
Die zweifache Mutter und Unternehmerin Linda Herrmann hat eine Vision. Die Vision von einer Schule, in der die Kinder wirklich im Mittelpunkt stehen und nicht in irgendwelche Konzepte und Strukturen gepresst werden.
Altersübergreifendes Lernen
Eine solche Schule hat die Diplom-Pädagogin jetzt selbst gegründet – im Sommer 2024 sollen an der "Freien Hofnaturschule mit natur- und tierpädagogischem Schwerpunkt" im rheinland-pfälzischen Alsheim die ersten Kinder in der Grundschule starten können. Und zwar zunächst in einer alters- und jahrgangsübergreifenden Schulklasse mit 25 Kindern. "Also wie in der Natur bzw. wie in einer Großfamilie, wo kleinere und größere Geschwister gegenseitig voneinander lernen", so Linda Herrmann, die auch Geschäftsführerin des Bildungsinstituts Süd ist.
Warum sie eine neue Schule in die Welt bringen will? Ganz einfach, um Kinder optimal aufwachsen zu lassen und das Lernen nicht vom Leben zu trennen, sondern einen ganzheitlichen Ansatz umzusetzen, bei dem sich Kinder naturgemäß entwickeln können. "Gemeinsam die Natur erleben, Zusammenhänge erkennen, Spaß haben, laut lachen, im Regen tanzen und Liebe im Herzen spüren – all das wollen wir hier vermitteln", so Linda Herrmann.

Draußenzeit ist wichtig für die Entwicklung
Statistiken über Waldkitas zeigen, dass viel Zeit, die draußen in der Natur verbracht wird, der Entwicklung zuträglich ist. Und so möchte auch die Schulgründerin, dass die Kinder an ihrer Schule möglichst viel draußen sind. Linda Herrmann ist überzeugt, dass es kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung gibt. Dennoch wird es natürlich auch ein Klassenzimmer geben, das man zum Beispiel bei Kälte oder Starkregen nutzen kann. Dafür wird zurzeit eine ehemalige Scheune umgebaut.
"Draußen lernen Kinder oft viel mehr als im Klassenraum, da sie leichter das große Bild erkennen." Mit dem "großen Bild" sind alle Facetten des Lebens gemeint. Die Schule verfügt über einen eigenen Acker, auf dem Obst und Gemüse angebaut wird. Auch ein paar Tiere gehören zur Schulgemeinschaft. Auf dem Hof leben derzeit Schweine, Hühner und Enten. Es soll ein Café und einen Hofladen geben, in dem die Kinder stundenweise quasi anschaulichen Matheunterricht erleben. Auch Ferienwohnungen sind auf dem 6.000 Quadratmeter großen Gelände geplant. Und es soll nicht nur eine Schule für Kinder sein, sondern auch Workshops für Eltern geben.
Über den Tellerrand blicken
Ähnlich wie bei einer Waldorfschule erfahren die Kinder also ganz hautnah und mit allen Sinnen, woher unser Essen kommt und was alles passieren muss, damit unsere Lebensmittel im Supermarkt landen. "Die Kinder lernen so die großen Zusammenhänge kennen und verstehen", ist Linda Herrmann überzeugt. "Sie lernen, über den Tellerrand hinauszuschauen, statt nur an sich zu denken und im eigenen kleinen Horizont gefangen zu sein". Das gilt für alle Lebensbereiche. Lebensnahes Lernen wie hier soll den Kindern auf natürliche Weise ermöglichen, Qualitäten wie Empathie und Resilienz zu entwickeln. Pflanzen und Tiere werden in der Hofnaturschule als vollwertige Lebewesen angesehen und auch so behandelt. Im Tierkontakt fahren die Kinder runter und können entspannen.
"Wenn wir ihnen von Anfang an mitgeben, dass jedes Kind gut so ist, wie es ist, erfahren sie automatisch ihre Selbstwirksamkeit", so die zweifache Mutter. "Wir lassen die Kinder wachsen und gedeihen, ohne dass sie das Gefühl vermittelt bekommen, irgendwelche Erwartungen von anderen erfüllen zu müssen." Dadurch könne eine wunderbare Gemeinschaft entstehen, weil die Kinder aus sich selbst heraus ganz viel entwickeln. Jeden so sein zu lassen, wie er ist, das zeige sich auch darin, dass es an der Schule keine Noten geben werde. "Ich möchte den Kindern vermitteln, dass es nicht ums Vergleichen und Bewerten geht, worin wir leider gesellschaftlich gesehen noch immer viel zu sehr gefangen sind", sagt Linda Herrmann.
"Wir sind keine Waldorfschule"
In das ganzheitliche Konzept der Schule fließen auch Elemente der Waldorf- und Motessoripädagogik mit ein, Spielen in der Natur und mit Naturmaterialien ist ein Grundsatz. Es ist Linda Herrmann aber gleichzeitig wichtig, sich von anderen Schulformen abzugrenzen: "Wir sind keine Waldorfschule. Ich möchte keine Dogmen. Bei uns ist jeder willkommen, auch Inklusion ist denkbar." Einzige Einschränkung: Das Kind muss – zu seinem eigenen Wohl – in die Gemeinschaft passen und sich dort wohlfühlen. Das wollen die Schulbetreiber durch achtsame Vorab-Treffen und Gespräche mit den Familien herausfinden. "Rudolf Steiner wäre heute auch mit der Zeit gegangen", ist die Visionärin überzeugt. Und so möchte sie nicht mehr zeitgemäße Elemente aus anderen Schulformen modernisieren bzw. von Anfang an anders denken und modern und flexibel umsetzen.
Money, money – was soll das kosten?
Freie Schulen sind nicht (oder nur teilweise) staatlich finanziert. Linda Herrmann möchte ein Finanzkonzept nach dem Solidaritätsprinzip umsetzen. Das heißt, es gibt keine einheitliche Schulgebühr, sondern individuelle und einkommensabhängige Beiträge. In Rheinland-Pfalz steht staatliche Unterstützung für freie Schulen erst ab dem vierten Jahr zur Verfügung. Bis dahin muss Linda Herrmann das – mit aller Unterstützung, die sie für ihre Schule bekommen kann – selbst stemmen. Angedacht ist auch ein Patenmodell, bei dem Menschen den Schulplatz eines Kindes finanzieren können. Als Unternehmerin ist Linda Herrmann gut vernetzt und sucht noch nach weiteren Sponsoren. Auch eine Art Crowdfunding wäre eine weitere Möglichkeit. "Ich wünsche mir, dass immer mehr Eltern den Mut zusammen nehmen, ihren eigenen Weg zu gehen", fasst sie ihre Vision abschließend noch einmal zusammen.
Mehr Infos zur Freien Hofnaturschule
Mehr über die Entwicklung der Freien Hofnaturschule in Rheinland-Pfalz und das wachsende Konzept findet ihr auf der Website (einfach auf den Link klicken).
Waldkindergarten und Naturkita
Von Waldkitas oder Naturkindergärten haben wir wohl alle schon mal gehört – vielleicht habt ihr ja sogar euer Kind dort. Viel und bei jedem Wetter draußen sein und die Natur mit allen Sinnen entdecken, sind dabei grundlegende Ansätze. Doch manchmal sieht die Realität anders aus und die Kinder hocken dann doch den größten Teil des Tages drinnen, noch dazu in einem provisorischen Raum, der für die Gruppengröße kaum angemessen ist. Daher gilt es, sich die Einrichtung vorher gut anzuschauen und mit dem Personal zu sprechen, um herauszufinden, ob dies der richtige Ort für das eigene Kind ist.
Im bayerischen Aigen bei Bad Füssing soll im September 2024 ein neuer Wald- und Bauernhofkindergarten eröffnen. Gründerin Lisa Frankenberger ist selbst zweifache Mutter, Erzieherin und Bäuerin. Ihr fehlte eine entsprechende Einrichtung in der Nähe. Die Gruppe soll für Kinder ab drei Jahren bis zum Schuleintritt offen sein.