Erfahrungsbericht

Papas leiden anders: Frühchen-Vater erzählt, was Männer nach einer Frühgeburt durchmachen

Mit nicht einmal 1500 Gramm kamen seine Zwillinge zur Welt - zehn Wochen zu früh! Frühchen-Papa Daniel spricht nun ganz offen über die Ängste und die Verzweiflung, die Eltern in dieser Extremsituation erleben.

Frühchen im Brutkasten© iStock/manonallard
Eine Frühgeburt verlangt der ganzen Familie einiges ab.

Das Drama begann am zweiten Urlaubstag. Es sollte eine letzte Reise zu zweit werden, noch einmal Kraft tanken in einer anderen Region in Deutschland, ein paar hundert Kilometer entfernt von ihrem Zuhause. "In den frühen Morgenstunden bin ich wach geworden, weil meine Frau ins Badezimmer gelaufen ist. Als sie sie zurückkam, hat sie mir erzählt, dass ihre Fruchtblase geplatzt ist. Wir waren beide schockiert", erzählt Daniel Pelz gegenüber "Leben & erziehen". Mit dem Rettungswagen ging es in die Klinik. Daniels Frau war damals in der 30. Woche mit Zwillingen schwanger.

Stunden zwischen Bangen und Hoffen

Im Krankenhaus bestätigten die Ärzte den Verdacht, und für das Paar begannen Stunden des Zitterns und Bangens. "Abends bekam sie leichte Wehen", erinnert er sich. Die Wehenhemmer, die seiner Frau verabreicht wurden, schienen zunächst anzuschlagen. "Es sah erstmal alles gut aus und wir hatten die Hoffnung, dass meine Frau noch an unseren Wohnort verlegt werden kann." Dann der nächste Rückschlag: "Drei Tage später kamen die Wehen wieder, und man sagte uns, dass nun ein Kaiserschnitt gemacht werden muss. Wir waren völlig überrumpelt un überfordert. Es war ein riesiger Schockmoment, wir waren völlig überfahren und hatten keine Chance, uns an die Situation zu gewöhnen."

"Der Anblick war erschreckend"

Beim Kaiserschnitt war Daniel dabei. "Ich durfte glücklicherweise die Hand meiner Frau halten", sagt er. Nach der Entbindung wurden ihnen die Kinder kurz hingehalten, dann sofort von den Kinderärzten erstversorgt.

Den ersten Besuch auf der Frühchen-Station wird Daniel nie vergessen. "Dann lagen da zwei Winzlinge mit großen Atemmasken über dem Gesicht, das sah schon erschreckend aus. Die Arme und Beine wirkten viel zu lang und viel zu dünn, und sie waren hellrot. Für die Ärzte war das reine Routine, aber für uns war das sehr erschreckend."

Zehn Wochen zu früh erblickten seine Kinder das Licht der Welt, wogen 1385 und 1420 Gramm

"Sie lagen beide im Inkubator. Unsere Tochter hat die Frühgeburt gut verkraftet, aber für unseren Sohn war das ganz anders. Er war noch roter und atmete ganz hektisch. Die Ärzte sagten uns, dass er einen Infekt hat und er sofort Antibiotika braucht. Es hat uns das Herz gebrochen, dass dieses kleine Kind gleich mit Antibiotika behandelt werden muss und zu sehen, wie schlecht es ihm geht. Dieses hektische, ruckartige Atmen habe ich immer noch vor Augen. Da hatten wir richtig Angst, wir haben richtig gebangt."

Daniel erinnert sich noch gut an der Gefühl der Ohnmacht und der Hilflosigkeit, wenn er seine Kinder auf der Neonatologie liegen sah. "Sie mussten über eine Sonde ernährt werden, weil sie zu schwach waren, um an der Brust zu trinken. Es tut unglaublich weh, wenn man Kinder hat, und man kann nichts für sie tun. Es ist ein wunderschönes Gefühl, wenn einem die Kinder dann auf die Brust gelegt werden, mit all den Kabeln."

Stress und Hektik in der Klinik

Obwohl jeder Gedanke in dieser Zeit nur seinen Kindern galt, musste Daniel trotzdem funktionieren und einiges organisieren. "Ich musste klären, ob ich überhaupt bei meiner Familie bleiben kann. Ich habe meinen Urlaub verlängert, mein Arbeitgeber war zum Glück sehr kulant."

Nach zwei Wochen waren die beiden Frühchen stabil genug, um in ein Krankenhaus an ihrem Wohnort verlegt zu werden. Zunächst schien sich alles zum Positiven zu wenden. "Sie haben an Gewicht zugenommen und konnten auf eine sanftere Atemunterstützung umgestellt werden." Daniel arbeitete in Teilzeit, um an vier Tagen pro Woche komplett bei seiner Familie im Krankenhaus sein zu können.

Doch der schroffe Umgangston und die gleichgültige Behandlung, die sie im zweiten Krankenhaus erlebten, waren für Daniel und seine Frau schockierend. "Die Schwestern waren immer nur in Hektik. Als wir im Krankenhaus ankamen, hatten die Kinder keine Sonde mehr und meine Frau musste plötzlich stillen, obwohl sie das vorher noch nie gemacht hatte. Meine Frau brach dann irgendwann in Tränen aus, weil die Stillberaterin nur ungeduldig auf sie einredete." 

Die Ärzte sagten uns offen, dass sie keine Zeit hatten, in die Akten zu gucken. Der Ton war hart und stellenweise auch abwertend.

Daniel Pelz

Schwerer Start zu Hause

Nach etwas über vier Wochen durften Daniel und seine Frau mit den Zwillingen nach Hause gehen. "Man hat uns von einem Tag auf den anderen entlassen wollen, dabei waren noch Untersuchungen angekündigt, die wir dann ambulant machen sollten. Man hat uns letztlich vor die Tür gesetzt."

Für das Paar begann erneut eine sehr schwierige Zeit. "Wir mussten noch mal in die Notaufnahme, weil der Stuhlgang unserer Kinder noch gar nicht richtig funktionierte. Sie hatten eine Trinkschwäche, sie haben sehr langsam getrunken. Wir hätten uns schon noch etwas Zeit im Krankenhaus gewünscht. Wir hatten einen sehr schwierigen Start zu Hause", so Daniels Resümee.

In der zweiten Woche nach der Entlassung dann der nächste Schock: Bei einer Routineblutabnahme beim Kinderarzt stellte sich heraus, dass Daniels Sohn einen Mangel an weißen Blutkörperchen hat, sodass sein kleiner Körper Infektionen nicht richtig bekämpfen konnte. Gerade bei Frühchen potenziell eine große Gefahr.

"Wir wurden dann noch mal an die Uniklinik verwiesen. Das hat uns noch eine ganze Weile in Atem gehalten, weil jetzt alles gefährlich sein konnte. Das hat uns wirklich sehr geschockt", so Daniel.

Insgesamt habe ihr Sohn die Frühgeburt wesentlich schlechter verkraftet als ihre Tochter. "Er hat viel geweint, er war sehr unruhig und wirkte verzweifelt. Wir hatten immer das Gefühl, dass er traurig war und noch gar nicht bereit war für die Welt."

So geht es den Zwillingen heute

Inzwischen sind Daniels Kinder kerngesund und haben den schweren Start ins Leben nach vielen Arztterminen und Nachbehandlungen gut gemeistert.

Doch die Erlebnisse hingen ihm und seiner Frau – wie wohl allen Frühchen-Eltern – noch lange nach. "Viele denken: 'Da hat man erstmal ein paar harte Wochen und dann ist es ja auch vorbei' – aber das ist es zumindest psychisch nicht. Man braucht wesentlich länger, um diese große Angst um die Kinder zu verarbeiten. Man sieht ganz lange noch die Frühgeborenen in den Kindern. Bei manchen Eltern kann das Jahre dauern. Das können viele Menschen nicht nachvollziehen, die so eine Situation nicht erlebt haben", weiß Daniel.

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus hat Daniel zwei Monate Elternzeit genommen, ist danach mit 60 Prozent wieder in den Job eingestiegen.

Du musst als Vater den Spagat schaffen, arbeiten zu gehen und die Formalitäten zu erledigen.

Daniel Pelz

"Ich habe mich gefragt, ob es okay ist, verzweifelt und traurig zu sein oder ob es falsches Selbstmitleid ist. Mit diesem emotionalen Zustand klarzukommen und damit, dass man erstmal an der Seitenlinie steht, das sind die besonders schwierigen Sachen, die die Väter von Frühgeborenen erleben. Ich will nicht sagen, dass wir Väter es schlechter haben, aber es ist eine andere Form der Belastung."

"Es ist eine Grenzerfahrung"

Über seine Erfahrungen hat Daniel ein Buch geschrieben, mit dem er anderen Betroffenen helfen will. "Ganz wichtig ist, sich die eigene Hilflosigkeit und Angst einzugestehen, auch wenn die Frau sicher noch mal in ganz anderer Weise gefordert ist. Ich als Vater habe auch das Recht auf die Gefühle und darf sie auch ausdrücken. Ich habe es oft nicht ausgesprochen, weil ich meine Frau nicht zusätzlich belasten wollte."

Sein Rat an alle Väter, die eine ähnliche Situation erleben: "Es ist wichtig, seine Grundbedürfnisse nicht zu vernachlässigen, darauf zu achten, dass man genug isst und trinkt und jede Gelegenheit zum Schlafen nutzt und sich gegenseitig die Chance gibt, auch mal einen kurzen Moment etwas für sich zu tun."

Und: "Im Krankenhaus sollte man einfordern, dass man auch als Vater alles erklärt bekommt und das Handling gezeigt bekommt, damit man nicht in so eine Nische abgeschoben wird. So baut man auch gleich eine Beziehung zum Kind auf."

Trotzdem weiß er: "Es gibt kein Patentrezept. Es ist eine Grenzerfahrung."

Daniel Pelz ist Journalist. Über seine Erfahrung als Vater von Frühchen hat er ein Buch geschrieben. "Frühchenpapa. Ein Wegbegleiter" (14,90 Euro) ist bei Brandes & Apsel erschienen und enthält wertvolle Tipps für Eltern, die in einer ähnlichen Situation stecken.

Buchcover Frühchenpapa von Daniel Pelz© Brandes & Apsel
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