Ausgewandert

Portugal mit Kindern: "Hier steht Menschlichkeit vor Effizienz!"

Christine ist vor zwei Jahren mit ihrer Familie nach Portugal ausgewandert. Was das für sie bedeutet und wie sich ihr Leben seitdem verändert hat, darüber sprachen wir mit ihr im Interview.

Glückliche Familie am Strand in Portugal© Ullstein
Mit Kindern in Portugal zu leben ist wunderschön, sagt Christine.

Viele Familien träumen davon, einige setzen es in die Tat um: Auswandern ins Ausland. Christine Neder hat darüber ein Buch geschrieben (siehe Buchtipp unten) und teilt hier ein paar Einblicke mit uns.

Du bist vor zwei Jahren mit deiner Familie nach Portugal ausgewandert. Wie kamt ihr dazu?

Ich glaube, es gab nicht den einen Grund, sondern es war ein schleichender Prozess. Wir haben vor sechs Jahren zum ersten Mal einen "Sommer am Meer" in Portugal verbracht. Um eine Auszeit zu nehmen und Surfen zu lernen. In dem Sommer haben wir uns so in die Region verliebt, dass wir uns ein Grundstück gekauft haben mit dem Plan, ein Ferienhäuschen zu bauen. Wir haben dann versucht, jedes Jahr zwei bis drei Monate in Portugal zu verbringen und den Hausbau voranzutreiben. In einem Corona-Winter sind wir mit dem Auto nicht mehr zurückgekommen. Also sind aus den zwei bis drei Monaten zum Schluss fast acht Monate geworden, weil wir dann auch irgendwann nicht mehr zurück nach Deutschland wollten. Wir hatten einen Alltag, Freunde, Kindergartenplatz und eben das Meer vor der Haustür. In den acht Monaten haben wir gemerkt, dass wir Portugal als Lebensmittelpunkt haben möchten. Wir sind mit der Mission nach Deutschland zurück, unseren Haushalt aufzulösen und erst einmal in Portugal zur Miete zu wohnen, bis unser Haus fertig ist. Im Mai 2022 sind wir in unser Häuschen gezogen. Alma ist jetzt vier Jahre alt. Sie war zwei Jahre, als wir entschieden haben, in Portugal zu bleiben.

Warum gerade Portugal? Hattet ihr noch andere Ziele überlegt, oder war es von Anfang an klar, dass es Portugal werden würde?

Das war eigentlich alles ein Zufall. Wir sind nie mit dem Plan irgendwo hingereist, dass wir auswandern möchten. Wir haben diesen einen Sommer in Portugal verbracht, weil wir Surfen lernen wollten, und dann war es Liebe auf den ersten Blick. Hier steht Menschlichkeit vor Effizienz, und das macht Portugal so lebenswert neben der wunderschönen Natur und noch so viel "Meer".

Auch wenn Portugal an den Atlantik und nicht ans Mittelmeer grenzt, ist die Mentalität mediterran. Pünktlichkeit ist hier keine Tugend. Im Gegenteil. Als organisierte Deutsche, so wie ich es bin, habe ich auch nach zwei Jahren immer noch ganz schön daran zu knabbern.
Ich habe das Gefühl, dass es oftmals zufällige Begegnungen und Unterhaltungen sind, ob am Postschalter oder im Supermarkt, die wichtiger sind als die Effizienz.

Ein Schwätzchen mit dem Kunden ist hier einfach ein wichtiger Bestandteil der Mentalität. Sich unterhalten, nachfragen wie es den Enkeln geht und ob die Süßkartoffeln schon geerntet wurden. Sich Zeit nehmen für den Augenblick und den Menschen, dem man gerade begegnet. Es ist wichtig, zwischen Frühstück und Mittagessen einen Galão mit der Kollegin zu trinken – auch wenn eine Schlange von Leuten am Schalter wartet. Das Prioritätsdenken der Portugiesen ist ein anderes und steht natürlich in starkem Kontrast zu unserem in Deutschland.

Wie haben eure Familien und Freunde reagiert, die ja nun nicht mehr in der Nähe sind? Wie ist euer Kontakt?

Es war ja ein schleichender Prozess mit dem Auswandern, und in den letzten Jahren haben uns alle guten Freunde immer wieder hier besucht, weil wir immer zwei Monate im Jahr hier gelebt haben, und jeder konnte verstehen, warum wir dauerhaft hier leben wollen. Weil es einfach wunderschön ist. Deswegen kam da sehr viel Verständnis auf. Für meinen Reise-Blog Lilies Diary war ich schon immer viel unterwegs, also hab ich auch Freundschaften, die auf Distanz funktionieren. Seit wir hier leben, müssen wir uns so viel mehr um soziale Kontakte kümmern. Man möchte mit alten Freunden telefonieren und wissen, was in ihrem Leben passiert, man hat viel Besuch, mit dem man wunderschöne, intensive Zeit verbringt, aber man möchte natürlich auch neue Freunde und Freundschaften in Portugal knüpfen, was ebenfalls sehr viel Zeit kostet.

Was waren für euch die größten Hürden auf diesem Weg?

Wir hatten wirklich Schwierigkeiten, einen Bauunternehmer zu finden, der unser Häuschen gebaut hat. Ja, und es gibt viele bürokratische Themen, die uns manchmal in den Wahnsinn treiben. Aber die größte Hürde ist und bleibt, glaube ich, zu akzeptieren, dass hier alles seine eigene Zeitrechnung hat und dass man nicht für drei Wochen im Voraus einen Termin machen kann. Stattdessen telefoniert man einfach und schaut, ob es an diesem Tag gerade passt. Wenn man Glück hat, kommt jemand und wenn nicht, dann wartet man einfach weiter.

Wie ist eure Tochter damit umgegangen, ihre Heimat zurückzulassen?

Unsere Tochter war 1,5 Jahre alt, als wir zum ersten Mal länger nach Portugal gegangen und dann auch geblieben sind. Über Heimat haben wir noch gar nicht so richtig mit ihr gesprochen. Heimat ist ein großer Begriff, der schwer zu greifen ist. Portugal ist ihr Zuhause, aber wenn wir bei Oma und Opa zu Besuch sind, ist das auch ihr Zuhause. Ich glaube, es gibt einfach mehrere Orte, an denen man sich geborgen fühlt und mit tollen Menschen zusammen ist. Das kann alles ein Stück Zuhause und auch Heimat sein. 

Habt ihr manchmal Heimweh?

Wir fahren immer noch regelmäßig nach Deutschland. Aber ich habe aufgehört, Heimweh oder Fernweh zu haben, sondern genieße einfach den Moment. Momentan werde ich oft gefragt, was ich am meisten vermisse in Deutschland, und das sind Freunde, Familie und so ein richtig schön duftender Laubwald.

Welche Vorteile hat euer jetziges Leben im Vergleich zu eurem früheren Leben in Berlin?

Wir haben das Meer vor der Haustür. Ich glaube, das ist das Schönste, was man sich vorstellen kann. Natürlich gibt es hier auch wahnsinnig viel zu tun und viele Dinge brauchen einfach ewig und viel Geduld, aber wir lassen uns nicht mehr so vom Alltag hetzen und haben viel entspanntere Routinen.

Hat sich eure Paarbeziehung durch das Auswandern verändert?

Nein, wir haben schon immer sehr viel Zeit miteinander verbracht und kennen uns auch schon 19 Jahre.

Könntet ihr euch vorstellen, irgendwann dauerhaft nach Deutschland zurückzukehren?

Sag niemals nie. Aber gerade möchte ich einfach nur hier in Portugal sein.

Welche Tipps habt ihr für andere Familien, die überlegen auszuwandern?

Als Erstes würde ich ihnen raten, mein Buch zu lesen. Ich glaube, das gibt ganz viele tolle Einblicke, Inspiration und Motivation. Dann kann ich jedem nur empfehlen, ein Jahr oder mindestens jede Jahreszeit einmal im Land erlebt zu haben. Zum Beispiel kann sich in Bezug auf Portugal keiner vorstellen, wie feuchtkalt es hier im Winter sein kann. Viele haben damit ein Problem, dass einfach jedes Haus schimmelt.

Buchtipp – nicht nur für Portugal-Auswanderer

© Verlag

Christine Neder sagt selbst über ihr Buch "Weniger ist Meer. Wie eine junge Fmailie die Freiheit suchte und das Glück in Portugal fand" (Ullstein, 14,99 Euro): "Dieses Buch ist für jeden, der sich mit dem Gedanken beschäftigt, sein Leben zu verändern. Es gibt in meinem Buch so viele Anregungen und Denkanstöße, die Mut machen können, Neues und Unkonventionelles zu wagen. Ich beschreibe es auch gerne so: Es gibt im Alltag diese zufälligen und spontanen Begegnungen, die unser Herz erwärmen, ein Lächeln ins Gesicht zaubern und es schaffen, uns zu inspirieren und einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Genauso ein Gefühl hinterlässt dieses Buch."