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Dies mal vorab: Ich halte mich weder für verklemmt, noch habe ich jemals eine Frage meiner Kinder mit einem Satz wie "Dafür bist du noch zu klein, das erkläre ich dir, wenn du alt genug bist" beantwortet. Und: Spätestens seitdem unsere Zwillinge im Kita-Alter "Peter, Ida und Minimum" (das in den 80ern definitiv zu einem meiner liebsten Kinderbücher zählte) entdeckten, ist ihnen klar, dass nicht der Storch es war, der sie zu uns brachte. Entsprechend entspannt war ich (im Gegensatz zu manch anderem Kandidaten in der Elternschaft), als wir im vergangenen Halbjahr erfuhren, dass das Thema Sexualkunde das nächste im Sachunterricht sein würde.
- Jetzt sprechen sie in der Schule über Geschlechtsverkehr
- Sexualerziehung soll vor sexuellem Missbrauch schützen
- Aufklärung passiert jeden Tag
- Nicht bei allen ist der Sexualkundeunterricht beliebt
- Von wegen Period-Positivity
- Die Sexualerziehung in der Schule war ein voller Erfolg
- Unsere Buch-Tipps zum Thema Sexualerziehung
Jetzt sprechen sie in der Schule über Geschlechtsverkehr
Dann kam der Sonntag, an dem Elli und Theo kurz vor dem Frühstück das Arbeitsblatt zum Thema Geschlechtsverkehr aus dem Ranzen zogen und neben das Rührei auf den Küchentisch legten. "Geschlechtsverkehr sagt man, wenn Menschen miteinander schlafen oder auch 'Liebe machen'", stand da. Und weiter: "Manche sagen auch 'vögeln' oder 'bumsen', manchmal auch 'ficken'."
Ich befahl dem Körnerbrot in meinem Mund, jetzt bloß nicht in meinem Halse stecken zu bleiben. Gestern Abend hatte ich noch mit Theo zusammen Eisenbahn gespielt und das Hochbett von Ellis Puppen repariert – und jetzt sollte ich unseren beiden Neunjährigen womöglich noch erklären, dass das s in "bumsen" aber bitte weich ausgesprochen wird?
Sexualerziehung soll vor sexuellem Missbrauch schützen
Ich überließ den Kindern vorerst das Reden. Und stellte fest, dass von den kokettierenden Worten ("Das Thema ist voll eklig!"), die ich kürzlich aufgeschnappt hatte, als die beiden sich mit Klassenkameraden unterhielten, nicht mehr viel übrig war. Völlig ungeniert erzählten die beiden, wie das mit einem steifen Penis in der feuchten Vagina so funktioniert, dass der Nebenhoden so eine Art Trainingslager für die Spermien ist und dass bei der Befruchtung der Eizelle erstaunlicherweise schon klar ist, welche Haarfarbe das Baby später bekommt.
Und während ich darüber staunte, was die beiden in so kurzer Zeit schon alles gelernt hatten, erinnerte ich mich an die überzeugenden Argumente der Lehrerin, die beim Elternabend betont hatte, wieso Sexualkunde in diesem Alter ganz und gar kein Tabubruch, sondern eine notwendige Anpassung an die gesellschaftlichen Herausforderungen sei.
Denn klar: Kinder werden heute bereits viel früher mit verschiedensten Einflüssen konfrontiert, erhalten durch soziale Netzwerke, den (oft nicht durch altersspezifische Filter beschränkten) Zugang zum Internet und durch verschiedene Medien Zugang zu Informationen, die mindestens neugierig machen. Dass es deshalb sinnvoll ist, ihnen eine solide Grundlage für ein Verständnis von Sexualität zu vermitteln, liegt auf der Hand. Wer seinen Körper und seine inneren und äußeren Geschlechtsorgane kennt, mit den korrekten Begriffen benennen kann und auch versteht, dass all das bei jedem Menschen ein bisschen anders aussieht, kann nicht nur ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln – sondern auch Grenzen ziehen und sich selbst schützen. So sei der Sexualkundeunterricht vor allem auch Prävention gegen sexuellen Missbrauch.
Aufklärung passiert jeden Tag
Das sieht auch Dr. Stephanie Eder so. Die Gynäkologin ist für die Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung e. V. (ÄGGF) regelmäßig an Grundschulen unterwegs, leistet dort – und auch in der Teenager-Sprechstunde in ihrer Praxis im oberbayerischen Gräfeling – Aufklärungsarbeit. Aber was genau heißt "Aufklärung" überhaupt? "Der Begriff wird oft vollkommen fehlinterpretiert", erklärt die Frauenärztin, die selbst Mutter von drei Kindern ist. "Es geht nicht darum, sich mit Eintritt der Pubertät einmal zusammenzusetzen und über Sex zu sprechen. Vielmehr passiert Aufklärung immer und jeden Tag! Sie findet in dem Moment statt, wenn es sich ergibt, kontinuierlich und in jedem Alter. Auch kleine Kinder fragen nach, und genau dann sollte auch gesprochen werden."
Nicht bei allen ist der Sexualkundeunterricht beliebt
Das Problem: In vielen Familien passiert das schlicht nicht – und tatsächlich gab es in den vergangenen Jahren auch immer wieder Proteste gegen den frühen Sexualkundeunterricht. Mit Plakaten, auf denen in großen Buchstaben "Lasst die Kinder Kinder sein" oder "Kinder brauchen Liebe, keinen Sex" geschrieben stand, demonstrierten sie. Einige Male zogen sogar Eltern vor Gericht, die ihre Kinder vom Sexualkundeunterricht befreien wollten.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EuGH) wies vor einigen Jahren die Klage einer Mutter zurück, die ihre siebenjährige Tochter vom Sexualkundeunterricht befreien wollte – die Richter aber hielten nicht nur das Ziel des Unterrichts für legitim, sondern entschieden auch, dass Lehrer antworten dürfen, wenn Kinder Fragen zum Thema Sex haben. Selbst, wenn die Eltern dies ausdrücklich nicht möchten.
Kurzum: Da in Deutschland bekanntlich Schulpflicht (Art. 7 GG) herrscht und alle Themen, die im Unterricht behandelt werden, vom Bund abgesegnet sind, ist ein themenspezifisches Ausschließen des Kindes rechtswidrig. Und: bei näherer Betrachtung auch eine absurde Idee. "Sowohl Mädchen als auch Jungen wünschen sich mehr Wissen", sagt Dr. Stephanie Eder. "Gerade die, bei denen zu Hause nur mit vorgehaltener Hand über Sex gesprochen wird, haben logischerweise unglaublich viele Fragen." Es sei ein großer Vorteil, wenn man als Junge noch vor dem ersten Samenerguss versteht, was es mit dieser weißen Flüssigkeit auf sich hat – und als Mädchen zumindest grob weiß, wie der weibliche Zyklus funktioniert, bevor die erste Blutung einsetzt.
Einer Studie zufolge ist Letzteres aber überhaupt nicht selbstverständlich: In Zusammenarbeit mit Statista hat das Medtech-Unternehmen "Valley Electronics" (produziert u. a. Zykluscomputer) erst kürzlich 500 junge Frauen zum Thema "erste Periode" befragt. Das traurige Ergebnis: 45 Prozent der Befragten gaben an, Angst vor der ersten Blutung gehabt zu haben – und 68 Prozent von ihnen fühlten sich nicht ausreichend vorbereitet. Eine von zehn Teenagerinnen spricht vor lauter Scham mit niemandem über dieses Thema.
Von wegen Period-Positivity
Kurzum: Die sogenannte Period-Positivity (die Periode als etwas Positives wahrnehmen) scheint unter einer Vielzahl von Teenagerinnen schlicht nicht zu existieren – offenbar auch, weil das nötige Wissen fehlt. "Nicht nur junge Mädchen, auch erwachsene Frauen haben immer noch viele Fragen rund um ihren Körper und den weiblichen Zyklus", so Dr. Eder.
Umso besser, wenn sie früh anfangen, sich zu informieren – und die Möglichkeit dazu auch in der Schule besteht. In unserem Fall gab es im Übrigen klare Regeln: Auslachen etwa war tabu. Und daran hielten sich die Kinder (selbst als alle erzählen sollten, wie sie ihre Geschlechtsteile bezeichnen und einer der Jungs gestand, dass er seinen Penis als Gurke bezeichnet).
In der Klasse meiner Kids scheint der Unterricht eine Grundentspanntheit bei vielen Themen hinterlassen zu haben: Die meisten Mädchen haben inzwischen ein kleines Etui mit Binden und einer frischen Unterhose im Schulranzen. Für den Fall der Fälle, über den sie inzwischen ganz offen miteinander reden.
Neben den Geschlechtsorganen, der Pubertät, dem Thema Sex, der Befruchtung einer Eizelle und der Entwicklung eines Babys im Mutterleib ging es auch um sexuelle Orientierungen, selbst LGBTQI+ geht den Kids seitdem herrlich locker über die Lippen.
Übrigens: Der Periodentracker "Teena" hilft jungen Frauen, ihren Körper und Zyklus kennenzulernen. Auf Grundlage der Basaltemperatur und mithilfe eines intelligenten Algorithmus wird in der dazugehörigen App vorhergesagt, wann die erste bzw. nächste Regelblutung ansteht.
Die Sexualerziehung in der Schule war ein voller Erfolg
Auch über Methoden der Verhütung wurde gesprochen – allerdings ohne den Bananen-Klassiker. Der fand in leicht abgewandelter Form zu Hause statt, als die Kinder ein Kondom auf unserem Nachttisch entdeckten. "Mama, ist das wirklich so glitschig?", fragte Theo. Ich erlaubte ihm, die Packung zu öffnen, dann stülpten wir es (natürlich unter lautem Kichern der beiden) über meine umgedrehte elektrische Zahnbürste.
Die Klassenarbeit, die unsere Zwillinge zum Thema Sexualkunde schrieben, war die, für die es mit Abstand am meisten zu büffeln gab. Mehr als für Mathe oder Deutsch, denn der Biologieteil ging so richtig ins Detail. Sonst eher genervt bei der Vorbereitung auf Tests, waren Elli und Theo hier hoch konzentriert bei der Sache. Und das merkte man auch dem Ergebnis an. Theo, eigentlich eher der pragmatische Ich-schreibe-nur-das-auf-was-unbedingt-sein-muss-Typ, schmückte den Text über den Befruchtungsvorgang auf drei(!) DIN-A4-Seiten mit Sätzen wie "Die Spermien, die überleben, können etwas Tolles erleben!" aus – und Elli kassierte Extrapunkte, weil sie neben dem Satz "Einmal im Monat reift eine Eizelle heran" mit einem Zwinker-Smiley ergänzte, dass es manchmal auch zwei seien. Die beiden schrieben die besten Noten, die sie in ihrer gesamten Grundschulzeit je mit nach Hause gebracht hatten.
Unsere Buch-Tipps zum Thema Sexualerziehung
Echte Herzensempfehlung: Das wunderschön illustrierte Buch "Happy Period" von Sexualcoach und Kinderbuchautorin Antje Heymann sollte jedes Mädchen besitzen, bevor es zu menstruieren beginnt.
Wie rasiere ich mich richtig – und warum fahren meine Gefühle Achterbahn? Im Taschenbuch "Nur für Boys. Alles was du wissen musst"von Lizzie Cox finden Jungs ab 9 Jahren Antworten in jugendgerechter Sprache.