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Prof. Dr. Martin Korte ist Professor am Zoologischen Institut der Technischen Universität Braunschweig, Abteilung Zelluläre Neurobiologie. Im Interview verrät er uns, welchen Einfluss KI, soziale Netzwerke und mobile Geräte auf Lernende haben.
Ein Handy für Schüler – was es mit ihnen macht
Florian Nuxoll: Im Zeitalter von TikTok und ähnlichen Plattformen wird oft über den Dopaminkick gesprochen, der durch das ständige Swipen und das Entdecken interessanter Inhalte ausgelöst wird. Dies wirft die Frage auf: Ist Dopamin begrenzt und beeinflusst ein exzessiver Konsum digitaler Medien das Lernvermögen von Schülern?
Prof. Dr. Martin Korte: Nicht per se. Das Dopamin wird immer neu generiert, aber es führt dazu, dass das Gehirn ein größeres Bestreben hat, die Belohnung in Form von weiteren Videos zu suchen. Das Perfide daran ist, dass nicht alle Videos passen, es ist immer eine Überraschungskomponente dabei, ähnlich wie bei den einarmigen Banditen in Las Vegas, die auch süchtig machen. Dieses Prinzip nutzen sowohl Social-Media-Plattformen wie Tiktok als auch andere Anbieter wie Facebook und Instagram.
Das bindet die Nutzer an diese Geräte und hat indirekt Einfluss aufs Lernen. Diese Tätigkeiten werden nämlich oft wichtiger als das Lernen selbst, oder man schafft es nicht, während des Lernens die Geräte abzuschalten, aus Angst, wichtige Nachrichten oder Videos zu verpassen. Daher ist es für intensive Tiktok-Nutzer wichtig, das Handy wegzulegen, sodass sie aktiv aufstehen müssen, um zu prüfen, ob neue Nachrichten eingegangen sind. Dies schafft eine kleine Barriere, die oft schon ausreicht, um noch einmal darüber nachzudenken, ob man nicht lieber den Lernstoff fertig machen sollte, bevor man sich den Videos zuwendet.
Das ist die ABC-Regel: Achtsam sein, durchatmen (Breath), und dann eine bewusste Entscheidung treffen (Choice).
Dies hilft nicht nur Schülern, sondern uns allen, vielen digitalen Verführungen zu widerstehen.
Selbst ein ausgeschaltetes Smartphone im Raum stört beim Lernen
Sie haben in Ihrem Buch geschrieben, dass auch ein ausgeschaltetes Smartphone auf dem Schreibtisch, wenn man dort arbeitet, schon eine gewisse Gehirnkapazität beansprucht. Können Sie das bitte näher erläutern? Warum kann ich weniger leisten, wenn ein ausgeschaltetes Handy neben mir liegt?
Genau. Ich habe bewusst empfohlen, das Handy in einen Nebenraum zu legen, denn selbst ein ausgeschaltetes Handy auf dem Schreibtisch ist ablenkend. Wir schauen immer wieder hin und überlegen, ob wir es nicht doch einschalten sollten, ob vielleicht eine Nachricht kommt, oder ob wir der Welt signalisieren wollen, dass es uns noch gibt. Dieses Abwehren des Impulses, das Handy zu nutzen, beansprucht Kapazitäten unseres Arbeitsgedächtnisses im Stirnlappen, der auch für unser Konzentrationsvermögen zuständig ist.
Diese Situation ist vergleichbar mit dem Abwehren schlechter Gefühle. Auch das schränkt unsere Lern- und Konzentrationsfähigkeit ein. Wenn das Handy sichtbar auf dem Tisch liegt, steht das Konzentrationsvermögen nicht voll zur Verfügung. Unbewusst sind Nervenzellen damit beschäftigt, an das Smartphone, an die nächsten Nachrichten oder die Bedienung des Geräts zu denken. Diese Rechenkapazität fehlt dann für die Lösung der eigentlichen Aufgabe.
Es fällt einem leichter, sich zu konzentrieren, wenn das Handy in einem anderen Raum liegt. Auch wenn die Gedanken manchmal zur nächsten "WhatsApp"-Nachricht oder zum nächsten Tiktok-Video abschweifen, ist das wesentlich seltener der Fall, als wenn das Handy direkt sichtbar ist. Man nennt das auch Precommitment: Man sollte auf seinem Schreibtisch nur die Dinge haben, die man wirklich zum Lernen braucht.
Das gilt auch für den Unterricht. Tablets sollten weggepackt werden, wenn sie nicht gebraucht werden, um Ablenkungen zu vermeiden.
Ebenso sollten nicht zu viele Programme auf diesen Tablets installiert sein, weil das dieselben Probleme verursacht.
Unser Buch-Tipp
In "Frisch im Kopf: Wie wir uns aus der digitalen Reizüberflutung befreien" (DVA) erklärt Prof. Dr. Martin Korte, wie sich die Mediennutzung auf unser Gehirn auswirkt.
Physische Lehrbücher haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber Tablets
Das ist ein interessanter Punkt, denn mit der Zunahme von Tablet-Klassen stellt sich die Frage: Ist es ein Unterschied, ob ich ein Buch zugeklappt oder ein Tablet ausgeschaltet vor mir habe?
Ja, das ist definitiv ein Unterschied. Nicht nur im Gewicht, sondern auch in der Art und Weise, wie man lernt. Tablets sind großartig für Recherchen und individuelles Lernen auf verschiedenen Niveaus. Man kann Videos abspielen und interaktiv lernen. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied, der dafür spricht, physische Lehrbücher nicht abzuschaffen und nicht nur auf Tablets zu lesen. Wenn man größere Zusammenhänge, etwa historische Ereignisse oder Wirtschaftskreisläufe, verstehen will, sind Bücher überlegen. Studien haben gezeigt, dass die Lernleistung bis zu zehn Prozent höher ist, wenn man Inhalte aus einem echten Buch lernt. Das liegt daran, dass das Gehirn neben dem Inhalt und der Didaktik auch die räumliche Anordnung der Informationen im Buch speichert – ähnlich wie man sich einen Weg anhand von Landmarkern merkt.
Das Gehirn verknüpft also, wo etwas gelesen wurde, mit der Leichtigkeit der Erinnerung. Diese räumliche Verknüpfung fehlt auf einem Flachbildschirm, da dort jede Seite gleich aussieht. Man kann sich also besser an Inhalte erinnern, je nachdem, ob man sie am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Buches gelesen hat.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, besonders bei jüngeren Schülern, ist die Bedienung der Technik. Das Umblättern eines Buches verbraucht keine Rechenkapazität, aber bei einem Tablet ist das anders. Wenn man über einen Link zu einem entfernten Thema oder einem Video springt, muss man mental wieder zurück zur ursprünglichen Seite finden. Man ist also immer auch mit der Technik des Geräts beschäftigt und nicht nur mit dem Inhalt. Selbst routinierte Tablet-Nutzer verlieren schnell die Orientierung.
Zudem ist es wichtig, dass Schüler auch buchbasiert arbeiten, um größere Kontexte im Kopf zu behalten. Viele machen ihre Notizen nur noch auf dem Tablet, und obwohl es tolle Programme mit Farbsortierung gibt, kann das zu einem Problem führen. Die Seiten sind beliebig groß, und wenn Schüler etwas korrigieren, vergrößern sie den Bereich und verlieren den Rest der Seite aus dem Blick. Das beeinträchtigt das Verständnis für den Kontext. Im Vergleich dazu bietet ein A4-Blatt immer einen Überblick über die ganze Seite.
Man muss also darauf achten, wie Schüler ihre digitalen Notizbücher führen. Das Führen von Heften und Übungsmappen, das Erstellen von Inhaltsverzeichnissen – all das scheint mit Tablets etwas verloren zu gehen.
Die Schüler haben dann Schwierigkeiten, das Gelernte zusammenzutragen, wenn es auf das Lernen für Prüfungen ankommt.
KI in der Schule bietet Chancen, aber auch Gefahren
Mit der zunehmenden Verbreitung generativer KI im letzten Jahr hat sich deren Nutzung in Schulen deutlich verstärkt. Schüler und Lehrkräfte nutzen sie gleichermaßen. Glauben Sie, dass unser Gehirn durch generative KI überfordert ist?
An sich nicht, aber es gilt zu beachten, dass der Umgang mit KI umso effektiver ist, je mehr man bereits über ein Thema weiß. Dies er möglicht spezifischere Fragen an die KI und eine bessere Beurteilung der Antworten. Es ist wichtig zu erkennen, was plausibel ist und was als "Halluzinationen" – also faktisch inkorrekte Informationen, die die KI generiert – betrachtet werden kann.
Schüler müssen verstehen, wie generative KIs arbeiten. Sie basieren auf der Verarbeitung unzähliger Seiten, die sowohl nützliche Informationen als auch Unwahrheiten enthalten können.
Daher ist es wichtig, sowohl ein Grundverständnis der Funktionsweise von KIs zu haben als auch die Fähigkeit, die gelieferten Antworten einzuordnen. Es gibt große Chancen, aber auch Gefahren.
Im Unterricht sollte man diesen Aspekt aktiv angehen. Zum Beispiel könnte man die KI fragen, was das Bruttosozialprodukt ist oder warum dieser Begriff kritisch gesehen wird. Die Schüler sollten dann die Antworten analysieren und überlegen, was unwahrscheinlich ist und wie sie das recherchieren können. Dabei ist es wichtig, dass sie unabhängige Quellen nutzen und diese kritisch hinterfragen. Die KI liefert oft Texte, die gut formuliert sind, aber teilweise falsche Informationen enthalten. Die Schüler sollten also lernen, unabhängige Webseiten zu nutzen und die dort gefundenen Informationen kritisch zu bewerten.
Wir müssen die KI hinterfragen und mit eigenem Wissen abgleichen
Mit der Integration von KI in den Bildungssektor könnte man annehmen, dass wir bestimmte Aufgaben des Gehirns an die Technologie outsourcen. Welche Fähigkeiten müssen wir in Zukunft noch lehren und lernen in der Schule? Was sind diese Zukunftskompetenzen?
Ehrlich gesagt nimmt das Lernen in der Menge nicht ab, sondern erhält eine zusätzliche Komponente. Alles, was wir bisher unterrichtet haben, bleibt relevant. Wir müssen noch effektiver unterrichten, damit Schüler das Wissen erlangen, das im 21. Jahrhundert erforderlich ist. Warum?
Wenn Maschinen klüger werden, müssen auch wir klüger werden.
Wir benötigen ein umfangreiches Wissen, um kluge Suchanfragen stellen und Antworten richtig einordnen zu können. Ein Problem im Gehirn ist, dass es bei Überflutung mit Informationen dazu neigt, diese zu ignorieren und nur das zu glauben, was es bereits annimmt. Das ist nicht nur politisch problematisch, sondern auch im Bildungsprozess.
Ohne eigenes Wissen als Gegengewicht zu den Informationsmengen, ist die Recherche nutzlos. Man filtert die unwichtigsten Dinge heraus, ohne die wichtigen zu erfassen. Das im Netz gefundene Wissen ist dann schlecht verankert. Wir müssen verstehen, wie Informationstechniken, Social Media und Nachrichtenübermittlung funktionieren, wie Algorithmen Nachrichten filtern und wie KI ihre Antworten generiert. Dies ist auch demokratisch wichtig.
Mit der Einführung autonom fahrender Autos wird sich die Priorisierung von Informationen ändern. Firmen könnten dafür zahlen, dass ihre Informationen schneller weitergegeben werden. Dies erfordert ein tiefgreifendes Verständnis von Netzwerken. Schulen stehen vor der Herausforderung, dieses Wissen zu vermitteln. Andererseits bieten Suchmaschinen und Tablets mit ihren Apps neue Lehrwerkzeuge, die das Lehren und Lernen effektiver machen könnten.
Ich lehne die Idee ab, dass durch digitale Medien oder KI in der Schule Wissensvermittlung reduziert wird. Lernen verändert das Gehirn strukturell.
Je mehr wir wissen, desto differenzierter sehen, denken und handeln wir.
Dies gilt auch für den Umgang mit Menschen aus verschiedenen Kulturen. Je mehr wir Menschen aus verschiedenen Kulturen kennenlernen, desto differenzierter denken und handeln wir und desto weniger Vorurteile hegen wir. Dies ist nicht nur für die Schule, sondern auch für das Berufsleben und eine funktionierende Demokratie von Bedeutung.
Fremdsprachen zu lernen kann durch kein Übersetzungsprogramm ersetzt werden
Bedeutet das, dass es in der Zukunft weiterhin wichtig sein wird, Sprachen wie Französisch, Spanisch und Englisch zu unterrichten?
Ja, genau. Es ist wichtig, eigene Erfahrungen mit diesen Sprachen zu sammeln. Selbst wenn man Übersetzungsprogramme nutzt, muss man abschätzen können, ob das Ergebnis der Übersetzung dem entspricht, was man ausdrücken wollte. Man kann zwar einzelne Wörter nachschlagen, aber es ist wichtig, die Grundstrukturen anderer Sprachen zu verstehen. Wenn man ständig ein elektronisches Übersetzungssystem zur Kommunikation nutzt, werden die Gespräche mühsam und wirken künstlich. Solange wir nicht einen hypothetischen "Fisch im Ohr" haben, der jede Sprache der Welt sofort und unmerklich übersetzt, bleibt es wichtig, Fremdsprachen zu lernen.
Außerdem: Wenn man Dinge übersetzt, gibt es nicht immer nur eine einzige korrekte Übersetzung, wie es eine KI vorgeben könnte. Beim Übersetzen zwischen Sprachen geht oft etwas verloren, was den spezifischen Sprachduktus ausmacht. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, etwas auszudrücken, und das lernt man am besten, indem man eine Fremdsprache beherrscht. Das Erlernen von Fremdsprachen fördert nicht nur das Verständnis für Sprachstrukturen, sondern auch für kulturelle Nuancen, die in der Übersetzung oft verloren gehen.
Podcast-Tipp zum Interview
Das ganze Gespräch zwischen Florian Nuxoll und Prof. Dr. Martin Korte ist auch im Podcast "Doppelstunde" (z. B. bei Spotify) nachzuhören.