durch die hübschen Gassen in Brügge geschoben zu werden, mit dem Zug zu fahren oder in der Trage Brüssel zu erkunden. Wir freuen uns schon darauf, ihr die Welt zu zeigen und mit ihr andere Kulturen zu entdecken. Dass wir ein Sabbatical machen und durch Amerika reisen, bevor sie in die Schule kommt, steht jetzt schon fest. Und einen Wunsch haben wir dann doch noch: Sobald sie älter ist und bei Oma übernachten mag, fahren wir zu zweit weg. Paarzeit ist nämlich genauso wichtig wie Familienzeit.

Robert (34), Immobilienverwalter aus Berlin, ein Sohn (13 Monate): "Ich verbringe jeden Tag aktive Zeit mit meinem Kind"
Ich selbst wollte ursprünglich nur drei Monate Elternzeit nehmen, doch meine Freundin bestand auf einer gerechten Verteilung. So haben wir jeweils sechs Monate Elternzeit genommen, ohne uns zu überschneiden. Das hatte vor allem finanzielle und organisatorische Gründe. Im Nachhinein bin ich sehr dankbar dafür! Ich verbringe jeden Tag so viel aktive Zeit mit meinem Kind. Dieser permanente Umgang erhöht – zumindest bei uns – seine Abhängigkeit zu mir enorm: Es ist ganz nett, wenn Mama von der Arbeit kommt, aber getragen werden will mein Sohn nur von mir. Während ihrer Elternzeit war es genau andersrum. In der Zeit, die wir alleine sind, lerne ich ihn immer besser kennen. Ich glaube, vieles davon würde ich bei gemeinsamer Elternzeit nur oberflächlich wahrnehmen, weil dort eine ganz andere Dynamik herrscht. Ich würde mich automatisch etwas mehr zurücknehmen und eher den Haushalt machen. Wenn es finanziell drin ist, würde ich beim nächsten Mal nicht mehr nebenbei in Teilzeit weiterarbeiten. Ein gemeinsamer Urlaub käme für mich erst später in Frage, wenn der Entwicklungsfortschritt des Kindes es zulässt. Aber im Moment wäre ich daran gar nicht interessiert, weil ich ganz zufrieden mit der Situation bin.

Ole (36), Gewerkschaftssekretär aus Hamburg, eine Tochter (18 Monate), ein Sohn (4): "Beide sollen den Alltag mit Kind alleine kennenlernen"
Nach der Geburt unseres Sohnes hatte ich zwei Monate Elternzeit, davon einen gemeinsam mit meiner Freundin. Bei meiner Tochter waren es dann vier Monate Elternzeit, davon 1,5 Monate gemeinsam. Uns war es wichtig, dass beide Elternteile den Alltag mit Kind alleine kennenlernen: vom Kinderarzt über die Krabbelgruppen bis zur Eingewöhnung in die Krippe. Gerade auch die Vaterrolle braucht das meiner Meinung nach unbedingt, da die biologische Abhängigkeit einfach nicht so da ist und man Sicherheit und Selbstvertrauen für die neue Lebenssituation gewinnt, und natürlich eine eigene Bindung zum Kind herstellen kann. Auch für die Beziehung zwischen uns als Paar war die Aufteilung förderlich: Als meine Elternzeit begann, gewann meine Partnerin viele Freiheiten und Alltagsroutinen aus kinderlosen Zeiten zurück und kam raus aus der "Ratgeberinnen-Rolle". Eine große Reise in der Elternzeit kam für uns nie in Frage: Ich hätte mir wirklich nicht vorstellen können, die Kinder stundenlang in ein Flugzeug oder Auto zu setzen und tagelang mit der Trage durch die Anden zu laufen. In den neuen Alltag zu finden war mir Abenteuer genug.
