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"Nicht essen!", brülle ich, als mein Sohn die kleine blauglitzernde Christbaumkugel in seiner Hand zielsicher zu seinem geöffneten Mund führt. "Das ist kein Naschi!" Zu spät: Beherzt beißt er zu – und in seinem Mund zersplittert das hauchdünne Glas in hunderte Kleinteile. Diese Situation hat sich am ersten Advent 2016 bei uns abgespielt. Unser Sohn war zweieinhalb Jahre alt, ich war im neunten Monat schwanger mit seiner kleinen Schwester – und habe alles falsch gemacht, was man in einem solchen Moment falsch machen kann.
Ruhig bleiben. Aber wie?
Während mein Mann in der für ihn typischen Art gefasst blieb und seine Bewegungen sich eher verlangsamten, stellte mein Gehirn sofort auf Notfall-Modus um: schnell, schnell! Handeln, handeln! Kind in Gefahr! Meine blitzartig allgegenwärtige Panik äußerte sich als allererstes in einem lauten "Haaa!"-Laut, bei dem ich mit aufgerissenem Mund jede Menge Luft in meine hyperventilierenden Lungen einsog. Das Fatale daran: Mein Sohn beobachtete mich – und tat es mir gleich. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten wir vielleicht eine Chance gehabt, die Glassplitter aus seiner Mundhöhle zu entfernen. Doch spätestens durch seine reflexartige Imitation meiner Schockatmung hatte er ganz sicher Teile davon eingeatmet. Hektisch wühlte ich mit meinem Finger in seinem Mund hin und her, pulte Stück für Stück hervor – doch die Kugel konnten wir, wie erwartet, nicht wieder vollständig zusammensetzen.
Wenn Mama weint, muss es ja schlimm sein
Die beruhigende Hand meines Mannes auf meiner Schulter nutzte nichts mehr: Ich war im Panikzustand. Die drei Meter zum Telefon sprintete ich. Als würden die Sekundenbruchteile, die ich dadurch einsparte, irgendetwas nutzen. Mit meinem hektischen Verhalten verunsicherte ich unseren Sohn immer mehr. Erst als mir selbst die Tränen in die Augen stiegen, fing auch er an zu weinen – vorher war er recht gefasst gewesen. Es war offensichtlich: Diese beruhigende, zuversichtliche "Alles-wird-gut-Ausstrahlung", die selbst zweidimensionale Klischeefiguren wie Feuerwehrmann Sam erfolgreich vermitteln – ich habe sie einfach nicht.
Endlich unterwegs: ab in die Notaufnahme
Im Taxi auf dem Weg zum Krankenhaus atmete ich das erste Mal wieder in normalem Tempo. Als wir die Notaufnahme betraten, begann ich automatisch zu zählen: Acht Personen im Wartebereich, davon zwei mit blutenden Wunden. So ruhig und gefasst, wie eine Mutter es kann, deren Sohn mutmaßlich Glassplitter in der Luftröhre stecken hat, erklärte ich der Dame am Aufnahmeschalter, was geschehen war. Sie musste doch erkennen, dass wir uns unter diesen Umständen nicht an Platz Neun der Warteschlange einreihen konnten! Aber statt uns mit einer der Situation angemessenen Hektik ins nächste Behandlungszimmer zu bugsieren, lächelte sie mir ein routiniertes "Bitte nehmen Sie einen Moment Platz" entgegen. Ungläubig starrte ich vor mich hin. Das hatte ich jetzt also von diesem "Ruhe bewahren"-Mist.
Den Experten vertrauen und durchatmen
"Die wissen schon, was sie machen", besänftigte mich mein Mann. Noch bevor die Sorge um meinen Sohn der Wut auf das Wartesystem weichen konnte, hörte ich eine Stimme: "Wo ist das Kind, das Glas geschluckt hat?" Der Herr in Weiß winkte uns zu sich, vorbei an allen Wartenden, und jetzt bekam ich ein schlechtes Gewissen vor den beiden Blutenden.
Eine gefühlte Ewigkeit lang wurde Tom untersucht. Atemtest, Klopftest, Horchtest – ich habe die echten Namen der ganzen Tests längst vergessen, aber es wurde geklopft und gehorcht und getestet ohne Ende. "Sie wissen, dass wir auch eine Kindernotaufnahme haben?", fragte der Arzt, als feststand, dass keine akute Gefahr besteht. "Nein", antwortete ich wahrheitsgemäß und schob hinterher: "Entschuldigung, es ist unser erstes Mal mit ihm in der Notaufnahme". "Dafür lief es doch ganz gut", scherzte der Arzt, "Ihrem Jungen geht es prima, da ist nichts passiert." "Darauf einen Schnaps", scherzte ich vor Erleichterung zurück und streichelte über meinen Babybauch. Der Arzt lachte nicht.
Beim zweiten Mal wird gar nichts leichter
Zwei Jahre später bekomme ich einen dieser Anrufe aus der Kita, die alle Eltern fürchten: Mein Sohn ist gestürzt, Platzwunde am Kopf, die Erzieherinnen sind sich einig, dass es genäht werden muss. Sofort erinnere ich mich an den ersten Advent 2016 zurück. Ermahne mich selbst zur Ruhe. "Ich sage meine Termine ab und komme direkt zu euch", höre ich mich in gefasstem Ton sagen. "Danke, dass du so ruhig bleibst", sagt die Erzieherin am Telefon. "Ist doch klar", erwidere ich betont entspannt, "Panik bringt jetzt ja nichts."
In der Sekunde, in der ich auflege, renne ich los – so schnell, wie ich in meinem Leben noch nie gerannt bin.
Zum Weiterlesen: Kinderunfälle – was ihr zu Hause tun könnt und wann ihr in die Klinik solltet

Das Kleinkind steckt sich eine Murmel in die Nase. Die Tochter kriegt beim Spielen im Wald einen Ast ins Auge. Der Sohn knallt auf dem Trampolin mit seinem Kumpel zusammen … Kinder tun sich ständig weh, manchmal ziemlich übel. Der erste Impuls vieler Eltern: Ab in die Klinik! Dabei sind die meisten Verletzungen gar keine echten Notfälle. Die Folge: überlastete Notaufnahmen und auf allen Seiten zum Zerreißen angespannte Nerven.
Genau das wollen die Kinder-Docs Benedict-Douglas Sannwaldt und Till Rausch mit ihrem neuen Buch ändern. Es soll Eltern eine Orientierungshilfe für die häufigsten Arten von Verletzungen und Unfällen bieten, um den Ernst der Lage besser einzuschätzen und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Ein Buch zum vorsorglichen Drin-Schmökern, aber auch Schnell-mal-Nachschlagen. Mal hoch emotional, mal extrem dramatisch, zwischendurch sogar urkomisch. In jedem Fall aber immer mit viel Herz und Verständnis für alle Eltern, die sich Sorgen um ihren Nachwuchs machen.
"Verknackst, verschluckt, verbrannt: Wie ihr euren Kids zu Hause helft – und wann ihr in die Klinik solltet" von Till Rausch und Dr. Benedict-Douglas Sannwaldt (191 Seiten, Junior Medien, 18,95 Euro).