Verunreinigte Babynahrung

Mineralöl in Milchpulver: Skandal oder Panikmache?

Die Verbraucherschutzorganisation "Foodwatch" warnt vor Mineralölbestandteilen in Babynahrung. Wir haben mit einem Experten gesprochen, wie es zu der Verunreinigung kommen kann und worauf Eltern nun achten sollten.

Steckt in Milchpulver wirklich Mineralöl? © Foto: Getty Images/dm909
Steckt in Milchpulver für Babynahrung wirklich Mineralöl?

Update vom 28. Mai 2020: "Foodwatch" verkündet erneut Funde gesundheitsschädlicher Mineralöle in Babymilchpulvern, belegt durch Laboranalysen der Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter (CVUA) Münster und Stuttgart. In der Pressemitteilung vom 28. Mai 2020 heißt es: "Das CVUA Münster wies in allen 50 untersuchten Proben gesättigte Mineralöle (MOSH) nach und fand zudem aromatische Mineralöle (MOAH) in 14 der 50 Proben. Das Labor in Stuttgart fand in 17 Proben keine MOAH-Verunreinigungen, wies jedoch in zwölf Proben MOSH nach. Insgesamt waren bei den beiden erst jetzt bekannt gewordenen staatlichen Untersuchungen 92 Prozent der Proben mit MOSH und 21 Prozent der Proben mit MOAH belastet. Aufgrund ihrer Gefährlichkeit sollen MOAH in Lebensmitteln auch nicht in geringsten Spuren vorkommen. MOSH sollen nach wissenschaftlicher Einschätzung zumindest weitestgehend vermieden werden: Sie reichern sich in Körpergeweben und Organen an, ihre genauen Auswirkungen sind wissenschaftlich noch unklar." Neben den Marken Nestlé und Novalac, die bereits im Oktober 2019 getestet wurden, sind nun auch Milchpulver von Rossmann und Humana betroffen. 

Foodwatch fordert Bundesernährungsministerin Julia Klöckner auf, die mit MOAH belasteten Produkte umgehend vom Markt nehmen zu lassen und sicherzustellen, dass nur noch unbelastete Säuglingsmilch in den Handel gelangt. 

Mineralöl in Babynahrung

Ursprünglicher Artikel aus November 2019: "Säuglingsmilch mit Mineralöl belastet" – so titelte die Verbraucherschutzorganisation "Foodwatch" Ende Oktober 2019. Eine Schlagzeile, die bei Eltern sofort ein ungutes Gefühl hervorruft, ja sogar Angst macht. Und viele Fragen aufwirft: Wie kann es sein, dass Mineralöl in Lebensmitteln landet? Und kann man Babys nun überhaupt noch guten Gewissens Fläschchen mit Milchpulver geben? 

Aber von Anfang an: "Foodwatch" beauftragte drei zertifizierte Labore Babymilch zu untersuchen – unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Analysemethoden. In drei von vier Produkten wurden dabei sogenannte aromatische Kohlenwasserstoffe (MOAH) gefunden, die als potenziell krebserregend gelten. Die Organisation forderte einen sofortigen Verkaufsstopp und Rückruf der Produkte. Doch dazu ist es bislang nicht gekommen.

Aus einem einfachen Grund, wie uns Dr. Thomas Gude, wissenschaftlicher Leiter im Bereich Lebensmittelchemie und Non Food der Firma "Swiss Quality Testing Services" (SQTS) erklärt. "Es gilt das Lebensmittelrecht. Wäre die Babynahrung wirklich systematisch mit zweifelsfrei nachgewiesenen Substanzen kontaminiert, hätten die Behörden schon längst einen Rückruf veranlasst." Damit ist das Thema aber nicht vom Tisch. Das Problem: Mineralöl ist ein sehr komplexes Thema. "Wie der Name schon sagt, besteht es aus vielen unterschiedlichen Stoffen. Wenn ich in einer Weintraube ein Pestizid finde, habe ich es mit einer einzigen Substanz zu tun, die wissenschaftlich klar definiert ist. Bei Mineralöl greifen die klassischen analytischen Maßnahmen nicht, da man nicht nur eine Substanz, sondern eine ganze Reihe bewertet. Und je unspezifischer diese Menge ist, desto größer ist der Interpretationsspielraum bei der Auswertung." Der Experte beanstandet, dass "Foodwatch" bestimmte Daten und Analyse-Verfahren nicht vollständig offen gelegt habe. So seien die angeführten Werte nicht nachvollziehbar.

Folgende Produkte waren im Test von "Foodwatch" betroffen:

  1. Nestlé BEBA OPTIPRO PRE, 800 g, von Geburt an; Chargennummer: 91120346AA; Mindesthaltbarkeitsdatum: 10/2020
  2. Nestlé BEBA OPTIPRO 1, 800 g,  von Geburt an; Chargennummer: 9098080621; Mindesthaltbarkeitsdatum: 10/2020
  3. Novalac Säuglingsmilchnahrung PRE, 400g (in Apotheken erhältlich); Chargennummer: A5952275; Mindesthaltbarkeitsdatum: 11.03.2020

 

Wie kommt das Mineralöl in die Babynahrung?

Schon seit Jahren ist bekannt, dass Mineralölbestandteile auf Lebensmittel übergehen können. Sie stammen z. B. aus Abgasen der Erntemaschinen, von Druckfarben auf Kartonagen oder Jutesäcken sowie von Trennmitteln, mit denen Maschinen geschmiert werden. Im Fall der Babymilch geht "Foodwatch" davon aus, dass die Verunreinigung von den Weißblechdosen stammen könnte. Sie dürfen für die Produktion mit sogenannten Walz- und Schneideölen gängig gemacht werden. Dr. Gude bestätigt, dass hochgereinigte Öle für Maschinen im Lebensmittelbereich eingesetzt werden dürfen. Die gefundenen MOAH-Werte sind aber so hoch, dass sie auf ein ungereinigtes Öl hinweisen würden. Nachdem die Rückstände im Milchpulver publik gemacht wurden, hat auch Dr. Gude Weißblechdosen und die Öle, die für die Produktion benutzt werden, untersucht. Werte wie bei den zuvor veröffentlichten Testergebnissen seien dabei nie aufgetreten. "Wir können diese Angaben nicht nachvollziehen. Unserer  Meinung nach hätten diese Mengen schon bei der Produktion auffallen müssen. Grundsätzlich sind hohe Werte oder Kontaminationen erst einmal zu hinterfragen", sagt der Experte. "Wichtig ist jetzt, dass man herausfindet, wieso verschiedene Labore zu so unterschiedlichen Aussagen kommen. Dafür brauchen wir unbedingt eine feste Definition für Mineralöl und einheitliche Messmethoden."

Forderung einer Null-Toleranz-Grenze

Ob in Kleidung, Kunststoff-Spielzeug oder Kosmetik – wir, und dazu gehören auch schon Säuglinge, kommen tagtäglich mit Mineralölbestandteilen in Kontakt. "Mineralöl wird gerne verteufelt, dabei ist es per se nichts Schlechtes“, so der Lebensmittelchemiker. "Über die Nahrung sollte die Aufnahme von aromatischen Kohlenwasserstoffen aber so gut es geht minimiert werden." Da sind sich Wissenschaftler und Behörden einig. Daher arbeitet die Lebensmittelwirtschaft auch kontinuierlich daran, diese Einträge zu reduzieren. Eine Null-Toleranz-Grenze, wie sie von Verbraucherschützern häufig gefordert wird, werde es aber für "Mineralölkohlenwasserstoffe und ähnliche Substanzen auch aufgrund der umweltbedingten und folglich unvermeidbaren Grundbelastung kaum geben können", erläutert der Lebensmittelverband Deutschland. Vom heutigen Kenntnisstand sei dies aber auch nicht problematisch für die Gesundheit.

Die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) beschäftigt sich derzeit genauer mit den Laborergebnissen der angeblich verunreinigten Säuglingsmilch. Zudem werde laut Bundesernährungsministerium gerade ein nationaler Verordnungsentwurf erarbeitet. Er soll Unternehmen verpflichten, ihre Verpackungen so zu gestalten, dass Mineralölrückstände nicht in Lebensmittel übergehen können. Ein Schritt in die richtige Richtung, findet auch Dr. Gude: "Solche von 'Foodwatch' veröffentlichten Schlagzeilen sind natürlich ein Stück weit Panikmache, die in diesem Fall leider zur Verunsicherung der Eltern führen. Auf der anderen Seite vergegenwärtigen sie uns aber auch, dass Handlungsbedarf besteht. Insbesondere im Bereich einer einheitlichen Definition, da viele Mineralöl-basierten Produkte im Lebensmittelrecht zugelassen sind, aber auch im Bereich der Nachweismöglichkeiten. Hier sind noch bessere Methoden gefordert, deren Entwicklung aber noch etwas mehr Zeit benötigt."

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