
Sie zählt zu diesen Fragen, die seit Jahren diskutiert wird – und bei der sich trotz eindeutiger Antworten nichts geändert hat: Beginnt der Unterricht an deutschen Schulen morgens zu früh? Einschlägige Schlafforscher fordern nimmermüde eine Verschiebung von der ersten Stunde auf 9 Uhr – und nach dem Corona-Lockdown haben sich Millionen Familien ohnehin an einen leicht verzögerten Start in den Tag gewöhnt. Doch was ist eigentlich mit den Kita-Kindern, um die es in solchen Debatten nie geht – obwohl viele Kindertagesstätten ihre Türen bereits um sieben Uhr öffnen? Natürlich ist dieser Frühdienst ein Segen für alle Pflegekräfte, Mediziner in Krankenhäusern, Menschen, die im Handel arbeiten, oder Berufspendler mit langen Wegen. Aber was bedeutet das frühe Aufstehen eigentlich für die Kinder? Ist der einen Segen der anderen Fluch? "Die meisten Kleinkinder sind ziemlich gute Frühaufsteher. Sie sind früh wach und haben morgens viel Energie. Vorausgesetzt sie bekommen genug Schlaf", beruhigt Ewa Cionek-Szpak, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Chefärztin der Oberberg Fachklinik Wasserschlösschen. Davon können wohl die meisten Eltern ein (leidvolles) Lied singen.
Gerade am Wochenende läuft der Nachwuchs ja gerne mal um 5 Uhr morgens zur Höchstform auf. Tatsächlich verändert sich das Schlafbedürfnis der Kinder im Laufe der ersten Lebensjahre. Schlafen kleine Babys oft noch 16 bis 18 Stunden am Tag, brauchen Krippenkinder im Durchschnitt "nur" 13 Stunden Schlaf täglich – verteilt auf ein ausgedehntes Nickerchen am Mittag und den Nachtschlaf. Im Übergang zum Kindergarten nimmt das Schlafbedürfnis weiter ab. Die meisten Vier- bis Sechsjährigen schlafen mittags kaum noch. Zehn bis zwölf Stunden Schlaf in der Nacht reichen ihnen
völlig aus.
Entspannt ankommen im Frühdienst
Außerdem haben sich viele Kindertagesstätten auf die frühen Vögel eingestellt. "Anders als in der Schule müssen im Frühdienst die Kinder nicht Kopfrechnen oder Schreiben lernen. Wir geben ihnen die Chance, entspannt und mit einer gut vertrauten Bezugsperson in den Kita-Tag zu starten", erklärt Stefan Hawellek, Leiter des Hamburger FRÖBEL-Kindergartens Elbwichtel.
Gegen 7 Uhr kommen die ersten Kinder in seiner Einrichtung an. Ein festes Programm erwartet sie im Frühdienst nicht. Kleine Morgenmuffel können erst mal ein Buch auf dem Schoß der Erzieherin lesen oder sich in die Kuschelecke zurückziehen. Sobald genug Kollegen im Dienst sind, werden aber auch der Tobe- und Bauraum geöffnet, für alle Kinder mit viel frühmorgendlicher Energie. Das freie Spiel läuft bis zum Morgenkreis um 9.15 Uhr. "Wir haben ein sehr offenes Konzept. Die Kinder suchen sich ihre Aktivitäten des Tages weitgehend selbst aus. Umso wichtiger ist es, einmal morgens zusammenzukommen, gemeinsam zu singen, allen einen guten Morgen zu wünschen und die Pläne für den Tag durchzusprechen", erklärt Hawellek.
Ein weiterer Service für müde Frühaufsteher: Bei den Elbwichteln gibt es einen Snoezelraum mit vielen Kissen, gedämpftem Licht und beruhigenden Farben. Dorthin können sich müde Kinder auch während des Tages zurückziehen und sich ausruhen, ohne gleich einen Mittagsschlaf einlegen zu müssen. Auch Ewa Cionek-Szpak plädiert für offene Angebote am Morgen. "Erzieherinnen und Erzieher sollten die Kinder und ihre Bedürfnisse im Blick behalten. Alle Kinder im Frühdienst durch Lieder und Toben aufwecken zu wollen, ist genauso kontraproduktiv wie allen Ruhe zu verordnen", sagt die Medizinerin. Dieser bedürfnisorientierte Blick ist noch aus einem anderen Grund wichtig. Wie fit und aktiv die Kinder am Morgen sind, hängt nämlich nicht nur davon ab, wie gut sie geschlafen haben, sondern auch von ihrem Chronotyp.
Schlafforscher unterscheiden zwischen Eulen, Lerchen und Normalschläfern. Lerchen sind geborene Frühaufsteher. Schon frühmorgens springen sie aus dem Bett und sind aktiv. Dafür werden sie abends schneller müde. Eulen werden dagegen eher spätabends müde und brauchen dafür am Morgen sehr lange, bis sie richtig fit sind. Knapp 40 Prozent aller Menschen gehören zu einer dieser beiden Schlaftypen. Der Rest ist als Normalschläfer flexibel.
Lerche oder Eule – die Gene bestimmen mit
Auch wenn die Gene beeinflussen, ob wir eher Morgenmuffel oder Frühaufsteher sind, verändern sich unsere Schlafgewohnheiten im Heranwachsen. Kinder, selbst wenn sie eher zu den Eulen zählen, werden zunächst einmal früher als ihre Eltern aufwachen. "Für die kleinen Kinder ist tatsächlich der frühe Start in den Tag kein großes Problem. Viel wichtiger ist ein gesunder und ausreichender Schlaf", sagt Cionek-Szpak.
Deutlich relevanter sei dagegen die Frage nach dem Schulstart bei Heranwachsenden. In der Pubertät ändert sich das Schlafverhalten nämlich deutlich. Jugendliche bleiben länger wach, kämpfen mit einem frühen Schulbeginn, schreiben übermüdet schlechtere Noten – und werden damit Gegenstand der immer wiederkehrenden Schlaf- Debatte ...
Autor: Birk Grüling
Gute Voraussetzungen für die Nacht
- Bewegung: Nach ereignisreichen Tagen mit viel Aktivität und neuen Erfahrungen schlafen Kinder deutlich besser und ruhiger.
- Struktur: 18 Uhr Abendbrot, noch etwas vorlesen und spielen, dann um 20 Uhr ins Bett. Solche festen Routinen geben Kindern Sicherheit und erleichtern das pünktliche Zubettgehen.
- Rituale: Die Gute-Nacht-Geschichte, ein Küsschen für alle Kuscheltiere oder Rücken- kraulen – Einschlafrituale helfen Kindern dabei, in den Schlaf zu finden.
- Bettgespräche: Auch kindgerechte Unterhaltungen können den Kleinen helfen, ihren Tag zu verarbeiten und auch Belastendes beruhigt zur Seite zu legen.
- Schmusezeug: Schnuffeltücher und Kuscheltiere sind für Kinder eine Art Eltern- ersatz und helfen damit auch beim Durchschlafen.
- Digital Detox: Eine Stunde vor dem Einschlafen sollte Schluss mit TV, Spielekonso- le, Tablet oder Smartphone sein.
- Dunkelheit und Ruhe: Licht und Lärm können den Schlaf von Kindern erheblich stören. Gönnt den Kids Ruhe – und richtige Rollläden.