
Prof. Dr. Rudolf Kammerl ist seit 2016 Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik mit Schwerpunkt Medienpädagogik an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Wir sprachen mit ihm über den Wandel der Medienlandschaft und den Umgang der Mediennutzung im Hinblick auf Kinder.
Herr Professor Kammerl, ein Viertel der Sechs- bis 13-Jährigen spielt in Deutschland jeden oder fast jeden Tag Videospiele. Laut Bitkom nutzen 40 Prozent der Sechs- bis Siebenjährigen gelegentlich das Internet. Eine besorgniserregende Entwicklung?
Prof. Dr. Rudolf Kammerl: Auch wenn wir es uns vielleicht anders wünschen würden: Der Trend geht hin zu einem immer früheren Einstieg. Dass Kinder schon im Vorschulalter Fernsehen, Computer und Spielkonsole nutzen, ist nun mal längst Realität. In Beruf, Ausbildung und in weiterführenden Schulen wird heute elementares Wissen über die Mediennutzung vorausgesetzt. Deshalb ist das Grundschulalter sicher die Zeit, in der Kinder erste Erfahrungen in der digitalen Welt sammeln sollten.
Mitunter hört man den Rat, Kindern grundsätzlich zu verbieten, an Computer oder Konsole zu spielen. Was sagen Sie als Medienpädagoge dazu?
Kindern überhaupt nicht beizubringen, wie sie damit umgehen, halte ich für schwierig. Wenn diese Appelle die Eltern überhaupt erreichen, dann hoffentlich mit dem Effekt, dass sich diese noch mehr überlegen, wie sie den Medienalltag so gestalten, dass er einen positiven Einfluss auf ihre Kinder hat.
Wie sieht denn ein gelungener Medienalltag aus?
Zunächst einmal sollten die Eltern sorgfältig auswählen, welche Medien sie ihren Kindern anvertrauen. Wenn sich jüngere Kinder für Computer interessieren, empfehle ich zum Beispiel ein Lernspiel. Oder die Kleinen erkunden zusammen mit einem Erwachsenen die Möglichkeiten der Bildbearbeitung. Mit zunehmendem Alter können Eltern ihrem Nachwuchs immer mehr Möglichkeiten anbieten, unter denen er selbst auswählen darf. Außerdem finde ich es wichtig, dass Kinder nicht nur passiv vor dem Bildschirm sitzen. Viel besser ist es, wenn sie Medien aktiv und kreativ nutzen, etwa beim Texteschreiben oder beim Basteln an einem Videoclip.
Was ist mit dem Internet, beispielsweise mit werbefrei gestalteten Suchmaschinen für Kinder?
Kindersuchmaschinen eignen sich gut für ältere Grundschüler. Dort können sie sich über ihr Lieblingsthema informieren und üben gleichzeitig, sich auf Websites zurechtzufinden. Wenn die Inhalte leicht verständlich und die weiterführenden Links von der Redaktion geprüft sind, halte ich Kindersuchmaschinen für eine gute Sache.
Sollten Eltern eigentlich immer dabei sein, wenn ihre Kinder in der digitalen Welt unterwegs sind?
Vor allem wenn Kinder etwas Neues entdecken, haben sie oft Fragen. Dann brauchen sie ihre Eltern. Gespräche über Medienerlebnisse innerhalb der Familie helfen außerdem, das Erlebte zu reflektieren und richtig einzuordnen. Sprechen sollten Eltern mit ihren Kindern jedoch nicht nur danach, sondern auch während des Spielerlebnisses. Und besonders im Internet sollten Grundschulkinder nicht ohne Begleitung unterwegs sein.
Den meisten Erwachsenen ist klar: Sogenannte "Ballerspiele" mit schnellen Bildfolgen und Suchtfaktor haben im Kinderzimmer nichts zu suchen. Wie aber sehen kindgerechte Spiele aus?
Grundsätzlich sollten Eltern beim Kauf die Altersfreigaben beachten, die auf der Verpackung angegeben sind. Aber Vorsicht: Das ist keine Altersempfehlung! Eine Freigabe ab sechs Jahren bedeutet nur, dass ein Sechsjähriger nach dem heutigen Stand der Erkenntnisse von diesem Spiel in seiner Entwicklung nicht negativ beeinträchtigt werden dürfte. Tatsächlich gibt es jedoch bisher nur wenige Langzeitbefunde darüber, wie sich Computerspielen auf die kindliche Entwicklung auswirkt. Ob ein Spiel einen potenziellen Suchtfaktor mitbringt, das wird beispielsweise aktuell bei der Kennzeichnung gar nicht erfasst.
Freiwillig räumen die Kleinen ihren Platz vor dem Computer nicht. Wie setzen sich Eltern am besten durch?
Sie müssen von Beginn an klar festlegen, was und wie lange ihre Kinder spielen dürfen. Und konsequent bleiben, wenn es darum geht, dass ihr Nachwuchs die Vorgaben auch einhält. Aber auch für die Eltern gelten Vorschriften. Sie sollten Computerspielen nicht als Strafe verbieten oder als Belohnung einsetzen, wenn der Regelverstoß nichts mit Medien zu tun hat. Regeln geben außerdem nur dann eine klare Orientierung, wenn sie langfristig und verbindlich vereinbart werden. Grundschulkinder dürfen dabei mitreden. Der Ältestenrat hat aber natürlich das letzte Wort.
Tipps für den Medienalltag
- Auf Auszeichnungen achten: Hat ein Spiel den "Tommi", die "Gigamaus" oder das Label "pädagogisch wertvoll" erhalten, verknüpft es meist lehrreiche Inhalte mit Spaß und Kreativität. Auch die Spiele, die für den Deutschen Computerspielpreis nominiert wurden, könnten geeignet sein – wenn die Altersangaben zum Nachwuchs passen.
- Die Kontrolle behalten: Kinder sollten nicht alleine surfen oder unbekannte Spiele ausprobieren. Der Medienratgeber "Schau hin!" rät davon ab, Kindern vor dem neunten Geburtstag ein Handy zu schenken. Die Reife, um ein Smartphone zu nutzen und die Gefahren des Internets einzuschätzen, erreichen Kinder ungefähr mit zwölf Jahren.
- Spiele vorher selbst testen und abwägen: Kann mein Kind das? Macht es ihm Spaß? Passt es zu seinen Fähigkeiten oder langweilt es sich?
- "Medienzeitbudgets" vereinbaren: Mit dem Kind zusammen verabreden, wie lange es spielen darf. Wann es spielen möchte, kann es selbst entscheiden. Danach ist aber wirklich Schluss.
- Orientierungshilfen nutzen: In Österreich benennt die "Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolespielen" empfehlenswerte Spiele unter BuPP.at
- Sichere Einstiegsmöglichkeiten ins Internet bieten: Kindersuchmaschinen wie frag-finn.de oder
blinde-kuh.de, Webseiten der öffentlich-rechtlichen Sender wie kika.de oder wdrmaus.de
Autorin: Angela Murr