
Bis zur Geburt ihrer Tochter liest sich der Lebenslauf von Sandra Westermann wie ein Bilderbuch: Ausbildung, Master, 15 Jahre Berufserfahrung, Produktionsleiterin beim Film. Doch dann der große Karriereknick! Nach der Elternzeit findet sie keinen Job – zumindest keinen, der sich mit ihrem Kind vereinbaren lässt. "Dass die Schwangerschaft mein Berufsleben so durcheinander bringen könnte, hätte ich nie gedacht", sagt die 39-Jährige. "Es ist doch unvorstellbar, dass eine Frau eine Ausbildung macht oder studiert, jahrelang Berufserfahrung vorweisen kann und dann wegen eines Kindes in der Berufswelt nicht mehr ernstgenommen wird. Und das nur, weil die Unternehmen sich nicht auf die Bedürfnisse von Müttern einstellen." Sandra Westermann findet schließlich ein befristetes Arbeitsprojekt, das sie zeitlich flexibel erledigen kann. Sie sitzt morgens sehr früh am Schreibtisch, macht zum größten Teil Homeoffice, arbeitet bei Bedarf auch mal abends oder am Wochenende und kann dennoch ihre Tochter von der Kita abholen und Zeit mit ihr verbringen. Anschließend ist sie um die Erkenntnis reicher, dass sie trotz Kind in Vollzeit arbeiten kann. Sie braucht dafür nur den richtigen Arbeitgeber. Nämlich einen mit familienfreundlichen Arbeitsmodellen.
Die Rückkehr nach der Elternzeit ist für Frauen noch immer die schwerste Karrierehürde. Laut Mikrozensus 2016 waren im Jahr 2017 69 Prozent der erwerbstätigen Mütter in Teilzeit beschäftigt und nur sechs Prozent der Väter. Bei einem Wiedereinstieg nach einer familienbedingten Erwerbsunterbrechung bekommen 30 bis 40 Prozent der Frauen nur Stellen, für die sie formal überqualifiziert sind. Zahlen, die zeigen, dass die Vereinbarkeit von Kind und Karriere alles andere als optimal läuft. Sandra Westermann möchte das ändern. Da sie nach ihrem befristeten Projekt keine Jobbörse finden konnte, die gezielt familienfreundliche Jobs anbietet, hat sie im Mai 2019 genau so eine gegründet. "Ob alleinerziehende Mutter oder Großfamilie. Voll- oder Teilzeit. Beruf und Familie muss möglich sein", so das Motto von "Superheldin". Natürlich dürfen sich auch Väter bewerben. Doch die Unternehmerin möchte gezielt Mamas unterstützen: "Ich finde, dass Mütter nach wie vor durch die festgesetzte Rollenverteilung benachteiligt sind. Auf meiner Plattform sollen sie sich wohlfühlen und vor allem nicht das Gefühl haben, sie müssten ihr Kind verstecken, um einen qualifizierten Job zu finden."
Der Fachkräftemangel in Deutschland spielt ihr dabei besonders in die Karten. Laut Innovationsreport 2016 der IHK finden vier von fünf Unternehmen nicht genügend Fachkräfte. Freie Stellen konnten 2016 im Schnitt erst nach 90 Tagen besetzt werden, 2017 sogar erst nach 100 Tagen (Fachkräfteengpassanalyse der Arbeitsagentur vom Juni 2018). Doch nicht nur die gute Ausbildung wissen Unternehmen an Müttern zu schätzen. "Mamas arbeiten besonders effizient, da sie genau wissen, dass sie ihr Kind pünktlich abholen müssen. Sie sind gut organisiert, stressresistent und belastbar. Viele sind auch bereit, sich beispielsweise abends noch einmal an den Rechner zu setzen. Weil sie eben auf keinen Fall als 'Mutti' auf das Abstellgleis geschoben werden wollen", so die Gründerin. Auch das häufig angebrachte Argument, Mütter seien ständig krank, kann sie nicht bestätigen: "Ich höre von Unternehmen immer wieder, dass es bei den Krankentagen keinen Unterschied zwischen Eltern und kinderlosen Mitarbeitern gibt. Meiner Erfahrung nach schleppen Mütter sich selbst dann noch in die Firma, wenn es ihnen gar nicht gut geht. Sie sind es halt gewohnt, alles am Laufen zu halten."

Sandra Westermann findet, dass eine individuelle Arbeitszeitgestaltung der Schlüssel für zufriedene Mitarbeiter und Arbeitgeber ist. Auch, wenn es im ersten Moment kompliziert klingen mag, mit jedem Angestellten persönliche Absprachen treffen zu müssen. Seit sie "Superheldin" gegründet hat, hat sie viele Arbeitsmodelle kennengelernt, die Mütter konkret unterstützen sollen. Darunter z. B. Vertrauensarbeitszeit, Gleitzeit, Job-Sharing, extra Krankentage, eine mobile Krankenpflege für das Kind, Betriebskindergärten, gezielte Coachings für Mütter in Führungspositionen oder ein duales Studium in Teilzeit. Die Digitalisierung spielt dabei eine große Rolle: Dank moderner Arbeitsmittel ist ein Arbeitsalltag aus dem Homeoffice heute ganz leicht zu bestreiten. "Unternehmen müssen sich den Moment nehmen, um individuelle Lösungen und Absprachen mit ihren Mitarbeiterinnen zu erarbeiten", so Westermann. "Andersherum sollten Mütter aber auch schon in der Elternzeit ganz gezielt auf ihren Arbeitgeber zugehen und konkret äußern, was sie brauchen, um einen guten Job machen zu können." In vielen Firmen wurden mittlerweile ganze Abteilungen oder einzelne Positionen geschaffen, die sich mit dem Wiedereinstieg von Müttern beschäftigen. Zum Teil werden auch Workshops während der Elternzeit angeboten, um die Mitarbeiterinnen auf dem Laufenden zu halten. "Mütter sollten ganz offen kommunizieren, wie sie sich ihre Rückkehr vorstellen. Und sich in der Babypause mental nicht völlig von ihrem Arbeitgeber lösen."
Sandra Westermann lebt das Modell "Kind und Karriere" durch die Gründung von "Superheldin" gerade selber durch und durch. Und weiß daher nur allzu gut, wie schwer es sein kann, alles unter einen Hut zu bringen. Ihr Rat: Sich ein gutes Netzwerk aus Familie, Freunden und Babysittern aufzubauen, falls mal ein Engpass oder Notfall auftreten sollte. "Jede Mutter hat den Kopf nur dann wirklich frei, wenn sie weiß, dass ihr Kind gut versorgt ist. Zudem sollte man sich auch bewusst machen, dass Vereinbarkeit mal besser, mal schlechter funktioniert. Jede Mutter, die gerne arbeitet, weiß, dass es häufig ein Spagat ist. Ich versuche, auf mein Gefühl zu hören und im Zweifelsfall Inseln zu schaffen, um Zeit mit meiner Familie zu verbringen." Ein weiterer wichtiger Punkt: Mamas wollen sich häufig gerne beweisen und es allen Recht machen. Nicht selten tappen sie dabei in die Perfektionsfalle und setzen sich selber viel zu sehr unter Druck. Aber ein Arbeitsleben mit Kind sieht nun einmal anders aus wie ein Arbeitsleben ohne Kind. Oder wie die ehemalige Bundesministerin für Familie, Renate Schmidt, es kürzlich in einem Interview mit dem "Zeit Magazin" auf den Punkt brachte: "Man kann nicht gleichzeitig hundertprozentige Berufsfrau, hundertprozentige Mutter, hundertprozentige Partnerin sein ... dann wird man ein dreihundertprozentiges Wrack!" Mamas brauchen nicht nur gute Jobs mit flexibler Zeiteinteilung. Sie brauchen auch Unterstützung, Wertschätzung und wie es neudeutsch so schön heißt "Empowerment".
So funktioniert das Jobportal "Superheldin":

- Unternehmen können ihre Jobgesuche oder ein Firmenporträt auf der Plattform einstellen und sich gezielt auf die Suche nach motivierten, berufserfahrenen Müttern machen. Vorab wird durch einen Fragebogen abgeklopft, wie familienfreundlich die Firmen sind.
- Mütter können sich kostenlos auf die Inserate bewerben. Und sich sicher sein, dass sie sich nicht umsonst bewerben, da gezielt flexible Jobmodelle ausgeschrieben sind.
- Gesucht wird in allen Bereichen – von der Juristin über die Erzieherin bis hin zur Assistentin der Geschäftsführung.
Mehr Infos: www.superheldin.io
Autorin: Jana Kalla