"Lieselotte hat Langeweile" heißt es eines der Lieblingsbücher meines Sohnes. Die Kurzfassung: Weil niemand Zeit hat, mit ihr zu spielen, kommt die berühmte Bilderbuch-Kuh schließlich auf die Idee, eine abenteuerliche Rutschbahn auf der Treppe zu errichten – mit Matratzen, Schlitten, Ventilator und Kochtopf-Helm auf dem Kopf. Ein wunderbares (und, zugegeben, etwas überspitztes) Beispiel für die Blüten, die Langeweile treiben kann. Und dafür, was Kinder (oder eben Kühe) kreieren können, wenn man sie einmal sich selbst über- und machen lässt.

Warum Langeweile wichtig ist

Löcher in die Luft starren. Die Zeit totschlagen. Luftschlösser bauen. Den Kopf in den Wolken haben. Ganz ehrlich: Was gibt es Schöneres? Und dennoch treten den meisten Eltern Schweißperlen auf die Stirn, wenn ihr Kind klagt: "Mir ist sooo laaangweilig …" Schwups, avancieren Mama und Papa zum Eventmanager und übertrumpfen sich gegenseitig mit Vorschlägen, die der Unterhaltung des Nachwuchses dienen sollen.

Dabei ist dieser Förderwahn gar nicht nötig – und womöglich sogar kontraproduktiv. "Kinder werden mit dem Drang geboren, sich in den Tiefen ihrer Fantasie zu verlieren. Sie sind dafür veranlagt. Sie brauchen das. Und wenn wir sie ständig unterhalten, verlieren sie den Zugang zu dieser Fantasie und Kreativität", heißt es auf der Seite "Raising Wellkids". "Sie entwickeln nicht die Fähigkeiten zur Selbstregulierung oder zum selbstständigen Spielen. Und sie werden abhängig von dem Dopaminschub, den sie durch die Stimulation bekommen."

Kreativsein geht immer

Langeweile auszuhalten muss jedoch erst gelernt werden. Denn normalerweise wissen wir genau, was wir tun wollen. Langweilen wir uns, verlassen wir quasi unsere Komfortzone, und das fühlt sich erst mal unangenehm an.

Langeweile ist der Schlüssel zur inneren Balance, egal in welchem Alter.

Jesper Juul

Entscheidend ist, dass das Gleichgewicht zwischen geplanten Aktivitäten und Zeit zum freien Spielen stimmt. Damit Kinder ihre Spielfreude entdecken, ist entscheidend, dass Eltern sich mit Input zurückhalten. Sinnvoller ist, erst mal zu fragen: "Was möchtest du denn machen?" Und sich bei fehlenden Ideen im Zweifelsfall gemeinsam zu langweilen. Höchstwahrscheinlich wird das Kind schnell einen neuen Einfall haben. Auf diese Weise lernt es, auf das eigene Bauchgefühl zu hören. 

Langeweile macht schlau

Noch nicht überzeugt? Dann vielleicht aber jetzt: Die Intelligenzforschung hat längst herausgefunden, dass hohe Intelligenz und hohe Kreativität korrelieren. Personen, die in IQ-Test gut abschneiden, erzielen in der Regel auch in Kreativitätstests überdurchschnittliche Resultate. Übrigens: Selbst Albert Einstein soll angeblich als Kind viel Zeit damit verbracht haben, auf dem Sofa zu lümmeln und einfach nur seinen Kompass zu betrachten. Gut, dass ihn dabei niemand unterbrochen hat ...

8 Tipps für mehr Langweile

Die folgenden Ideen helfen dabei, Raum für Kreativität im Alltag zu schaffen.

Spielsachen wegräumen

Wie wäre es denn, wenn zumindest manche Spielsachen vorübergehend im Keller landen und nur noch Bastelzeug, Stifte, Kartons und Tücher übrigbleiben?

Geschichten erzählen

Es einmal ein Hund, eine Katze, ein Dinosaurier und ein Hausboot … Wem fällt eine kreative Fortsetzung ein? Oder aber auch: Buch-Enden neu denken. Was könnte ein noch besserer Schluss sein?

Unterhalten

Die spannendsten Gespräche ergeben sich oft, wenn wir einfach unseren Kindern zuhören und ggf. gezielt nachfragen. 

Nicht aufräumen

Auch wenn's manchmal schwerfällt: Bleibt die Großbaustelle im Wohnzimmer über Nacht stehen, kann das die Kreativität am nächsten Tag beflügeln.

Rollenspiele

Kinder lieben es, sich in andere Welten zu versetzen, und sie brauchen dafür nicht viel mehr als ihre Fantasie. 

Bildschirm aus

Wenn Handy, Tablet und Co ständig für Unterhaltung sorgen, sind eigene Ideen überflüssig.

Mit gutem Vorbild voran

Wenn wir Eltern uns selbst ständig in jeder freien Minute von Bildschirmen berieseln lassen, geben wir in Sachen Langeweile kein gutes Beispiel ab.

Durchhalten

Wenn Kinder nölen und quengeln, fällt es oft schwer, nicht einfach schnell irgendeine Bespaßung aus dem Ärmel zu zaubern. Hier heißt es jedoch hin und wieder: Nicht nachgeben. In den meisten Fällen wird den Kindern schnell etwas Neues einfallen.