Schlafmangel macht krank

Die frühe Uhrzeit des Schulbeginns sorgt bei Jugendlichen für "sozialen Jetlag"

Längst haben Forscher es bewiesen: Früh morgens sind wir (und unsere Kinder) noch nicht so leistungsfähig. Dennoch müssen Schulkinder hierzulande in den meisten Fällen um 8 Uhr auf der Matte stehen. Was macht das mit ihnen?

Müder Junge in der Schule.© iStock/Image_Source
Kein Wunder, das Kinder morgens müde sind – bei dem frühen Schulbeginn!

Gleitzeitmodell in Schulen als Alternative

Update Januar 2025: In einem aktuellen Bericht von "ZDF heute" schlagen Experten Gleitzeit als mögliches Modell auch für Schulen vor. Der Chronobiologe Till Roenneberg von Ludwig-Maximilians-Universität München bezeichnet das frühe Wecken von Pubertierenden sogar als "sozialen Jetlag", "pädagogische Ineffizienz" und "biologische Diskriminierung". Gerade in den frühen Morgenstunden fänden in diesem Alter während der REM-Schlafphase wichtige Hirnentwicklungen statt, die man durch frühen Schulbeginn quasi abschneide. Till Roenneberg sieht sogar einen Zusammenhang zwischen frühem Aufstehen und schlechtem Abschneiden deutscher Jugendlicher in der Pisa-Studie. In anderen Ländern, zum Beispiel Skandinavien ist eine spätere Uhrzeit für den Schulbeginn völlig normal. Einige Vorreiter, wie das Dalton Gymnasium in Alsdorf gibt es auch schon in Deutschland. Hier können Oberschüler wählen, zu welcher Uhrzeit sie zur Schule gehen und müssen genügend Anwesenheitsstempel nachweisen. Ein Drittel des Lernstoffs bringen sich die Jugendlichen selbst bei und können dafür die Zeit zum Teil auswählen. Frontalunterricht gibt es für kleinere Gruppen. Die SchülerInnen lernen so viel mehr Eigenverantwortung und Flexibilität. Bisher ist ein solches Modell jedoch hierzulande noch die Ausnahme.

Die Schule beginnt morgens viel zu früh! 

Eigentlich merken wir selbst, dass es nicht gut sein kann: Vor allem in der dunklen Jahreszeit kommen unsere Kinder morgens nur schwer aus dem Bett. In der Pubertät spitzt sich das oft noch mal zu – auch unabhängig von der Ins-Bett-geh-Zeit. Wir haben mit einem Neurobiologen gesprochen, der die Problematik einordnet.

Die innere Uhr

Kennt ihr das? Der Wecker klingelt, es ist noch dunkel, und am liebsten würde man sich einfach noch mal umdrehen und weiterschlafen. Doch unser Alltag ist oft so durchgetaktet, dass das nicht als Option erscheint. Gleichzeitig sehen wir vor allem bei unserem Nachwuchs, dass ein Vom-Wecker-Gewecktwerden wohl kaum unserer biologischen Uhr entsprechen kann. Prof. Dr. Henrik Oster ist Neurobiologe und Institutsdirektor an der Universität zu Lübeck. Er bestätigt, dass wir eine innere Uhr haben. Jede Zelle habe eine eigene Uhr, im Idealfall seien diese Einzeluhren mit der Hauptuhr im Gehirn synchronisiert und steuern diverse Abläufe in unserem Körper. Sie sorgen beispielsweise dafür, dass wir tagsüber verdauen und nachts schlafen und regenerieren. "Die innere Uhr ist vor allem ans Licht gekoppelt", so der Experte.

Dauerhafter Schlafmangel macht krank

Schlafmangel ist ungesund und macht auf die Dauer krank. Schon kurz- und mittelfristig kann Schlafmangel negative Konsequenzen haben. "Er hat Auswirkungen auf die Konzentration, aber auch auf das Stress- und Suchtverhalten", sagt Prof. Oster, "und langfristig auch auf die Schulnoten." Abgesehen davon schlägt Schlafmangel ganz allgemein auf die Stimmung. Schulkinder brauchen im Schnitt rund acht bis zehn Stunden Schlaf. Bleiben sie regelmäßig darunter, hat das Auswirkungen. 

Pubertierende haben es mit der frühen Uhrzeit des Schulbeginns am schwersten

Vor allem für unsere Jugendlichen ist der frühe Schulbeginn kritisch zu sehen. Das bestätigt auch Prof. Oster: "Wir sprechen hier von einem sozialen Jetlag, also der künstlichen Zeitverschiebung zwischen Wochentagen und Wochenende", erklärt er. "Viele Jugendliche schlafen unter der Woche zu wenig und kommen am Wochenende nicht vor mittags aus dem Bett." Genetisch bedingt gibt es unter den Menschen Eulen (Langschläfer) und Lerchen (Frühaufsteher) – das sind messbare, sogenannte Chronotypen. Prof. Oster berichtet von einer niederländischen Studie, die zeige, dass die sogenannten Eulen in den naturwissenschaftlichen Fächern mitunter eine Note schlechter abschnitten als die Lerchen. "Das kann also durchaus auch Einfluss auf die spätere berufliche Laufbahn haben", schlussfolgert der Neurobiologe.

Neben dem Chronotypen hängt das Schlafverhalten auch mit dem Alter zusammen. Während kleine Kinder oft schon frühmorgens bespaßt werden wollen, sind viele Pubertierende (zumindest am Wochenende) bis mittags kaum aus dem Bett zu bekommen. Das sei biologisch, aber auch sozial bedingt, sagt der Neurobiologe. Jugenliche seien dabei, sich abzunabeln. Dazu gehöre auch, dass sie einen anderen Rhythmus als ihre Eltern haben und sich abends gerne mit Gleichaltrigen treffen. Früheres Einschlafen könnte der Übermüdung entgegenwirken, aber aufgrund der inneren Uhr können viele Jugendliche so früh noch gar nicht schlafen. Dieses Phänomen ist noch nicht ausreichend erforscht, hängt aber wohl damit zusammen, dass sich in der Pubertät Körperprozesse grundlegend umbauen. Hormonelle Faktoren sind wahrscheinlich.

Kann man seinen Schlaftyp ändern?

Die Frage ob Eulen zu Lerchen werden können, um morgens früher leistungsfähig zu sein, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Komplett ändern kann meinen seinen Typen wohl nicht, wohl aber können Eulen sich selbst etwas unterstützen, um morgens besser in die Gänge zu kommen. Mithilfe von Tageslichtlampen beispielsweise können sie ihren Chronotypen um bis zu eine Stunde früher modulieren, so Neurobiologe Prof. Oster. Weitere Faktoren können dazu beitragen, als Eule morgens besser aus dem Bett zu kommen:

  1. Regelmäßige Mahlzeiten – der Körper gewöhnt sich quasi an die Tageszeiten.
  2. Dunkel schlafen. Ein bis zwei Stunden vorm Schlafengehen kein kurzwelliges Blaulicht (Handy, Tablet, TV und Co) mehr, denn das hält wach.
  3. Viel Licht beim Aufwachen, das hilft beim Wachwerden. Also gerne früh schon mal nach draußen gehen, oder eben Tageslichtlampen einsetzen.
  4. Bewegung draußen bei Tageslicht – also beispielsweise mit dem Fahrrad zur Schule fahren (hilft nicht so sehr im Winter, wenn es dann noch dunkel ist). 
  5. Bewegung und Sport seien laut Prof. Oster grundsätzlich wichtig, um die Organe gut zu durchbluten und den Stoffwechsel zu aktivieren.

Nicht überall startet die Schule um 8 Uhr morgens

Seit rund 150 Jahren müssen unsere Schüler und Schülerinnern morgens in der Regel um 8 Uhr in der Schule sein. In Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien startet die Schule hingegen ausgeschlafener erst um 9 Uhr. Warum nicht auch hierzulande?

Hinkt Deutschland hinterher?

Offenbar haben wir es hier mit mehreren Facetten zu tun: 

  1. Die Forschung ist schon so weit, die Politik muss noch hinterherkommen.
  2. Bis Änderungen im Schulsystem umgesetzt werden, dauert es oft ewig. Ich wage sogar die steile These, dass die Schulen in diversen Bereichen um die 30 Jahre hinterherhinken – und das, obwohl sich auch viele Lehrkräfte das anders wünschen würden. 
  3. Organisatorische Gründe sprechen dagegen: Würde die Schule morgens später starten, müsste man nachmittags auch länger bleiben (das könnte mit dem Nachmittagstief und Nachmittagsaktivitäten kollidieren) und die Schulen müssten flächendeckend ein Mittagessen anbieten. Auch die Taktung öffentlicher Verkehrsmittel müsste angepasst werden. 
  4. Eltern, die morgens früh zur Arbeit müssen, wüssten nicht, wie ihre Kinder betreut werden sollten, wenn die Schule später starten würde.

Lösungsansätze

Will oder kann man den Schulbeginn nicht auf eine spätere Uhrzeit legen, könnten Schulleitungen zumindest darüber nachdenken, in den ersten Stunden des Tages keine prüfungsrelevanten Themen zu behandeln und vor allem keine Klassenarbeiten oder Klausuren in die ersten Stunden zu legen. Das würde vielen Schülern – vor allem den Eulen unter ihnen – entgegenkommen. Auch Prof. Oster würde das befürworten. Besonders wichtig sei dies in den höheren Jahrgängen. 

Auch jeder einzelne kann etwas tun: Tagsüber mehr rausgehen und Zeit im Tageslicht verbringen – am besten in Verbindung mit Bewegung. Das hält tagsüber wach und unterstützt abends dann die Melatoninausschüttung, was zu besserem Schlaf führt. Und natürlich die Bildschirmzeit vor allem abends reduzieren, um vor dem Schlafen nicht mehr dem aktivierenden Blaulicht ausgesetzt zu sein. 

Was meint ihr, sollte die Schule in Deutschland morgens später als 8 Uhr starten?

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Weitere Quelle: zdf.de