
Am Anfang dachte Paul, es sei ganz normal, dass Lena ihm ihre Tochter nur widerwillig überließ. Er schob es auf die Hormone, die Geburt sowie auf die durch das Stillen ohnehin sehr enge Beziehung zwischen Mutter und Kind.
Immer wieder fühlte er sich zurückgewiesen und ausgeschlossen, dabei hätte er die kleine Zoe zu gerne auch mal länger im Arm gehalten. Sie konnten doch so glücklich sein, dass Lena mit 43 wider Erwarten doch noch Mutter werden durfte. Fast hatten sie die Hoffnung schon aufgegeben. Geplant war, dass sie sich die Aufgaben und Betreuung für die Kleine teilen, und Paul hatte sich bei seinem Chef seine zweimonatige Elternzeit hart erkämpft. Er hatte Lena seine tatkräftige Unterstützung versprochen. Doch nun, seitdem Zoe auf der Welt war, war alles plötzlich ganz anders.
Maternal Gatekeeping – der Papa wird ausgeschlossen
Seine Freundin zog sich nicht nur zum Stillen mit dem Kind zurück. Durch ihr Verhalten, das der einer Türsteherin ähnelte, hatte Paul das Gefühl, er sei komplett von beiden abgeschnitten. Sobald er die Kleine hochhob, nahm Lena sie ihm mit dem Kommentar "Lass mal, ich mach das schon!" sofort wieder weg.
Zunächst übte Paul sich noch in Gelassenheit. Doch nach einigen Monaten des "Kindesentzuges" kamen Zweifel auf und er resignierte ein Stück weit. Er fühlte sich komplett überflüssig und erkannte seine Freundin nicht wieder. Da halfen auch keine Aufmerksamkeiten, die sie positiv stimmen und seine Anteilnahme zeigen sollten. Lena schottete Zoe komplett ab, als hätte sich eine Tür zwischen Vater und Kind sowie der Mutter geschlossen – ein klassischer Fall von Maternal Gatekeeping – auf Deutsch in etwa "mütterliches Türstehen".
Wenn Reden nicht mehr möglich ist – gescheiterte Rollenverteilung
Lena war nach der Geburt wie ausgewechselt und zu einer Art hysterischen Glucke mutiert. Außer fürs Stillen, Verdauungsprobleme und Schlafrituale von Zoe schien sie sich für nichts mehr zu interessieren. Paul blieb außen vor und die Beziehung schlitterte auf einen Tiefpunkt zu. Mit seiner Freundin darüber zu reden war nicht möglich, sie blockte jeden zaghaften Ansatz direkt ab.
So versuchte er, sich zumindest im Alltag nützlich zu machen, putzte die Wohnung und erledigte die Einkäufe. Allerdings hatte Paul sich unter Elternzeit und Gleichberechtigung wirklich etwas anderes vorgestellt. Sobald er Zoe anfasste oder ihr die Windel wechseln wollte, kritisierte ihn Lena und übernahm es selbst. Was er auch tat, war falsch und konnte ihrem Anspruch nicht genügen. Sogar ihre sonst heiß geliebten Mädelsabende wurden Lena gleichgültig. Sie blieb lieber zu Hause als Paul die alleinige Verantwortung für Zoe zu überlassen.
Wie kommt es zu Maternal Gatekeeping?
Lena ist kein Einzelfall. Das häufige Phänomen des mütterlichen Kontrollbedürfnisses – Maternal Gatekeeping – ist wissenschaftlich erforscht. Meistens tritt es beim ersten Kind sowie bei etwas älteren Müttern auf. Der Begriff beschreibt die Mutter als Türsteherin, die dem Vater (und manchmal auch anderen Personen) konsequent den Zugang zum Kind verschließt. Einer US-Studie der Bringham University zufolge legen bis zu 25 Prozent der jungen Mütter dieses Verhalten an den Tag. Eine deutsche Langzeitstudie bestätigt: Etwa jede fünfte frisch entbundene Frau blockiert in ihrer Rolle als Mutter zu Hause das väterliche Engagement in der Familie.
Was Mütter antreibt
Diplompsychologin Christine Geschke aus Hamburg sieht verschiedene Gründe darin, warum sich manche Mütter als "alleinige qualifizierte Spezialistin in Sachen Kind" empfinden. Sie sehen die Mutterrolle in unserer Gesellschaft als "immer noch nicht genügend anerkannt, während der Partner im Job die nötige Bestätigung findet" und wollen klarmachen: "Hier bin ich hochkompetent!"
Eine weitere Ursache ist, dass "Frauen versuchen, ihr defizitäres Selbstwertgefühl über eine perfekte Mutterrolle zu kompensieren." In der ausschließlichen Mutter-Kind-Bindung können Mütter wie Lena aufgehen, ihren Perfektionismus präsentieren und im eigenen Herrschaftsanspruch ihr Selbstbewusstsein stärken. Darüber hinaus kann Maternal Gatekeeping Geschke zufolge "als Machtkampf in einer dysfunktionalen Paarbeziehung ausgetragen werden."
Häufig geht es in dem Konflikt um die Beziehung zwischen Mutter und Vater. Paartherapeuten sehen hier eine "Bindungsstörung". Demzufolge sind mütterliche Türsteherinnen nicht in der Lage, sich auf eine Beziehung mit mehr als einer Person einzulassen und entscheiden sich für das Kind. Oft ist die Ursache dafür in der eigenen Kindheit zu finden. Die Mutter will die Beziehung zwischen Vater und Kind so weit kontrollieren, dass gar keine Bindung zwischen den beiden entstehen kann.
Maternal Gatekeeping bei Trennung
In Extremfällen wie einer Trennung kann Maternal Gatekeeping dazu führen, dass der Vater als Versager im Umgang mit dem Kind dargestellt wird. Daraus kann die betroffene Frau tiefe Bestätigung ihrer eigenen Macht ziehen. Manche Gatekeeperinnen sind auch selber in Familien mit klassischer Rollenverteilung groß geworden: Der Vater ging arbeiten, das Kind fiel in den Aufgabenbereich der Mutter.
Wiederholt sich dieses Muster und sieht die Frau ihre Mutterrolle als wahllose Pflicht, kann das gefühlte Ungleichgewicht zu starker Frustration führen. Zum Ausgleich verwehrt sie ihrem Partner den Zugang zu "ihrem Bereich". Auch bei gemeinsamem Sorgerecht: Im Trennungsfall wird häufig der Vater vom Kind ferngehalten, um ihn zu bestrafen und das Kleine vor ihm zu schützen. Dieses Verhalten soll dem Ex-Partner zeigen, dass er als Partner und als Vater versagt hat.
Was macht Maternal Gatekeeping mit der Beziehung zwischen Vater und Kind?
Natürlich sind zurückgewiesene Elternteile wie Paul frustriert. Sie fühlen sich als Störfaktor und plagen sich mit Schuldgefühlen. Meist reagieren sie mit Rückzug und Resignation, da die Partnerin emotional unerreichbar bleibt.
Christine Geschke weiß, dass Väter sich oft ausgeschlossen, entwertet und gleichzeitig hilflos ihren Frauen gegenüber fühlen. "Sie erleben ihre Frauen als lieblos und rigoros in der Ablehnung der väterlichen Kompetenzen. In dem Maße, wie die Expertenrolle für diese Frauen eine Dienlichkeit hat, wird es kaum mehr möglich für den Vater, an sie heranzukommen."
Und auch das Kind leidet unter dem Mangel an Vaterliebe, die für seine Entwicklung wesentlich ist. Von Anfang an spürt es die Disharmonie in der Familie und die vermeintliche Ablehnung des Vaters. Ihn als Vertrauens- und Respektperson zu sehen ist folglich nicht möglich. Es kann sich nur an der Mutter orientieren und bekommt keine funktionierende Partnerschaft vorgelebt. Die Gefahr besteht, dass sich aus der kindlichen Hilflosigkeit heraus ernsthafte psychische und Beziehungsstörungen entwickeln.
Was der Papa tun kann
Erste Schritte sollten sein, frühzeitig das Gespräch zu suchen. Der Partner sollte die Bemühungen seiner Partnerin anerkennen und ihren Stellenwert in der Beziehung deutlich machen. Er sollte möglichst positiv bleiben und ernstgemeinte Vorschläge machen, die sie entlasten könnten.
Expertin Christine Geschke rät: "Hilfreich ist es, nicht an diesen Stellen zu konkurrieren bzw. zu streiten, sondern in einem ruhigen Moment das Thema zu besprechen. Väter sollten ihren Frauen keinen Vorwurf machen, sondern erklären, wie sie dabei empfinden, sodass die Partnerin sich nicht verteidigen muss, sondern den Partner in seinen Gefühlen wahrnehmen und ihn dann auch verstehen kann. Hilfreich ist auch, zusammen festzulegen, wer welche Aufgaben übernimmt, sodass die Zuständigkeit vorab geklärt ist."
Auch das können verhinderte Papas tun: "Wenn Väter über die Dominanz der Mutter nicht mehr an ihre Kinder herankommen, kann es sinnvoll sein, sich Gleichgesinnten anzuschließen, um Erfahrungen auszutauschen oder aber auch, sich rechtlich beraten zu lassen. Schließlich sind beide gleichberechtigte Eltern."
Oberstes Gebot: immer im Interesse des Kindeswohls handeln! Dabei muss sich die gleichberechtigte Verteilung der Arbeit und Fürsorge erst finden. Und es wird immer so sein, dass ein Elternteil abgeben und eines sich mehr zutrauen sollte. Jeder hat seine Einstellung zu hinterfragen und ggf. etwas im Verhalten zu verändern. Wichtig ist, sich auch als Paar umeinander zu bemühen und sich um die Beziehung zu kümmern, anstatt sich nur noch um das Kind zu kümmern. Das ist die Grundlage für eine funktionierende Familie.
Wenn es auch an Papa liegt
Nicht nur Mama muss Schuld haben am Maternal Gatekeeping – manchmal haben auch die Väter ihren Anteil. Ihre Unsicherheit gerade in den ersten Wochen mit Kind führt häufig dazu, dass sie sich – aus Rücksicht und/oder mit Absicht – zurückhalten. So ein Heraushalten führt schnell aufs Abstellgleis. Wenn Mama die Ungeschicktheit des Vaters sieht, ist sie direkt alarmiert und zieht die Fürsorge für das Kind komplett an sich. Manche Väter reagieren dann sogar erleichtert, wenn die Frau das Zepter in die Hand nimmt und sie so ihr Unwohlsein nicht weiter zeigen müssen.
Obwohl Frauen nachweislich über mehr Empathie verfügen und in Pflege, Erziehung und Gefühlsarbeit stark sind, drücken Männer ihre Emotionen eher über ihr Beschützerverhalten aus. Jedoch ist wissenschaftlich erwiesen, dass Mütter und Väter gleichermaßen für die Kindererziehung geeignet sind. Neue Väter dürfen manchmal einfach etwas mutiger sein und sich aktiv ihren Part suchen.
Therapie als Lösungs-Möglichkeit
Zu einer Therapie müssen beide Partner bereit sein und gemeinsam anerkennen, dass professionelle Hilfe notwendig ist. "Eine Paartherapie ist dann sinnvoll, wenn sich die Fronten verhärtet haben und das Paar aus seinen Rollen nicht mehr alleine heraus findet", weiß Expertin Christine Geschke. "Eine Einzeltherapie ist dann von Vorteil, wenn das Anliegen auf der Seite der Mutter ein geringes Selbstwertgefühl ist."
Maternal Gatekeeping – was tun?
Im Fall von Paul ist Lena nicht bereit zu einer Therapie. Inzwischen hat er Lenas Mutter eingeschaltet, die noch mal in Ruhe mit ihrer Tochter reden will. Eine dritte objektive Person kann möglicherweise entsprechenden Einfluss nehmen. Paul will jedoch nicht tatenlos bleiben und denkt über eine Einzeltherapie nach. Eine Adresse hat er schon. Vielleicht kann ihm der Therapeut helfen, seine eigene Position wieder zu stärken.
Wenn absolut keine Besserung in Sicht ist, können sich betroffene Väter auch an das Jugendamt wenden. Zur Not kann schließlich ein Gericht auch dem Vater ein Umgangsrecht erzwingen, aber solche Maßnahmen sind eher Beziehungskiller und sollten wirklich als letzte Instanz gesehen werden.
Auf jeden Fall ist viel Geduld und Fingerspitzengefühl gefragt in dieser sensiblen Angelegenheit. Oft helfen Zeit und viele Gespräche, dass die Mutter ihr Fehlverhalten einsieht und sich dem Vater wieder öffnet.