Wochenbettpsychose

Erfahrung aus der Psychiatrie: "Erst hier konnte ich in meine Mutterrolle hineinwachsen"

Die Schwangerschaft verlief einwandfrei, die Geburt war wunderschön. Hebamme Christina genoss ihr Mamaglück in vollen Zügen – doch dann kam schlagartig alles anders: Sie erkrankte an einer Wochenbettpsychose. Was das bedeutet und wie es ihr heute geht …

Christina mit ihrem neugeborenen Sohn.© Privat
Kurz nach Aufnahme dieses Bildes erkrankte Christina an einer Wochenbettpsychose.

Alles sollte perfekt werden. Die Zeit nach der Geburt ihres ersten Kindes hatte sich Christina in den leuchtendsten Farben ausgemalt. Schließlich ist sie selbst Hebamme, also Fachfrau fürs Wochenbett. 

Doch statt endloser Kuscheleinheiten mit ihrem Baby erlebte sie das Unvorstellbare: Christina glitt in eine Wochenbettpsychose ab. Statt bei ihrem Sohn zu sein, landete sie schließlich in der Psychiatrie.

Zwei Wochen nach der Geburt machten sich die ersten Symptome bemerkbar. "Als Erstes wurde ich unhöflich zu meinem Mann und sagte geradeaus, was ich dachte, ohne zu filtern, ob ihn das verletzen könnte oder ob es gerade angebracht war, das auszusprechen", erzählt uns Christina. "Dann wurde ich schamlos und dachte gar nicht daran, mir obenrum etwas drüberzuziehen und hätte der Fotografin, die unser Baby fotografieren sollte, auch nur im Still-BH die Tür geöffnet. Mein Mann musste mich auffordern, mir noch was anzuziehen, was ich widerwillig tat. Ich war sehr laut und habe viel geredet und war vollkommen euphorisch."

Wahnvorstellungen gerieten außer Kontrolle

Dann kamen die Wahngedanken. Innerhalb von Stunden verschlimmerten sich diese Vorstellungen, und Christina, die gläubige Christin ist, war davon überzeugt, eine Prophetin zu sein. "Ich glaubte, dass Terroristen mich und meine Familie überwachten mit Hilfe von Flugzeugen, Helikoptern und Drohnen, die über und um unser Haus flogen. Ich dachte, alle technischen Geräte in unserer Wohnung seien Überwachungsgeräte und würden mich abhören, und sogleich würden im Weltgeschehen Dinge passieren, weil ich etwas ausgesprochen oder getan hatte."

Christina war derart in ihren Gedanken gefangen, dass sie sogar die Versorgung ihres fünf Wochen alten Sohnes vernachlässigte. In der Nacht, bevor sie schließlich in die Klinik kam, spitzte sich die Situation endgültig zu. "Ich erwartete eine Drittgebärende zur Geburt bei mir zu Hause und bereitete alles dafür vor: Das Wohnzimmer war der Kreißsaal, Handschuhe lagen bereit, meine Geburtstasche wurde ausgepackt usw. Es war wirklich verrückt, und ich habe alles abgelehnt, was damit zu tun hatte, dass ich krank sei."

Alle anderen haben gesponnen, nur ich nicht!

Wie es soweit kommen konnte, kann Christina nur mutmaßen. Nie zuvor litt sie unter einer psychischen Erkrankung, ihr Sohn war ein absolutes Wunschkind, und als Hebamme wähnte sie sich bestens vorbereitet auf alle Herausforderungen, die sie als Mutter erwarteten. "Ich wusste um die Erkrankung, hätte aber nie gedacht, dass es mich einmal treffen könnte, weil ich absolut nicht vorbelastet bin in der Familie oder in meiner eigenen Krankengeschichte. Die Schwangerschaft war einwandfrei und auch die Geburt war super schön! Ich und mein Ehemann haben uns auf unser Kind so sehr gefreut, und dann kam alles so erschreckend anders, als man sich das so vorgestellt hatte", sagt sie rückblickend.

Schlafmangel als Auslöser für Wochenbettpsychose

Inzwischen glaubt sie, dass der Schlafmangel und die Sorge um ihre damals schwer erkrankte Mutter der Auslöser für die Wochenbettpsychose waren. "Ich habe vier Nächte gar nicht geschlafen, und mein Sohn, der eigentlich sehr entspannt war, wurde unruhiger." Als ihre Mutter aus dem Krankenhaus entlassen wurde, beruhigte Christina sich zunächst wieder. "Ich konnte wieder schlafen, aber dann gingen die komischen Gedanken und Verhaltensweisen los."

Dreieinhalb Monate blieb Christina in der Klinik. "Es war wirklich die verrückteste und finsterste Zeit meines bisherigen Lebens", sagt Christina heute. "Ich war durch die Medikamente auf der geschlossenen Station vollkommen ruhig gestellt und nur am Schlafen, aber das war notwendig, um die Psychose erstmal komplett wegzubekommen." Ihre Erinnerung an diese Zeit ist lückenhaft. "Von der geschlossenen Station weiß ich nur noch ab Tag vier einzelne Szenen, zum Beispiel, dass ich einmal versucht habe, zu entkommen und es tatsächlich aus der Station rausgeschafft habe." Weil draußen tiefer Schnee lag, kam sie jedoch nicht weit.

Besserung dank Therapien und Medikamenten

"Das Schwerste war definitiv für mich die Trennung von meiner Familie und von meinem Sohn, den ich dann ganz plötzlich auch nicht mehr stillen durfte und konnte", sagt Christina. "Ich konnte meinem Baby nicht die Nähe geben, die er und ich gebraucht hätten, das war so schwer für mich."

Rückblickend weiß sie jedoch, dass dieser radikale Schritt der richtige war. "Die wichtigsten Maßnahmen, um die Psychose einzudämmen, waren definitiv die räumliche Trennung von meinem gewohnten Umfeld, um potenzielle Gefahren von anderen durch mich abzuwenden und mir eine wirklich Entlastung zu ermöglichen, und die medikamentöse Therapie, ohne die ich nicht aus der Psychose herausgekommen wäre", sagt sie.

Die Nebenwirkungen der ersten starken Medikamente, die sie erhielt, waren heftig. "Mein Blick sah finster aus, meine Arme hingen fast regungslos an den Seiten hinunter und ich schleppte mich über den Gang." Nach Umstellung auf die Langzeitmedikamente verbesserte sich ihr Zustand jedoch. Auf der offenen Station absolvierte Christina einen wahren Therapie-Marathon. "Im Verlauf, als es mir dann besser ging, wurden immer mehr Therapien ergänzt. Zum Beispiel hatte ich Bewegungstherapie, Muskelentspannung, Einzelmassage und Rückbildungsgymnastik, Kreativtherapie, Reittherapie, Konzentrationstraining, Keramiktherapie usw."

Ihre Familie gab ihr Kraft

Jeden Tag besuchten ihr Mann und ihr Sohn sie für anderthalb Stunden auf Station, und ab der dritten Woche durfte sie auch Wochenendurlaub zu Hause machen. "Nach fünf Wochen Psychiatrieaufenthalt wurde ich erst entlassen, doch nach einer Woche bekam ich einen Rückfall und musste nochmal für sehr lange Zeit in die Psychiatrie. Wahrscheinlich war die Belastung zu Hause einfach zu schnell viel zu hoch", weiß sie heute. Erst eine Tagesklinik ermöglichte ihr, wieder in den Alltag zu finden. "So konnte ich langsam in meine Mutterolle neu hineinwachsen und lernen, mit den alltäglichen Stressfaktoren gut umzugehen."

Ihre Familie gab ihr in dieser schweren Zeit Kraft. "Mein Mann glaubte an mich und vertraute Gott, dass ich wieder gesund werden würde. Der Rückfall war für ihn sehr schlimm, aber er gab nicht auf. Meine Eltern waren natürlich sehr besorgt um mich und sie waren auch die Ersten, die Symptome erkannten und mich darauf ansprachen."

Rückfallrisiko begleitet sie bis heute

Ein Jahr nach der Geburt ging es Christina wieder deutlich besser, sie konnte sogar wieder geringfügig als Hebamme arbeiten. "Es ist ganz oft so, dass Frauen, die eine Wochenbettpsychose erlebt haben, nie wieder eine psychotische Episode erleben. Die Chancen auf Heilung stehen also ziemlich gut. Leider gibt es laut meiner Ärztin eine 50- bis 60-prozentige Rückfallquote bei der Geburt eines weiteren Kindes", weiß sie heute. "Wichtig ist, dass man die Medikamente nicht abrupt absetzt, sondern immer in Begleitung eines Psychiaters und auch nicht zu früh. Und man sollte ein Leben lang darauf achten, ausreichend Nachtschlaf zu bekommen, denn Schlafmangel stellt einen sehr großen Risikofaktor dar. Ich für mich, habe erkannt, dass ich ganz stark an meinen Ängsten arbeiten musste, denn letztlich haben diese verursacht, dass ich nicht schlafen konnte und damit ist das Fass dann übergelaufen."

Obwohl die Wochenbettpsychose inzwischen bereits sieben Jahre zurückliegt, nimmt sie noch immer niedrig dosierte Medikamente ein – sogar während ihrer zweiten Schwangerschaft vor vier Jahren. Ihr Ziel ist es, Ende des Jahres komplett frei von Medikamenten zu sein, und sie ist bereits auf einem guten Weg dahin. "Mir geht es einfach wunderbar! Ich merke, dass ich wieder lebendiger werde, auch wenn ich mich unter dem Medikament nie leer gefühlt habe."

Ob sie die Erkrankung hätte verhindern können, weiß sie nicht. Inzwischen ist sie sich aber sicher: "Das Mamasein bringt einfach noch einmal viel mehr Ängste und Sorgen mit sich, das kann man sich ohne eigene Kinder einfach nicht vorstellen. Ich wusste jedoch schon vorher, dass ich mit Ängsten - nicht im krankhaften Sinne, aber doch schon irgendwie ausgeprägt – zu tun hatte. Und auch Perfektionismus hat in meiner Mutterschaft sehr vieles zerstört. Eigene Intuition, Vertrauen, Ruhe und Schlaf sind sehr wichtig im Wochenbett, und alles, was das stört, würde ich jetzt abschalten."

Was ist eine Wochenbettpsychose?

Eine Wochenbettpsychose trifft etwa ein bis zwei von 1000 Müttern und macht sich meist innerhalb der ersten sechs Wochen nach der Geburt bemerkbar. Oft tritt sie sehr plötzlich innerhalb der ersten zwei Wochen auf. Zu den wichtigsten Symptomen zählt eine auffallende Verhaltensänderung der betroffenen Frau. Sie wirkt völlig verändert, ist antriebs- und teilnahmslos oder extrem unruhig. Ebenfalls auftreten können Konzentrationsstörungen, Ängste, Panikattacken, Wahnvorstellungen sowie Schlafstörungen.

Eine Wochenbettpsychose kann durch die hormonelle Umstellung nach der Geburt ausgelöst werden. Frauen, die zuvor bereits unter Depressionen litten, tragen ein erhöhtes Risiko.