Nicht vorschnell einschreiten

Babys müssen das Fallen lernen!

Autsch! Wenn Babys auf den Kopf fallen, tut das schon beim Zusehen weh. Doch kleine (harmlose) Stürze sind wichtig für die Entwicklung. Eine Expertin verrät, wie wir kleine Kinder richtig (beim Fallen) begleiten.

Um das Fallen zu lernen, müssen Eltern ihre Babys auch mal "machen lassen"  – natürlich im sicheren Rahmen.© Foto: iStock/simonkr
Um das Fallen zu lernen, müssen Eltern ihre Babys auch mal "machen lassen" – natürlich im sicheren Rahmen.

Viele Eltern denken, sie müssten ihre Kinder vor Stößen und Stürzen schützen. Ihnen ist gar nicht bewusst, dass sie ihr Baby damit in der Entwicklung hemmen. Warum sich Eltern zurücklehnen sollten und wie sie Vertrauen in sich und den Nachwuchs entwickeln, erklärt uns Iris Mayr aus der Nähe von Wien. Sie ist Erzieherin, PEKiP- und Montessori-Kursleiterin (auch online).

Babys und Kleinkinder können mehr, als man denkt

Babys und Kinder müssen sich frei entwickeln können. Doch was heißt das? Wie schaffen wir eine sichere Spielumgebung und lernen selbst, unsere Kleinen angemessen frei zu lassen, um ihnen eine optimale Entwicklung zu ermöglichen? Iris Mayr kennt das Fallen von Babys aus drei Perspektiven:

  1. Als Mama von zwei Kindern. Vor mehr als 17 Jahren erlebte sie erstmals mit ihrem Sohn, wie es sich anfühlt, wenn ein Baby mobil wird und man ständig aufpassen will, dass es sich nicht verletzt.
  2. Als Kursleiterin. Hier kann sie oft beobachten, dass die Eltern (meistens sind es die Mamas) viel zu nah dran sind an ihrem Kind. Die Babys verlassen sich dann auf die Eltern und wissen, dass ihnen nichts passieren kann, da sie ohnehin auf- oder abgefangen werden. Lässt man die Kinder sich allerdings mehr selbst ausprobieren, lernen sie ganz anders, auf Situation zu reagieren. Sie lernen ihren Körper besser kennen und können sich selbst schneller richtig einschätzen.
  3. Als Beobachterin in Online-Kursen, wo sie Mütter und Kinder in Alltagssituationen miterlebt. Hier gibt sie handfeste Tipps, die Eltern und ihrem Kind das Leben leichter machen. Manchmal braucht es nur kleine Hinweise, die Großes bewirken. So erzählt Iris Mayr von einer Situation, in der eine Mutter furchtbare Angst um ihr Baby hatte, weil es zwischen Wohnzimmer und Küche zwei Stufen gab. Das Kind kam mühelos hinauf, doch die Mutter traute sich nicht mehr, ihrem Kind den Rücken zuzuwenden, aus Angst, ihr Baby könnte die zwei Stufen hinunterfallen. Über Video mit dem Tablet riet Iris Mayr der Mutter, einfach mal zuzuschauen, was ihr Kind tun würde. Und siehe da, es kam problem- und gefahrlos die beiden Stufen wieder hinunter, als wäre es das Natürlichste der Welt.

Wer rauf kommt, kommt auch wieder runter

"Wer es alleine hinaufschafft, schafft es in der Regel auch alleine wieder runter", weiß die PEKiP-Kursleiterin, das hat sie Hunderte Male bei Babys und Kleinkindern beobachtet. Allerdings nur dann, wenn die Kinder das aus eigener Motivation tun und sich nicht überfordert fühlen, weil sie zu etwas gedrängt werden, wozu sie noch nicht bereit sind. Das gilt auch für die beliebten Kletterdreiecke (wir haben euch hier ein Beispiel verlinkt): "Sie sind super für die freie Bewegungsentwicklung, Eltern sollten ihre Babys aber nicht da hinauflocken", sagt Iris Mayr. "Können Babys das Kletterdreieck im eigenen Tempo erobern – bei meinem Sohn hat das fast zwei Monate gedauert – sind sie eine gute Möglichkeit für junge Kinder, ihren Bewegungsdrang im Zuhause auszuleben. Hier müssen Eltern geduldig sein, wenn ihr Baby noch nicht bereit dafür ist." Nimmt man als Eltern Entwicklungsschritte vorweg, bedeute das eigentlich, die freie Entwicklung zu behindern, erklärt die Erzieherin.

Wenn sich das Baby vom Bauch auf den Rücken dreht

Das kennen wohl alle Eltern: Dieses fiese Geräusch, wenn das Köpfchen des Babys auf etwas Hartes aufschlägt. Zum Beispiel, wenn es sich die ersten Male auf dem Fußboden vom Bauch auf den Rücken dreht. Viele Eltern legen das Baby auf dicke, weiche Decken und polstern alles ab, damit sich das Baby bloß nicht wehtut. Doch tatsächlich ist der Schreck bei den Eltern oft stärker als der Schmerz bei den Babys, weiß Iris Mayr. Zudem bekommen sie durch zu weiche Unterlagen kein richtiges Gefühl für ihren Körper und die Umgebung. Aus diesem Grund rät die Erzieherin auch von sogenannten Fallschutzkissen (für ältere Babys und Kleinkinder) ab. Eltern können ihr Baby in dieser Phase des Drehens beispielsweise auf eine Yogamatte legen und – wie auch in anderen "unsicheren" Phasen, wenn das Baby oder Kleinkind motorisch gerade etwas Neues lernt – hartes Spielzeug aus dem Weg räumen. "Eine Yogamatte bietet genügend Puffer, damit sich das Baby nicht wehtut, ist aber gleichzeitig fest genug, sodass das Baby merkt und lernt, dass es auf sein Köpfchen achten muss", erklärt Iris Mayr. Sie rät Eltern, in solchen Situationen immer mit dem Kind zu sprechen und seine Gefühle aufzugreifen. Also zum Beispiel in liebevollem Ton: "Jetzt hast du dir das Köpfchen gestoßen, das tut weh, oder?" Ist das drei- bis viermal passiert, haben die Kinder es erfahrungsgemäß gelernt. Und zwar ist dies quasi die niedrigste Möglichkeit, das Fallen zu üben.

Babys müssen ihr Körpergefühl erst entwickeln – auch beim Fallen

Ähnliche unsichere Phasen gibt es, wenn das Baby anfängt zu robben, sich hinzusetzen, zu krabbeln, sich hochzuziehen und zu laufen. Die Montessori-Kursleiterin empfiehlt weiche Spielzeugkisten oder -körbe, die man schnell aus dem Weg räumen kann. "Ein kindersicheres Umfeld ermöglicht den Babys eine freie Entwicklung in ihrem eigenen Tempo und sorgt gleichzeitig für mehr Gelassenheit und Zeit bei den Eltern", sagt Iris Mayr. Für die meisten Eltern sei es eine tolle und erkenntnisreiche Erfahrung, sich einfach mal zurückzulehnen und zuzuschauen, was das Baby macht, wenn man selbst nichts macht. "Kleine Kinder brauchen noch kein Spielzeug, sie können sich genial beschäftigen und entwickeln, wenn man sie lässt", wie die Erzieherin oft genug festgestellt hat. Und dann komme es zu den "Magic Moments", wie Iris Mayr sie nennt, wenn die Eltern merken, dass sie ihrem Kind viel mehr vertrauen und zutrauen können, als sie dachten.

Wenn Babys aus dem Stand hin- oder vom Sofa runterfallen

Irgendwann ist es so weit und euer kleiner Schatz will höher hinaus. Er zieht sich überall hoch und will stehen. Auch hier sind die ersten Versuche oft sehr wackelig, Stürze gehören dazu. "Alles verhindern kann man eh nicht", sagt die Erzieherin Iris Mayr. "Ich sage immer, die Eltern sollten so nah wie nötig, aber so weit weg wie möglich vom Kind sein, wenn es Bewegungsabläufe übt. Fällt das Kind zum Beispiel aus dem Stand nach hinten, sollten Eltern ihm den Schreckmoment des Fallens lassen und es erst im letzten Moment auffangen, bevor es sich wehtut." So gebe man ihnen die Möglichkeit zu lernen, worauf sie achten müssen, damit sie nicht fallen. Werden sie zu früh aufgegangen, sehen sie gar nicht die Notwendigkeit, beim nächsten Mal besser aufzupassen. Nach zwei bis drei Tagen üben passiert es schon viel seltener, dass die Kleinen dabei hinfallen.

Fürs Sofa empfiehlt Iris Mayr tatsächlich eine Zwischenstufe. Zum Beispiel bei Ikea, aber auch bei Amazon gibt es dicke Matten oder große, feste Kissen, die man vor das Sofa legen kann. Eltern begleiten ihr Baby beim Herunterklettern laut Iris Mayr am besten, indem sie gleichzeitig unter jedes Füßchen eine Hand legen und ihrem Kind so Sicherheit signalisieren. Optimalerweise sagt man kleinen Kindern, sie sollen rückwärts runterkrabbeln.

Und wenn dem Baby oder Kleinkind beim Fallen doch mal was passiert?

In den meisten Fällen erkennen wir Eltern ganz intuitiv, ob sich unser kleiner Schatz ernsthaft wehgetan hat. Spätestens, wenn sich die Kleinen nach einem Sturz übergeben, eine Platzwunde haben oder wesensverändert wirken, solltet ihr einen Kinderarzt aufsuchen bzw. in die Kinderklinik fahren.

Noch mehr Tipps von der Erzieherin Iris Mayr, um Babys Entwicklung optimal zu begleiten

  • Wenn Babys robben oder krabbeln lernen, können Eltern einen Tunnel aus Stühlen bauen. So lernen die Kids früh, sich dreidimensional im Raum zurechtzufinden. Anfangs werden sie sich ab und zu stoßen, doch auch das werden sie schnell lernen.
  • Und übrigens: "Kinder dürfen mitbekommen, dass es keine Heinzelmännchen gibt", sagt die Expertin. Sie dürfen also ruhig dabei sein, wenn man die Spielsachen aufräumt. Achtet dabei auf die Tageszeit, denn müde Kinder kooperieren nicht mehr so gut.
  • Aus der Montessoripädagogik hat Iris Mayr zum Beispiel die Zahl 10 übernommen. Babys und kleine Kleinkinder brauchen beispielsweise keine hundert Bausteine, zehn sind völlig ausreichend. In fünf bis sechs Körbchen können jeweils zehn Spielzeuge/Materialien einer Art liegen. Platziert man diese fünf, sechs Körbchen voneinander entfernt im Zimmer und nicht alle in einer Ecke, schafft man "Alltagsbewegungen für das Kind" – natürlich erst, wenn es schon mobil ist. Beim Einräumen achtet man dann gemeinsam mit dem Kind darauf, dass alle zehn Teile wieder in das jeweilige Körbchen kommen. Das vermittelt auch eine Wertigkeit für jedes einzelne Teil.
  • Fällt ein Baby oder Kind empfiehlt es sich, die eigene Schreckreaktion etwas zurückzuhalten und lieber zu schauen, wie das Kind von sich aus reagiert. Oft wirkt ein Sturz für die Zuschauer schlimmer, als er tatsächlich ist. Dann ist es gut, die Gefühle des Kindes zu benennen (wie oben beschrieben).
  • Bei Schmerzen nach einem Sturz oder nachdem sich das Kind gestoßen hat, erst mal nur die Hände auf die entsprechende Stelle legen, statt das Kind gleich komplett hochzureißen. Lieber schauen, wie viel Trost das Kind wirklich will und braucht.
  • Größere Kinder können dann von sich aus zu den Eltern kommen, wenn sie Trost wollen (man muss also nicht immer gleich hinrennen).
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