Mobbing

Jana Crämer: "Wir brauchen ein Schulfach namens Ernährung – und zwar dringend!"

Jana Crämer ist nicht nur Bestseller-Buchautorin und Influencerin, sondern auch seit Jahren in Schulen unterwegs, um Kinder zum Thema Essstörungen aufzuklären. In diesem Text erzählt sie ihre Geschichte – und hat eine sehr konkrete Forderung. 

Halbiert! Unsere Gastautorin Jana Crämer passt heute in ein einzelnes Hosenbein ihrer ausrangierten Jeans.© privat
Halbiert! Unsere Gastautorin Jana Crämer passt heute in ein einzelnes Hosenbein ihrer ausrangierten Jeans.

Alles fing auf dem Kindergeburtstag meiner Freundin Isa an. Bis zu diesem Nachmittag war ich eigentlich sehr zufrieden mit mir. Ja, ich fand mich und meinen Hexenhaarschnitt – vorne kurz, hinten lang – prima. Doppelt prima fand ich mich, weil ich jeden Hund der Nachbarschaft dazu bringen konnte, mir Pfötchen zu geben. Ich war mit mir und der Welt im Reinen. Bis eben genau zu dieser Geburtstagsfeier, als die Mutter vom Geburtstagskind meiner Freundin mit den folgenden Worten den Wunsch nach einem Nachschlag abschmetterte: "Mein hübscher Schatz, iss doch lieber noch von den Erdbeeren, die sind zuckersüß, aber gesund. Ein Stück Kuchen habe ich dir versprochen, weil du meine kleine Geburtstagsfee bist, aber jetzt solltest du es gut sein lassen. Du willst doch nicht so aussehen wie Jana, oder?!"

Noch heute kann ich spüren, was diese herablassende Bemerkung samt entsprechender Betonung mit mir machte, und wie plötzlich alles in mir still wurde. Erst habe ich an mir heruntergeschaut, dann reihum auf die Bäuche aller anderen am Tisch. Ich wurde plötzlich so traurig, dass ich das Gefühl hatte, nie wieder glücklich werden zu können. Ich hatte angefangen, uns zu vergleichen, und Vergleiche sind der Anfang von allem Übel. So habe ich noch an diesem Tag beschlossen, so aussehen zu wollen wie all die anderen. Ich wollte nicht anders sein, ich wollte nicht falsch sein. Mein Opa hatte mir zwar immer wieder die flache Hand auf den Bauch gelegt und mit seiner liebevollen, ruhigen Stimme gesagt: "Da musst Du ganz tief reinatmen, denn da wohnt das Bauchgefühl" – aber ab diesem Tag habe ich aufgehört, tief zu atmen. Und ich habe aufgehört zu essen.

Wenn ich heute zurückdenke, war die erste Diät der Anfang von einer schrecklichen Spirale voller Komplimente, Kummer und Leid. Eine Diät jagte die nächste, immer wieder unterbrochen von Fressflashs mit bis zu 10.000 Kalorien in weniger als 30 Minuten. Der Jojo-Effekt wurde mein bester Freund. Und schließlich wog ich als als erwachsene Frau 180 Kilogramm. Dabei war ich als kleines Kind gar nicht mal zu dick. Gut, ich habe schon ein bisschen mehr als die anderen gewogen, aber jetzt nicht so dramatisch, dass sich der Kinderarzt besorgt gezeigt hätte. Ganz im Gegenteil. Einmal im Diätenstrudel gefangen, gab es keinen Ausweg mehr. Und wenn ich schon nicht mehr in der Hand hatte, ob ich richtig oder falsch war, dann wollte ich doch wenigstens selbst darüber entscheiden, ob ich etwas aß, oder eben nicht.

Jana Crämer als Kind in der Schule© privat
Schon als Kind geriet Jana Crämer in eine Art Diäten-Spirale, nahm dadurch immer weiter zu. Sie wurde zum Mobbing-Opfer auf dem Schulhof, wog als junge Frau zwischenzeitlich fast 200 Kilo.

Mit dem Wechsel aufs Gymnasium und den neuen Erwartungen, die alle an mich stellten, wurde alles nur noch viel schlimmer. Die Lehrer wollten, dass ich mich mehr im Unterricht beteiligte, die anderen aus der Klasse, dass ich Markenklamotten trug. Und später dann die Jungs. Alle um mich herum konnten irgendwann hinter das ein oder andere erste Mal einen Haken setzen. Ich nicht. Je weniger ich dazu gehörte, desto mehr klammerte ich mich an meinen eigenen, inneren Wettkampf: weniger essen. Mein Bauchgefühl hatte eh schon lange aufgegeben. Nur ein abends im Bett vor Hunger knurrender Magen, war ein guter Magen. In einer Welt voller Chaos gab es mir Halt, mich an Disziplin, Kontrolle und Zwang zu klammern.

Wenn mich meine Mama heute fragt, ob sie Schuld ist, ob sie etwas hätte anders machen können, ob sie mir besser hätte helfen, mich irgendwie mehr hätte unterstützen können, kann ich nur sagen: "Tut mir leid, leider nicht!"

Schuld ist meiner Meinung nach eh ein schrecklicher Energiedieb. Wir leben dieses Leben doch alle zum ersten Mal, woher sollen wir wissen, wie es geht? Ja, mag sein, vielleicht hat sie mich ein bisschen zu sehr mit Liebe überschüttet. Vielleicht hätte es mir besser getan, wenn ich nicht immer sofort die volle Aufmerksamkeit bekommen hätte, wenn ich auch nur den Raum betreten hab. Gut möglich. Vielleicht war aber auch meine Mama zu 100 Prozent richtig, nur die Erwartungen dieser verrückten Welt falsch? Eins weiß ich sicher: Ohne ihre bedingungslose Liebe hätte ich es nie geschafft, zu der starken Person zu werden, die es gerade noch rechtzeitig geschafft hat, sich von dem quälenden Druck, die Erwartungen anderer erfüllen zu wollen, zu befreien. Es ist doch nie zu spät, um glücklich zu werden.

Jana Crämer heute© Jan Köpke
Gesund und glücklich: Jana hat heute nach jahrelangem Kampf gegen die Kilos Normalgewicht. In ihrem Text geht es aber nicht um eine Abnehm-Erfolgsstory – sondern darum, was äußerer Druck mit unseren Kindern macht.

Und dennoch würde ich anderen gern diese jahrzehntelangen Umwege ersparen – und auch den Eltern von heute am liebsten den Druck nehmen, immer und alles richtig zu machen.

Denn aus meiner Sicht sind hier eben nicht nur die Mütter und Väter in der Verantwortung. Sondern auch die Politik, die Schulen, die Lehrer und Erzieher. Wir brauchen dringend ein Schulfach zum Thema Ernährung, in dem es nicht nur um Lebensmittel und alltägliche Dinge wie Einkaufen und Kochen geht, sondern auch um Selbstliebe und die richtige Interpretation von Social Media.

Das Leben hat sich so krass geändert, und wir müssen die Generationen nach uns auf diese Welt vorbereiten. Das ist aus meiner Sicht hundertmal wichtiger als Lateinvokabeln und der Satz des Pythagoras.

Zum Weiterlesen: "Jana, 39, ungeküsst"

Buch "Jana, 39, ungeküsst" von Jana Crämer© Verlag

Jana ist inzwischen 39 Jahre alt, klug, hübsch, humorvoll und beruflich erfolgreich. Eine Sache aber unterscheidet sie noch immer von den meisten Frauen ihres Alters: Jana hatte noch nie eine Beziehung. Hat noch nie Händchen gehalten, nie geküsst, hatte nie Sex. In ihrem Buch "Jana, 39, ungeküsst" (Knaur, 256 Seiten, ca. 15 Euro) erzählt sie, wie sehr sie unter Body-, Single-Shaming und Selbsthass litt – und wie sie es schaffte, dieser Spirale zu entkommen. Das Buch erschien im April 2023 und hielt sich mehrere Wochen in Folge in den Top5 der Spiegel-Bestseller-Liste. Vor allem Teenager fliegen auf das, was sie zu sagen hat: Auf TikTok hat Jana Crämer 610.000 Follower, bei Instagram folgen ihr weitere 100.000 Fans.

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