
Sex ist für die meisten Jugendlichen in Deutschland selbstverständlich. Und ab einem Alter von 14 Jahren außerdem völlig legal. Kaum ein Tabu, kaum eine Vorliebe oder eine Bettgeschichte, die nicht mit anderen ausdiskutiert wurde. Online natürlich. Dank Internet wissen Jugendliche über Aufklärung, Verhütung und Sexpraktiken bestens Bescheid – zumindest in der Theorie. Per Social Media geht es dann zum analogen Praxisteil: ob mit ernster Absicht oder für einen One-Night-Stand. Selbstbestimmt ist, wenn alles darf, nichts muss, und cool ist, wer weiß, wie es geht.
Ist die Generation Z sexsüchtig?
Sexting, Sextoys, Selbstbefriedigung, Pornokonsum: Ist die Generation Z sexsüchtig? Einer Langzeitstudie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf zufolge haben bei Jugendlichen trotz Internet weder Sex unter Singles, Affären noch Seitensprünge zugenommen. Sie haben nicht eher, nicht mehr und keinen anderen Sex als vor 15 oder 30 Jahren. Dank der neuen Medien werden jedoch mehr Sexualpraktiken ausprobiert. Auch junge Frauen schauen deutlich mehr Pornos als früher. Die erlebnisorientierte Sexualität dient als neue Form der Selbstfindung. Früher tauschte man freizügige Fotos analog, heute geht Sexting digital. Zugleich wachsen Unsicherheiten und der Zwang zur körperlichen Selbstoptimierung aus Angst, den Ansprüchen aus dem Netz nicht gerecht zu werden.
Also gibt es auch heute immer noch die, die lieber länger auf den richtigen Partner warten. "Alles, was verschwindet, gewinnt an Wert." Trendforscher Peter Wippermann zufolge schüren die Unverbindlichkeit in Beziehungen, die Wandelbarkeit sexueller Identitäten und Entwicklungen wie die gleichgeschlechtliche Ehe den Wunsch nach Sicherheit – in einer romantisch-konservativen "Trotzkultur".
Wo geht's für Jugendliche zum sexuellen Glück?
Wie selbstsicher sind die Jugendlichen tatsächlich auf ihrem Weg zu ihrem sexuellen Glück? Viele gehen irgendwann selbstbewusst damit um, wenn sie ihr Sexleben anders gestalten als die Norm. Aber nur wenige möchten darüber reden. Wir haben einmal bei den Teenies nachgefragt (die Namen in diesem Artikel haben wir aus Persönlichkeitsschutzgründen geändert).
Wann haben deutsche Jugendliche zum ersten Mal Sex?
Laut statista.com geben 45 Prozent der Jungen und 52 Prozent der Mädchen im Alter von 16 Jahren an, in diesem Alter bereits das erste Mal Sex gehabt zu haben. Mit 15 Jahren sind es 29 Prozent der Jungen und 23 Prozent der Mädchen.
"Mein Single-Leben ist viel cooler"
Dominik ist 19 und überzeugter Single. Mit 13 Jahren bekam der durchtrainierte BWL-Student sein erstes Smartphone, den ersten Porno sah er mit 15. Das war ganz normal, weil "alle es gemacht haben". Seine sexuelle Kompetenz hat er sich als Trockenübung auch in Foren angeeignet, in denen man "einfach anonym intime Fragen stellen kann", die man sich face to face nie getraut hätte. Damals war er allerdings noch "unsicher und schüchtern".
Heute ist für Dominik Sex eine Sache, "weil man Lust darauf hat". Das hat weniger damit zu tun, was man alles im Netz gesehen hat. Plattformen wie Tinder nutzen er und seine Freunde eher zur "Selbstbestätigung" sowie "zur Belustigung" über die Profile anderer.
"Meinen ersten Sex hatte ich mit 15, das war in den Ferien in Frankreich. Sie war etwas älter und megasüß, auch wenn ich ihre Sprache nicht verstanden habe. Es war cool, aber jetzt keine Liebe oder so, und wir haben uns auch nie wiedergesehen. Damit gehörte ich zu den Ersten in meiner Clique. In der 10. Klasse hatte ich dann meine erste Freundin. Aber das ging nur einige Monate gut, weil sie so eifersüchtig war."
Sein Singleleben findet Dominik jetzt "viel cooler". Er möchte frei sein und Sex haben, wann er möchte, "ohne Verpflichtungen und Stress". So wie alle in seiner Clique. "Wir chatten, gehen aus und haben Spaß." Der selbstbestimmte Weg zum sexuellen Glück heißt für Dominik, flexibel zu sein. Für eine feste Freundin bleibt neben Studium, Sport und Kumpels keine Zeit.
Und dann gibt es ja noch Social-Media-Kanäle. Darüber kann man schnell Kontakt finden, quasi on demand. "Über 'WhatsApp' mache ich Dates, und über Instagram schreiben mich schon mal Frauen an. Ich poste regelmäßig neue Fotos von mir. Da muss jeder Schuss sitzen." Ob sein Waschbrettbauch ihm bei den Mädchen weiterhelfe? Dominik grinst: "Das kann natürlich sein. Aber vor allem meine vielen Likes."
"Mit 16 ging es vielen nur darum zu knutschen"
"Ziemlich altmodisch" findet es Lisa (23), dass bei ihren ersten Berührungspunkten mit dem Thema Sex Bücher und Freunde eine große Rolle spielten. "Ich habe damals viel gelesen und bin irgendwann von den Jugendbänden zu den Erwachsenenbüchern gewechselt. Was Sex ist, wusste ich natürlich durch die Schule. Die Bücher haben mir eher eine Möglichkeit gezeigt, wie Sex aussehen kann. Sie waren quasi meine Pornos – und dabei häufig ähnlich überzogen."
Dann waren da noch ihre Freundinnen: "Wir waren 16, und es ging vielen nur darum, mit einem Jungen zu knutschen. Ich bin froh, dass ich mich nicht davon habe beeinflussen lassen. Ich habe auf keiner Party rumgeknutscht, sondern mich mit Ende 16 verliebt und mit diesem Jungen meinen ersten Kuss und mein erstes Mal gehabt – ganz sanft und als ich bereit dazu war." Aller Anfang war also gut.
Doch Lisa berichtet weiter, dass sie erst in der folgenden Beziehung langsam gelernt habe, dafür einzustehen, auch selbst zum Zug zu kommen, und dass Sex nicht nur Befriedigung für IHN bedeutet. "Ich glaube, gerade wenn man so jung mit dem Sex beginnt, ist man so fixiert darauf, nichts falsch zu machen." Und vielleicht auch damit beschäftigt, einer durch Bücher oder Pornos vermittelten Norm zu entsprechen, sodass sexuelles Glück im Sinne eigener Befriedigung und Selbstbestimmtheit sich erst mit der Zeit entwickelt. "Social Media hatte Einfluss auf mein Selbstbild und meine äußere Erscheinung, aber kaum auf meine Sexualität", sagt Lisa. Darin unterscheide sie sich von vielen anderen Gleichaltrigen heutzutage. "Mittlerweile weiß ich zum Glück sehr gut, was ich will und was ich brauche, und bin auch bereit, dafür einzustehen."
"Ich habe mir meine sexuelle Orientierung erkämpft"
Als Joana ein Kind war, wäre es ein Skandal gewesen, AIDS-Awareness-Plakate mit einem gleichgeschlechtlichen Pärchen zu drucken. Heute sieht sie da einen Wandel. Erzieherin Joana ist 21 und hat sich mit 17 als lesbisch geoutet. "Es war schwerer, mir das selbst zu gestehen, als meinen Freunden und meiner Familie. Ein Jahr später war es für mich einfach, mir einzugestehen, dass ich bisexuell bin. Meine Mutter hingegen behauptete, solange ich nur Frauen nach Hause bringe, sei ich weiterhin lesbisch." Aber auch diese lernte dazu, da Joana nun seit zwei Jahren in einer glücklichen Beziehung mit einem Mann lebt.
"Dies macht mich auch nicht auf einmal hetero, wie es mir viele Leute – selbst in der LGBTQ+-Community – vorgeworfen haben." Mit Stolz sagt sie: "Ich bin eine bisexuelle Frau. Wann immer dies einer anzweifelt – das sind überwiegend Männer –, sage ich, dass ich mit mehr Frauen Sex hatte als du jemals in deinem Leben."
Die junge Frau bemerkt Veränderungen in der Gesellschaft: "Als ich jünger war, wäre es ein Skandal gewesen, Aids-Awareness-Plakate mit einem gleichgeschlechtlichen Pärchen zu drucken. Heute sehe ich einen Wandel in der heteronormativen Welt der Medien, den sich schon Generationen vor uns hart erkämpft haben und für den wir auch heute noch als Gemeinde weiterhin kämpfen müssen. Und obwohl die LGBTQ+-Community noch sehr vernachlässigt wird in den Medien, so helfen soziale Netzwerke, sich zu erkunden und seine eigene kleine Nische in der Welt zu bauen."
Oft ist der Weg zur eigenen selbstbestimmten Sexualität gar nicht so einfach. "Einige Leute wissen einfach, was sie sind. Andere wie ich erkämpfen sich ihre sexuelle Orientierung mit metaphorischem Blut und sehr realen Tränen. Wir definieren uns viel über Sexualität und Gender, und wenn du eines davon oder sogar beides anzweifelst, ist es eine gute Idee, dich selbst zu hinterfragen." Joana setzt Zeichen: "Es ist kein leichter Weg, aber es ist dein Weg und dein Glück. Und ich persönlich kann sagen, dass ich sexuell erst glücklich und mit mir im Reinen war, nachdem ich ihn gegangen bin."
Unsere Autorin: Antonia Müller