
Ab einem bestimmten Alter wollen Babys die Welt entdecken und ihren Blickwinkel erweitern – auch in der Trage! Nicht selten werden die Minis dann auch schon mal ganz schön quengelig, wenn man sie nicht lässt. Und mal Hand aufs Herz: Wer hat dann nicht schon einmal darüber nachgedacht, das Baby mit Blick nach vorne in die Trage zu nehmen? So kann es sich umschauen – und Mama oder Papa haben Ruhe. Zumindest für ein paar Minuten ...
Aber nach vorne tragen ist – zumindest in Deutschland – total verpönt. Dafür erntet man schnell böse Blicke und vielleicht sogar abfällige Kommentare. Aber ist es denn wirklich so gesundheitsschädlich, wenn das Baby mal für einen Moment in der Trage nach vorne schaut? Und was genau kann dabei eigentlich schlimmstenfalls passieren? Das haben wir Trageberaterin Julia Lübke gefragt – und interessante Antworten bekommen.
Das Baby mit dem Blick nach vorne zu tragen, davon raten viele Ärzte kategorisch ab. Wie siehst du das?
Ja, das vorwärtsgerichtete Tragen ist mit Skepsis zu betrachten, aber es gibt Bedingungen, die diese Trageweise erforderlich machen. Zum Beispiel kann ein Elternteil im Rollstuhl sitzen.
Welche körperlichen Auswirkungen kann die Fronttrageweise in Blickrichtung haben?
Babys Schultern können nach hinten und der Rücken somit ins Hohlkreuz gedrückt werden. Außerdem ist die Anhock-Spreiz-Haltung selten möglich, welche die Hüftgelenke in die richtige Position bringt, damit diese weiter reifen und sich verknöchern können. Das ist im ersten Lebensjahr zu beachten. Meistens werden die Babys beim vorwärtsgerichteten Tragen in ihrem Schritt wie ein Hampelmann aufgehangen und tragen ihr Gewicht nur mit dem Schritt selbst, was vor allem bei Jungs zu Quetschungen führen kann.
Und was macht das "Nach vorne Tragen" mit Mama und Papa?
Da das Baby, anders als in der Anhock-Spreiz-Haltung, keine ergonomische Einheit mit dem Körper des Erwachsenen bildet, ist keine gute Gewichtsverteilung gegeben. Das ist auf Dauer unbequem und kann zu Schmerzen führen, weil der Träger nach vorne gezogen wird und es mühsam ist aufrecht zu gehen.
Hand aufs Herz: Ein unruhiges Kind, das sehen will, was um es herum passiert, eine Mama, die in diesem Moment am Ende ihrer Geduld ist. Manche Situationen erfordern Flexibilität. Wie schlimm ist es wirklich, das Kind ab und an nach vorne gerichtet zu tragen?
Es ist nicht verboten, aber man sollte wissen, dass es nicht gesund ist. Wenn ein Baby mehr sehen möchte, was wenn überhaupt erst ab ca. sechs Monaten aufgrund eines Entwicklungssprungs der Fall ist, dann sollte man das Rückentragen bevorzugen.
Ab wie vielen Monaten ist das Tragen mit Blick nach vorne (wenn überhaupt) erlaubt? Und für wie lange?
Das vorwärts gerichtete Tragen sollte an kein Alter "gebunden" werden. Ausprobieren sollte man es, wenn überhaupt, erst ab dem Zeitpunkt, wo das Baby selbstständig sitzen kann und über eine gute Rumpf- und Kopfkontrolle verfügt, aber auch dann nur für wenige Minuten. Die Reizüberflutung durch alles, was das Kind auf einmal um sich herum mitbekommt, ist auch nicht zu unterschätzen.
Wenn man das Kind nach vorne blicken lässt, worauf muss man achten?
Empfehlenswert ist es, das Baby nur wenige Minuten, wir reden über 5-10 Minuten, vorwärts gerichtet zu tragen. Außerdem sollte das Baby wach sein. Sobald es Anzeichen von Müdigkeit macht, sollte das Baby die Möglichkeit haben, den Kopf ablegen zu können.
Es gibt aber doch auch extra Tragehilfen für das Tragen mit Blick nach vorne, was sagst du dazu?
Die Tragehilfen, die das vorwärts gerichtete Tragen bewerben, sind aus dem Ausland. Länder, in denen andere Standards als in Deutschland gelten. Nichtsdestotrotz haben alle Produkte ihre Daseinsberechtigung und es gibt Besonderheiten, wo diese Trageweise eine gute Lösung sein kann. Wie erwähnt, sind Eltern im Rollstuhl zum Beispiel dankbar, so überhaupt tragen zu können. Aber erst, wenn das Kind selbstständig sitzen kann.
Gibt es gute Alternativen, die Träger und Kind happy machen? Zum Beipiel der seitliche Hüftsitz?
Ja, die gibt es. Das Tragen auf dem Rücken ist bereits ab Geburt möglich. Dafür nutzt man am besten ein Tragetuch, denn so kann man das Baby, gut gestützt auf den Rücken befördern. Mit einer Tragehilfe kann man gut ab Kopfkontrolle tragen, denn dann hat das Baby eine so gute Kontrolle über seinen Oberkörper, dass man es sicher alleine über die Hüfte auf den Rücken befördern kann. Das Rückentragen ist "echtes" Tragen, dafür ist der menschliche Körper ausgelegt und so kann man sehr lange, sehr komfortabel viele Kilogramm tragen und mit dem Baby gemeinsam die Welt auf Augenhöhe entdecken. Die Welt aus unserer Perspektive. Das Tragen auf der Hüfte ist für die Anhock-Spreiz-Haltung des Babys gut geeignet, jedoch eine einseitige Belastung für den Träger und daher nicht lange angenehm.
Abschließend sei einfach gesagt, dass der Wunsch zu tragen, viel Wert ist. Jedes getragene Baby ist ein glückliches Baby. Und jedes Elternteil findet seinen Weg, bequem und glücklich zu tragen. Das gesunde Maß macht es einfach. In jeder Hinsicht.