
Einmal wieder Kind sein. Kein Stress, keine Verpflichtungen, kein Leistungsdruck. Viele Erwachsene sehnen sich diese unbeschwerten Tagen zurück. Doch leider ist die Kindheit oftmals bei Weitem nicht so unbelastet, wie viele sich das vorstellen. In unserer schnelllebigen Zeit stehen auch Kinder oft unter großem Druck – mit gravierenden Auswirkungen.
Das Phänomen ist so weit verbreitet, dass es schon einen eigenen Namen hat: Gehetztes Kind-Syndrom (auf Englisch: Hurried Child Syndrome).
Kinder leiden unter Leistungsdruck
In unserer Leistungsgesellschaft wird auch Kindern immer mehr abverlangt. Und das hat Auswirkungen auf das gesamte Leben. "Wenn die Eltern von ihrem Kind Leistungen erwarten, die weit über seine geistigen, sozialen oder emotionalen Fähigkeiten hinausgehen, entwickelt sich der Zustand, der als 'Hurried Child Syndrome' bekannt ist", heißt es im Vorwort einer Studie, die im "Indian Journal of Child Health" veröffentlicht wurde.
Was den Wissenschaftlern besonders negativ aufgefallen ist: In der heutigen Zeit überladen Eltern die Terminkalender ihrer Kinder, legen gesteigerten Wert auf gute Noten und verlangen, dass sie sich wie kleine Erwachsene benehmen und reagieren.
Die negativen Auswirkungen von ständigem Stress
Keine Frage: Unsere Welt ist schnelllebiger geworden. Wir essen schnell und oft nebenbei, wir erfüllen uns unsere Bedürfnisse sofort, sind ständig erreichbar. Diese Lebensweise überträgt sich auch auf unsere Kinder.
Besonders problematisch: In einer Phase, in der das kindliche Gehirn noch nicht vollständig entwickelt ist, hat der Zustand konstanten Gehetztseins weitreichende Folgen. Das Gefühl ständiger Überforderung wird als normal abgespeichert. Das Kind befindet sich fortwährend im "Kampf- oder Flucht-Modus" – also in einem Zustand, in das unser Gehirn eigentlich nur im Falle einer Bedrohung oder unter extremem Stress geraten sollte.
Dieses dauerhaft erhöhte Stresslevel hat Auswirkungen auf das gesamte Leben: Je mehr das Kind gehetzt, überfordert und gestresst wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es im späteren Leben eine Angststörung entwickelt.
Merkmale des Gehetzten-Kind-Syndroms
- Überfüllte Zeitpläne: Kinder haben oft einen vollen Terminkalender mit Schule, Sport, Musikunterricht, Nachhilfe und anderen Aktivitäten, was wenig Raum für freies Spiel oder Entspannung lässt.
- Hoher Leistungsdruck: Es gibt einen starken Fokus auf schulische und sportliche Leistungen, was zu einem Gefühl der ständigen Notwendigkeit führt, besser und schneller zu sein.
- Weniger Freizeit: Die Zeit für unstrukturiertes Spiel und kreative Aktivitäten wird oft zugunsten organisierter Programme reduziert.
- Stress und Angst: Kinder können durch den Druck, der auf ihnen lastet, Stress und Angstzustände entwickeln, was sich negativ auf ihre psychische Gesundheit auswirken kann.
- Soziale Isolation: Durch ständige Aktivitäten haben Kinder oft weniger Zeit für soziale Interaktionen mit Gleichaltrigen, was die Entwicklung sozialer Fähigkeiten beeinträchtigen kann.
Besonders drastische Auswirkungen hat es, wenn ein Kind nicht altersentsprechende Erwartungen erfüllen muss – wenn es beispielsweise übermäßig viel Verantwortung übernehmen, sich ständig anpassen muss oder wenn es keine angemessene Unterstützung bekommt, um seine Gefühle zu regulieren. Häufig wechselnde Betreuungspersonen, Streit in der Familie oder zu großer schulischer Druck zählen zu den größten Stressfaktoren.
Da auch viele Eltern selbst unter Druck stehen, ihren beruflichen und privaten Verpflichtungen gerecht zu werden, übertragen sie die Last oft unbewusst auf ihre Kinder. Stress entsteht durch Angst, Einsamkeit und Unsicherheit, und aus diesen Gefühlen heraus lässt sich eine unbeschwerte Erziehung nur schwer umsetzen.
Besonders die frühen Lebenserfahrungen haben einen erheblichen Einfluss darauf, wie sich Kinder neurologisch und psychologisch entwickeln. In den sensiblen Jahren, in denen das Gehirn reift, kann ausgeprägter Stress Kinder nachhaltig beeinflussen.
Die Auswirkungen des Gehetzen Kind-Syndroms
An den folgenden Faktoren lässt sich feststellen, ob ein Kind unter zu großem Stress leidet:
1. Körperliche Anzeichen
Bei gehetzten Kindern kann es zu gesundheitlichen Problemen wie Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Bauchschmerzen, Stottern, Hyperaktivität oder einer verkürzten Aufmerksamkeitsspanne kommen. Auch Nacken- und Rückenschmerzen, Ängste, Sorgen und Phobien können auftreten, genauso wie Reizbarkeit, Wut, Essattacken oder Verstopfung.
2. Psychologische Anzeichen
Die betroffenen Kinder zeigen Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen, verspüren Druck, den Ansprüchen ihrer Eltern gerecht zu werden und haben Angst vor Ablehnung. Traurigkeit und sogar Selbstmordgedanken können auftreten.
3. Gesundheitliche Anzeichen
Auch das Immunsystem kann unter chronischem Stress leiden: Es können Entzündungen auftreten, die die Körperabwehr schwächen und auch chronische Krankheiten begünstigen. Auch Fettleibigkeit und Stoffwechselveränderungen sind zu beobachten.
Wie lässt sich das Gehetztes Kind-Syndrom verhindern?
Um Stress abzubauen oder gar nicht erst entstehen zu lassen, sind die folgenden Punkte entscheidend:
- Kinder sollten so viel wie möglich spielen dürfen, am besten im Freien.
- Es ist wichtig, dass die Eltern die Stärken und Schwächen ihres Kindes verstehen und akzeptieren.
- Jedes Kind entwickelt sich in unterschiedlichem Tempo: Eltern und Erzieher sollten dem Rechnung tragen und es individuell begleiten.
- Die Nutzung digitaler Medien reduzieren: Eltern sollten Smartphones und Co am besten außer Reichweite ihrer Kinder aufbewahren.
- Aufgaben sollten altersgemäß sein und die Fähigkeiten der Kinder nicht übersteigen.
- Wenn Kinder ihre Hobbys wie Sport oder Musik selbst auswählen dürfen, sinkt die Gefahr, dass sie sich überfordert fühlen.
- Ältere Kinder brauchen oft mehr Zeit für sich, die ihnen die Eltern gewähren sollten.
- Durch eigene Erfahrungen, Erfolge und Fehler lernen Kinder am besten: Die Freiheit dafür brauchen sie von ihren Eltern.
- Kinder spielen gern mit anderen Kindern und entwickeln dadurch Kreativität und Problemlösungsfähigkeiten: Das sollten Eltern unterstützen und auch Besuch zulassen.
- Ein Versuch ist wichtiger als Erfolg: Darum ist es wichtig, auch Bemühungen anzuerkennen und zu loben.
Quellen: www.pgpedia.com, www.researchgate.net