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Schätzungen zufolge lispelt etwa jedes vierte Kind, anders ausgedrückt sind also etwa 25 Prozent der Kinder betroffen. Was das bedeutet, was man tun kann oder ob man überhaupt etwas unternehmen muss, erklärt uns die Fachzahnärztin Dr. Gundi Mindermann.
Frau Dr. Mindermann, wie äußert sich das Lispeln bei Kindern?
Eltern können ein Lispeln sehr schnell bemerken, da verschiedene Laute, wie zum Beispiel das "S" nicht klar ausgesprochen werden, sondern leicht verschwimmen. Auch "SCH" oder andere Zischlaute fallen den Kindern schwer, da sich in der Regel die Zunge mehr oder weniger intensiv an die vorderen Zähne legt. Wenn die Eltern ihren Kindern in den Mund schauen, sehen sie häufig, dass die vorderen Zähne nicht übereinander greifen, sondern keinen Kontakt haben. Die Kinder haben einen sogenannten offenen Biss. Keine Sorge, das ist erst mal nicht gefährlich.
Eltern sollten wissen, das Lispeln unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Wenn das Lispeln ganz schwach ist, dann sehen Eltern das oft als süßen Sprachfehler. Es kann aber zu einer ungünstigen knöchernen und muskulären Entwicklung führen. Und wenn der Biss weit auf ist, fehlt den Kindern die wichtige Abbeißfunktion. Das heißt, sie wollen in einen Apfel reinbeißen, kommen mit den Backenzähnen aber früher auf als mit den Frontzähnen und können dann nicht richtig zubeißen. Das ist ein funktionelles Problem, das die Kinder entwickeln können.
Wieso ist die Zunge ein so wichtiges Thema beim Lispeln?
Die Zunge ist ein sehr starker Muskel und hat erhebliche Kraft. Wenn die Zunge nicht richtig liegt, entwickelt sich die Breite des Oberkiefers nicht richtig. Die Breite des Oberkiefers steht im direktem Zusammenhang mit der unteren Nasenmuschel, das heißt mit den Atemwegen. Deswegen ist der bereits erwähnte Funktionszusammenhang bei der Zungenlage wichtig. Lispeln hat nicht nur etwas mit falscher Zungenfunktion zu tun und der sprachlichen Einschränkung, sondern mit der Entwicklung des Funktionsraumes Mund.
Wenn die Kinder zum Beispiel die Zunge im Unterkiefer ganz stark an die unteren Zähne legen, statt nach oben an den Gaumen, führt dies häufig zu einer offenen Mundhaltung. Das heißt, diese Kinder atmen immer durch den Mund. Dabei trocknet dann das Zahnfleisch aus, die Luftreinigung ist nicht mehr so gut. Je stärker das Lispeln ausgeprägt ist und je stärker der Einfluss auf die Funktionsebenen des Mundes ist, desto wichtiger ist die Therapie des Lispelns.
Aber die Zunge liegt doch, mal ganz laienhaft gesprochen, einfach nur im Mund rum.
Nein, überhaupt nicht. Die Zunge ist ein extrem sensibler und fein abgestimmter Muskel. Wenn man schluckt, dann kann man unterschiedliche Zungenlagen fühlen, da legt sich die Zunge an den Gaumen. Wenn man jetzt schluckt, ist das der normale Vorgang, der unter anderem die Breite des Oberkiefers stabilisiert. Wenn diese Zungenfunktion gestört ist, merkt man selbst das nicht. Weil man ja nie gelernt hat, wie es richtig geht. Das System merkt das aber sehr wohl und das führt zu Einschränkungen in der Mundgesundheit.
Eine Zunge, die beim Schlucken nach vorne drückt oder zur Seite, kann Zahnfehlstellungen verursachen. Die Zunge ist quasi wie eine Zahnspange, nur viel besser, weil wir sie 24 Stunden im Mund tragen.
Wann sollte man denn wegen Lispeln aktiv werden? Wenn Eltern merken, dass das Kind nur noch durch den geöffneten Mund atmet?
Nein, sobald Eltern merken, dass das Kind vorn mit der Zunge anschlägt und lispelt, sollte man sich Hilfe suchen. So verhindert man, dass eine Verschlechterung entsteht. Denn es ist für die Kinder ja enorm viel Arbeit, das dann wieder zu korrigieren. Je früher Eltern das Lispeln bemerken und aktiv werden, desto kleinere und minimalere Maßnahmen braucht es.
Was ist denn eigentlich die Ursache von Lispeln?
Wie oben bereits beschrieben ist die Zungenlage bei der Sprachbildung und Entwicklung des Funktionsraumes des Mundes von entscheidender Bedeutung. Liegt die Zunge falsch, stößt sie beim Sprechen an die Zähne seitlich oder vorne an und führt zu Fehlentwicklungen. Daher ist häufig früh eine logopädische oder eine myofunktionelle Behandlung zu empfehlen, oft in Zusammenarbeit mit einem Kieferorthopäden, der die Zungenlage mit Zahnspangen korrigieren kann.
Dadurch, dass Lispeln und Zungenpressen zu so erheblichen Schäden führen können, gibt es verschiedene Therapiemöglichkeiten. Daniel Garliner hat in den 1970er-Jahren die myofunktionelle Behandlung veröffentlicht. Das sind Schluckübungen mit der Zunge, wo man, ähnlich der Krankengymnastik für Beine oder Arme, die Zunge trainiert. So verändert sich dann das Schluckmuster.
Hat das Lispeln psychische Ursachen?
Hierzu müsste man einen Fachmann befragen, da gerade in der kindlichen Entwicklung eine Vielzahl psychischer Faktoren einen Einfluss haben können. Das Auftreten, die Selbstsicherheit, die Körperhaltung, die Kopfhaltung und somit auch auf die gesamte Sprachentwicklung. Kinder mit physiologisch guter Körperhaltung haben nach meiner persönlichen Erfahrung weniger sprachliche Auffälligkeiten als Kinder mit sehr nach unten geneigtem Kopf und unsicherer Haltung. Das vorübergehend sprachliche Zurückfallen, wenn Geschwisterkinder neu in die Familien kommen, ist eher unproblematisch, dieses Verfallen in Babysprache ist ja eher vorübergehender Natur. Auch das Spielen mit der Sprache oder das manchmal zu beobachtende pubertäre Nuscheln lässt sich nach Bitte um klare Aussprache immer von einem grundsätzlichen Sprachproblem unterscheiden.
Wann fangen Kinder mit dem Lispeln an?
Das ist individuell und nicht generell zu beantworten.
Ist das Lispeln ein Problem der Wackelzähne?
Ja, das ist manchmal bei dem Wechsel der vorderen Zähne zu beobachten. Die Kinder legen in der Zeit der Zahnlücke die Zunge nach vorne, in den meisten Fällen regelt sich diese Fehlfunktion jedoch nach völligem Durchbruch der Frontzähne und ausreichender Höheneinstellung ohne weitere Maßnahmen (Anm. d. Red.: Das bedeutet, dass die bleibenden Zähne schon ausreichend hoch gewachsen sind. Bis diese Zähne höher sind als die Zunge, braucht es einige Zeit. Sind die unteren Schneidezähne hoch genug gewachsen, sodass die Kinder dort mit der Zunge einen Widerstand spüren, können sie die Fehlstellung der Zunge auf diese Weise selbst korrigieren). Ist das nicht der Fall, sollten Eltern sich nicht scheuen, hier Hilfe zu suchen. Denn umso schneller gegengesteuert wird, umso minimaler sind die Maßnahmen, die ergriffen werden müssen. Wartet man zu lange, wird der mechanische Aufwand immer größer. Man kann dann natürlich immer noch was machen, aber es ist aufwendiger.
Hat Lispeln eine Bedeutung? Ist es vielleicht ein wichtiger Entwicklungsschritt?
Für die Zahn- und Mundgesundheit ist Lispeln zwar ein Entwicklungsschritt, jedoch ein negativer. Wie bereits beschrieben kann Lispeln zu erheblichen Fehlentwicklungen im gesamten Mundraum führen und sollte daher zumindest intensiv beobachtet oder bei längerer Zungenfehlhaltung therapiert werden.
Lispeln wird auch als Sigmatismus bezeichnet, richtig?
Wir beschreiben das Lispeln als Sigmatismus, es gibt verschiedenen Formen davon. Es variiert vor allem in der Form, wo die Zunge liegt. Die Logopäden haben da eine ganz klare Definition. Wir sprechen vom Sigmatismus interdentales, wobei es da auch diverse Untergruppen gibt.
Mit den Kindern sprechen wir allerdings in einer kindgerechten Sprache und reden von Lispeln.
3 Tipps gegen das Lispeln
- Man kann den Kindern die Zungenlage sehr schön mit Lebensmittelfarben zeigen. Dafür nimmt man die Lieblingsfarbe des Kindes, macht damit einen Punkt auf die Zunge und lässt das Kind schlucken. Der farbige Punkt muss am Gaumen sein und eben nicht vorn an den Zähnen. Wo die Farbe sich abbildet, kann man dem Kind wunderbar im Spiegel zeigen. Wenn das Kind dann sagt: Ja, aber meine Zunge kann ich nicht ändern, dann kann man zeigen, was passiert, wenn die Zunge mal nach rechts oder nach links bewegt wird. Da verteilt sich die Farbe dann ganz anders. Kinder haben es leichter beim Verstehen, wenn sie das visuell begreifen können, dass die Zunge ein Muskel ist, der sich bewegen und trainieren lässt.
- Eltern können alternativ zur Lebensmittelfarbe auch ein Stück Esspapier nehmen, das an den kindlichen Gaumen legen und die Kinder sollen dann schlucken und versuchen, mit der Zunge das Stück Esspapier zu erreichen.
- An Zahnspangen kann man sogenannte Perlen und andere Zungenspiele anbringen, um die Zungenlage zu korrigieren. Die Kinder haben es dann leichter, die Zungenlage zu korrigieren und somit auch die Sprache zu verbessern. Diese Apparaturen hat Rodolfo Castillo-Morales vorgestellt.
Das Interview führte Andrea Zschocher