
Elsa sieht zu niedlich aus in ihrem kleinen Bikini. Sie steht mit den Füßen im Babybecken des Freibads. Das Eis, an dem sie lutscht, hat sie sich schon überall hingeschmiert: um den Mund, die ganze Nase, über den Oberkörper. Es tropft runter bis auf ihre speckigen Kleinkind-Oberschenkel. Elsas Mutter hat den Moment mit der Handykamera festgehalten und postet das Bild auf Facebook. "Klebrige Abkühlung" schreibt sie dazu und setzt einen lachenden Smiley daneben. Ihre Schwester, Elsas Tante, kommentiert das Ganze. Nicht auf Facebook, sondern im echten Leben: "Willst du das wirklich ins Internet stellen?", fragt sie ihre Schwester und blickt kritisch aufs Handydisplay. "Elsa ist doch halbnackt auf dem Bild." Elsas Mutter winkt ab: "Woran du wieder denkst. Sie ist doch fast noch ein Baby. Was soll da schon passieren?"
Kleine Facebook-Gruppe, große Aufregung
Was zum Beispiel passieren kann, zeigt "Gespenster am Fenster" in der harmlosen Variante. Die offene Facebook-Gruppe tut nichts weiter, als öffentlich gepostete Kinderfotos zu teilen. Die Idee: Nutzer darauf hinweisen, wie leicht sich Bildmaterial im Internet verbreitet. Die Aufregung der User, die das Bild ursprünglich ins Netz gestellt haben, ist meist groß. "Wer bist du und wieso teilst du mein Bild?", steht unter den Posts, oder "LÖSCH DAS SOFORT!" mit einer entsprechenden Drohung. Größer als die Aufregung der Betroffenen ist nur die Häme der Beobachter: Von Beleidigungen bis hin zu detaillierten Photoshop-Ideen, wie man das jeweilige Foto für sexuelle Fantasien verändern könnte, ist alles dabei. "Na super. Da freuen sich die Pädos.", schreibt eine Userin unter das Bild eines Jungen im Swimmingpool. Andere machen sich sogar die Mühe, die jeweiligen Profile der Facebook-User nach weiteren, noch freizügigeren Kinderfotos zu durchsuchen und posten diese in die Kommentare.
Kein Verstoß gegen geltende Gesetze
Mit der Vorgehensweise verstößt "Gespenster am Fenster" weder gegen eine Facebook-Regel noch gegen ein Gesetz. "Vorausgesetzt, ein Foto wurde rechtmäßig, das heißt nicht ohne oder gegen den Willen des/der Abgebildeten oder der gesetzlichen Vertreter hochgeladen, darf das Foto jedenfalls im Rahmen aller Funktionen der jeweiligen Plattform genutzt und verbreitet werden, also meistens: Teilen, Liken, Einbetten, Kommentieren", erklärt der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Stephan Dirks. "Nicht erlaubt ist das Kopieren und Re-Posten des Materials auf derselben Plattform oder an anderer Stelle, da dies eine eigenständige Veröffentlichungshandlung darstellt." Das heißt: Die Teilen-Funktion einer Plattform darf ich nutzen, das Bild herunterladen und selbst neu veröffentlichen jedoch nicht.
Keine Kontrolle über die Weiterverarbeitung
Allerdings lässt sich gerade das letzte Szenario so gut wie gar nicht überprüfen. "Klar ist, dass jemand, der die Fotos seiner Kinder in soziale Netzwerke einstellt, die Kontrolle über die Verbreitung und Nutzung letztlich vollständig abgibt, weil er wirksam kaum kontrollieren kann, ob rechtliche Beschränkungen eingehalten werden", erklärt Stephan Dirks weiter. Wozu das im schlimmsten Fall führen kann, zeigt eine ARD-Dokumentation eindrucksvoll: "Kinderfotos im Netz: gepostet, geklaut, missbraucht" verfolgt unter anderem den Weg von auf Instagram geposteten Fotos zu russischen Pornoseiten. Was für Eltern ein süßer Schnappschuss und eine schöne Erinnerung ist, wird hier zur Vorlage für pädophile Fantasien. Den Recherchen des ARD-Teams nach ist das kein seltener Einzelfall, sondern eine massenhaft betriebene Vorgehensweise.
Privatsphäre-Einstellungen allein reichen nicht aus
Natürlich kann jeder sein Profil auf "privat" stellen. Doch nicht immer schützt diese Maßnahme vor dem Missbrauch. Entweder, weil unter den zahlreichen Facebook "Freunden" doch einer ist, den man falsch eingeschätzt hat (oder einfach kaum kennt). Oder weil das eigene Profil Hackern zum Opfer fiel.
Social-Media-Richtlinien sollen schützen
Kinder sollten vor Dingen wie diesen geschützt werden. Das sehen die Plattformen selbst genauso. In den Community Guidelines von Instagram heißt es zum Beispiel: "Viele Menschen teilen gerne Fotos und Videos ihrer Kinder. Aus Sicherheitsgründen kann es vorkommen, dass wir Bilder entfernen, auf denen nackte oder halbnackte Kinder zu sehen sind. Auch wenn solche Inhalte in guter Absicht geteilt werden, könnten sie von anderen Personen auf unerwartete und unerwünschte Weise verwendet werden." In ihren "Tipps für Eltern" beantworten die Betreiber zudem Fragen für Eltern, deren Kinder bereits selbst auf Instagram aktiv sind und eventuell unbedacht Fotos ins Netz stellen.
Kinderbilder auf Instagram und Facebook: Ab wann müssen Eltern um Erlaubnis fragen?
Das dürfen Kinder übrigens lange vor ihrem 18. Geburtstag, erklärt Stephan Dirks: "Da es sich bei der Einwilligung nicht um eine so genannte 'Willenserklärung' sondern um eine 'geschäftsähnliche Handlung' handelt, kommt es für den Zeitpunkt, ab dem die Kindern selbst entscheiden können, nicht auf den Zeitpunkt ihrer vollen Geschäftsfähigkeit – also: den 18. Geburtstag – an, sondern darauf, ob sie verstehen, welche Bedeutung so eine Einwilligung hat. Das dürfte in der Regel mit etwa 14 Jahren der Fall sein. Ab diesem Zeitpunkt entscheiden die Kinder also selbst." Bis dahin haben die Eltern die "Macht" über eventuelle Fotoveröffentlichungen in den sozialen Netzwerken: "Das 'Recht am eigenen Bild' ist eine gesetzlich geregelte, besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts […] und selbstverständlich gilt es bereits ab der Geburt. Aber natürlich können Babys noch gar nicht und Kinder nicht wirksam einwilligen, und deshalb sind die Eltern im Rahmen ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreter ihrer Kinder hierzu berechtigt ", erklärt Stephan Dirks. Erst ab dem Augenblick, in dem sie ihr Kind nicht mehr vertreten, weil es selbst die nötige sittliche Reife hat, müssen Eltern ihr Kind nach der Erlaubnis einer Veröffentlichung fragen. Übrigens: Ist ein Paar geschieden, entscheidet der Elternteil mit dem Sorgerecht. Ist das Sorgerecht geteilt, müssen beide zustimmen.
Laut UN-Kinderrechtskonvention haben auch die Kleinen ein Anrecht auf Privatsphäre und Mitbestimmung. "Höchstpersönliche Momente gehören nicht ins Netz", stellt Sophie Pohle vom Deutschen Kinderhilfswerk klar. "Was Eltern niedlich finden, ist für Kinder manchmal peinlich oder fühlt sich ungut an. Bilder von nicht voll bekleideten Kindern oder sehr emotionale Momente sollten deshalb nicht veröffentlicht werden." Spätestens ab dem Vorschulalter könnten Kinder schon gut einschätzen, wie sie sich zeigen möchten. "Ich empfehle, den Kindern die Bilder zu zeigen und mit ihnen darüber zu sprechen – und zwar vor der Veröffentlichung." Dann sei es wichtig, ihre Meinung auch zu respektieren.
Gruppenbilder, Schulaufführungen und Co.
Anders ist es bei öffentlichen Vorführungen. "Es ist zwar 'grundsätzlich', aber nicht für jede Veröffentlichung eines Fotos, auf dem ein Mensch erkennbar ist, eine Einwilligung notwendig (die Ausnahmen hierzu regelt §23 Kunsturhebergesetz, KUG). Dies hat sich auch mit Einführung der Datenschutzgrundverordnung nicht geändert. Also: Wenn jemand Fotos zum Beispiel der öffentlichen Aufführung des Schulchors postet, muss er dafür nicht um Erlaubnis fragen, denn dabei handelt es sich dann in der Regel um ein Bildnis der Zeitgeschichte", erläutert Stephan Dirks. Doch auch hier gilt natürlich: Bei jedem Motiv lohnt sich die Frage, ob alle abgebildeten Kinder über die Veröffentlichung glücklich sein werden. Denn selbst wenn man nicht immer vom schlimmsten Fall und der Verbreitung auf pornografischen Seiten ausgehen muss, eins ist sicher (und wurde zuletzt durch die Kampagne "Dein Kind auch nicht" treffend in Szene gesetzt): Fotos, die einem unangenehm sein können, möchte vermutlich niemand von sich selbst im Netz finden – weder heute noch irgendwann in ein paar Jahren. Auch nicht die vollgekleckerte Elsa in ihrem neuen Bikini.
Sharenting – ein gefährlicher Trend
Für das Teilen von Fotos und Videos der eigenen Kinder in sozialen Netzwerken gibt es mittlerweile sogar einen eigenen Begriff: Sharenting – zusammengesetzt aus den englischen Wörtern "share" (teilen) und "parenting" (erziehen). Experten sehen diesen "Trend" kritisch, da Eltern sich der Gefahren häufig gar nicht bewusst sind, wenn sie Bilder ihrr Kinder posten.
Das deutsche Kinderhilswerk rät zu diesen Vorsichtsmaßnahmen, wenn Eltern Bilder ihrer Kinder in sozialen Netzwerken veröffentlichen möchten:
- Das Kind miteintscheiden lassen und nicht gegen seinen Willen handeln.
- Personenbezogene Daten des Kindes nicht veröffentlichen, wie z. B. den vollständigen Namen oder das Alter. Auch Ortsangaben sollten vermieden werden, um den Aufenthaltsort des Kindes nicht preiszugeben.
- Die Privatsphäre-Einstellung regelmäßig überprüfen, sodass nur ein bestimmter Kreis an Personen die Bilder sehen kann.
- Keine Bilder von Kindern in peinlichen oder unangenehmen Situationen posten.
- Bestenfalls Kinder nur unkenntlich, zum Beispiel von hinten, zu zeigen.
"Schau hin!" – ein Fotoguide für Eltern
Die Initiative "Schau hin!" informiert über die Mediennutzung von Kindern und unterstützt Eltern bei der Medienerziehung. Dieses praktische PDF hilft Eltern bei der Entscheidung, ob sie ein bestimmtes Bild ihres Kindes im Netz posten können oder es besser bleiben lassen solllten.

Der Fotoguide zum Herunterladen
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- 990311-fotoguide-fuer-eltern.pdf (77.87 KB)
Dürfen Eltern Fotos von ihren Kindern posten?
Kaum ein Thema sorgt unter Eltern für so viel Zoff wie die Frage, ob es okay ist, Kinderfotos in sozialen Netzwerken zu posten. Wir haben vier Meinungen eingesammelt.
"Unsere Kinder sehen jedes Bild vor der Veröffentlichung"

"Meine Oma war Schneiderin, und ich habe dank ihr schon immer genäht. Natürlich auch Sachen für meine Kinder. Vor fünf Jahren habe ich angefangen, handgefertigte Kinderkleidung online unter dem Label 'NordkidZ' zu vermarkten. Jetzt habe ich zwölf Mitarbeiter – und unsere Kinder sind die Produkttester für neue Schnittmuster. Wir produzieren robuste Mode aus z.B. Wollwalk, die bequem und langlebig ist. Ich poste Bilder meiner Kinder mit neuen Outfits öffentlich auf unserem Instagram-Kanal. Mir ist bewusst, dass die Fotos weltweit sichtbar sind, deshalb achte ich sehr darauf, dass die Bilder ihnen keine Nachteile bringen können. Peinliche oder intime Momente gibt es bei uns nicht. Meine Kinder sehen außerdem jedes Bild und jede Story vor der Veröffentlichung. Wir sprechen zudem regelmäßig und ausführlich darüber, was im Netz okay ist und was nicht. Meine beiden Großen sind schließlich auch schon allein online unterwegs. Negatives Feedback haben wir fast noch nie bekommen. Wir sind ein Familienunternehmen, und das sieht man auf unserem Profil."
Nadine Sy (34) aus Trittau ist selbstständig und hat vier Kinder: Sophie (15), Tom (11) Niklas (7) und Hannah (4)
"Kinder sind überall: Wieso nicht auch in sozialen Medien?"

"Als Profi-Fußballer steht Dennis im öffentlichen Leben –und wir, seine Familie, mit ihm. Als er noch beim HSV spielte, wurden wir oft von Fans fotografiert, im Restaurant oder im Stadion zum Beispiel. Das konnten wir gar nicht verhindern, und da haben wir uns gedacht: Dann zeigen wir uns lieber selbst. Die Kinder sind es gewohnt, erkannt zu werden. Auch jetzt beim SV Sandhausen. Das ist für uns normal. Das Feedback auf meinen Instagram-Kanal ist fast immer positiv, und die Großen sehen die Aufnahmen, bevor ich sie veröffentliche. Natürlich achte ich darauf, dass die Bilder nicht intim sind, und erkläre meine Kindern, was ich dort tue und warum. Delani hat schon selbst ein Handy und auch ein Instagram-Profil. Allerdings erst mal nur zum Gucken, nicht zum Posten. Kinder sind überall in unserem Leben: Im Fernsehen, in der Musik, in der Werbung – warum sollten sie dann nicht auch in den sozialen Medien sein? Uns wurde die Entscheidung abgenommen, und die Kinder müssen sich ab einem gewissen Alter damit auseinandersetzen, dass sie bekannter sind als andere. So ist unser Leben nun mal."
Spielerfrau, Mama und Influencerin: Dana Diekmeier (35) lebt mit Ehemann Dennis (31) und Delani (10), Dion (6), Dalina (4) und Divia (3) bei Heidelberg
"Ich möchte die Privatsphäre meiner Tochter schützen"

"Bereits in der Schwangerschaft habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie ich mit Kinderbildern im Netz umgehen will. Das Ergebnis: Ich möchte die Privatsphäre meiner Tochter schützen, deshalb ist weder ihr Gesicht noch ihr Name im Internet zu finden. Ich habe mich über die Nutzungsbedingungen der großen Plattformen informiert. Auf Facebook poste ich gar keine Kinderfotos, da ich dort die Distributionsrechte für meine Bilder komplett abgebe. Bei Instagram ist es zwar genauso, hier zeige ich meine Tochter aber dennoch – allerdings nur auf meinem privaten Account. Und ohne Details preiszugeben: Ich mache sie unkenntlich. Beruhigend finde ich, dass die Nutzungslizenz des Unternehmens für meine Fotos erlischt, wenn ich meinen Account lösche. Im Übrigen dürfen auch meine Familie und Freunde keine Bilder meiner Tochter posten, das gilt auch für andere Kanäle wie zum Beispiel das Whatsapp-Profilbild."
Marthe Goergen-Vasatko (37) ist Unternehmerin aus Hamburg und Mutter einer 4-jährigen Tochter
"Die kleinen Wunder mit Poldi behalten wir für uns"

"Poldilove – das ist mein Hashtag zu allem, was ich von meinem Sohn poste und teile. Doch: Ich zeige sein Gesicht nicht. Macht das Sinn? Warum zeigt man überhaupt sein Kind? Warum zeige ich mein Kind, das Kostbarste auf der Welt, und streue diese Bilder in die digitale Welt? Ist es Eitelkeit oder Liebe? Ist es Corona oder einfach nur Zeitgeist? Eine Antwort auf all das habe ich nicht und ergebe mich dieser zu großen Freude daran, besondere Momente festzuhalten. Warum aber ohne Gesicht? Sein erstes Engelslächeln, die ersten Blicke, sein jetzt so breites bewusstes Anlachen – diese Wunder behalten wir für uns. Aus Ehrfurcht und Dankbarkeit über dieses noch immer unbegreifliche Glück, ein Kind zu haben. Und aus dem simplen Grund, dass einfach jeder – und sei es auch ein privater Account – Screenshots von meinem Kind machen und diese weiterschicken kann, ohne dass ich ansatzweise wüsste, wohin. Liebe kann man teilen, denn dann verdoppelt sie sich. Aber das geht auch offline."
Franziska Underberg (40) ist Eigentümerin der PR-Beratung "Wille Kommunikation" in Berlin. Ihr Sohn Poldi kam im Mai 2020 zur Welt
Autorinnen: Silke Schröckert und Merle von Kuczkowski