Weniger ist mehr

Kinderpsychologin: "Nichtstun" ist die Geheimwaffe erfolgreicher Eltern

Manchmal ist weniger mehr: Eine Kinderpsychologin erklärt, in welchen Situationen Eltern ruhig mal einen Gang zurückschalten sollten.

 Mutter und Tochter sitzen lachend auf dem Sofa.© iStock/Choreograph
In der Ruhe liegt die Kraft – das gilt auch für Erziehung.

Mit Erziehungstipps werden Eltern regelrecht überflutet. Es gibt gefühlt unendliche viele Ansätze, Tipps und Tricks, Dos und Don'ts, die Eltern doch bitte beherzigen sollten.

Die renommierte US-Kinderpsychologin Dr. Becky Kennedy schwört jedoch auf eine Strategie, die erfrischend simpel ist und erstaunlichen Erfolg haben soll: Nichtstun. 

"Die eine Erziehungsstrategie, die nicht ausreichend genug genutzt wird, ist Nichtstun", erklärt sie. 

Was sie damit konkret meint: Vor lauter Sorgen, Stress, Ärger oder gutem Willen tendieren Eltern oft dazu, vorschnell einzugreifen und auch Kleinigkeiten auf die Goldwaage zu legen, die oftmals gar keine große Beachtung verdient haben. So entstehen schnell Diskussionen, Streit und verfahrene Situationen, die eigentlich gar nicht sein müssten. Zumal sich Eltern häufig auch von Außenstehenden unter Druck gesetzt fühlen zu handeln oder ein Machtwort zu sprechen. Zum Beispiel: "Dein Kind spricht so mit dir und du sagst nichts?"

Becky Kennedy jedoch ist der Auffassung, dass es in vielen Fällen sogar hilfreich ist, wenn Eltern nicht reagieren, nicht eingreifen und nicht (viel) sagen. 

"Der Ausdruck 'Nichtstun' impliziert Passivität und Apathie", erklärt sie. Das stimmt jedoch nicht, wenn Eltern diese Strategie gezielt und durchdacht einsetzen: "'Nichtstun' ist eine aktive Entscheidung und ein Ausdruck deiner Rolle als Erwachsener in der Situation."

Zwei Situationen, in denen Nichtstun sinnvoll ist

1. Das Kind beklagt sich über das Frühstück: "Ich hasse Müsli" – und das, obwohl die Eltern extra sein Lieblingsmüsli in den Teller gefüllt haben, das es sonst jeden Morgen gern isst. Gehen Eltern jetzt darauf ein und argumentieren: "Aber du isst dieses Müsli doch jeden Morgen! Wie kann es sein, dass du es heute nicht mehr möchtest?", eskaliert der Streit höchstwahrscheinlich und die Fronten verhärten sich. Was Becky Kennedy rät: Einmal tief seufzen und verständnisvoll nicken – mehr nicht. Auf diese Weise ist die Chance groß, dass der aufkeimende Konflikt direkt deeskaliert wird – und das Kind schlussendlich doch sein Müsli aufisst.

2. Das Kind ist wütend, weil sein Lieblingspullover noch in der Wäsche ist: "Du hast mir versprochen, meinen Pulli zu waschen! Er ist immer noch dreckig und ich wollte ihn heute anziehen." In der Regel würden die meisten Eltern wohl jetzt in den Verteidigungsmodus schalten, sich rechtfertig oder erklären, dass das Kind nie darum gebeten habe, seinen Pullover zu waschen. Becky Kennedy empfiehlt, stattdessen tief durchzuatmen und dem Kind einen mitfühlenden Blick zu schenken. Danach können Eltern etwa sagen: "Ich weiß, du wünschst dir, dein Sweatshirt wäre sauber." Das Kind fühlt sich auf diese Weise verstanden und wird mit großer Wahrscheinlichkeit nach einem kurzen Moment des Frusts einfach einen anderen Pullover raussuchen.

Das Geheimnis, weshalb Nichtstun in vielen Fällen den Familienfrieden retten kann: Anstatt sich in Machtkämpfe verwickeln zu lassen oder die Aussagen der Kinder zu wörtlich zu nehmen, bekommen Kinder die Möglichkeit, sich selbst zu beruhigen oder Alternativen zu finden, wenn Eltern in derartigen Situationen einmal mal gar nichts machen.

Entscheidend ist natürlich, klug abzuwägen: Erfordert das Verhalten des Kindes, dass die Eltern Grenzen setzen und ihren Standpunkt deutlich machen – oder geht es um Banalitäten, bei denen es sich nicht lohnt, "ein Fass aufzumachen"? Ist Letzteres der Fall: Einfach mal bewusst dazu entscheiden, gar nicht darauf einzugehen. Das zahlt nicht nur auf den Familienfrieden ein, sondern schont letztlich auch die eigenen Nerven.