Alkohol trotz Aufsichtspflicht

Ist es okay, vor Kindern Alkohol zu trinken?

Bier beim Abendbrot, Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt oder ein Prosecco zum Anstoßen – ist das in Ordnung, wenn die Kinder dabei sind? Wir haben Mütter und Väter gefragt, wie sie die Kombination aus Alkohol und Aufsichtspflicht handhaben.

Bei der Debatte um Alkohol und Aufsicht teilen sich die Meinungen.© Foto: Getty Images
Bei der Debatte um Alkohol und Aufsicht teilen sich die Meinungen.

Bei der Debatte um Alkoholkunsum vor den Kindern lassen sich klare Pro- und Contra-Stimmen unter den Eltern ausmachen. Diese Meinungen sehen wir uns an und prüfen, was der Experte dazu sagt.

JA, Alkoholkonsum vor Kindern ist in Ordnung

"Kinder müssen den Umgang mit Alkohol von uns lernen."

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Alkohol auf Playdates? Bin ich definitiv dafür! Eltern haben eine Vorbildfunktion – und dazu gehört auch der "gesunde", verantwortungsbewusste Konsum von Alkohol. Das finde ich nicht nur absolut vertretbar, sondern sogar wichtig! Natürlich geht es dabei nicht darum, sich am Spielplatz volllaufen zu lassen. Aber Kinder können definitiv lernen, dass es okay und durchaus normal ist, mal ein Glas Wein zu trinken. Und zu ganz besonderen Anlässen ist auch ein Glas Sekt zum Frühstück vollkommen in Ordnung! Das alles muss natürlich im vernünftigen Rahmen und in sicherer Umgebung stattfinden, sodass man die Aufsichtspflichten dabei nie verletzt. Aber wie sollen Kinder irgendwann einmal selbst den vernünftigen Konsum von Alkohol lernen, ohne dass sie direkt mit einer Vergiftung im Krankenhaus landen, wenn man es ihnen nicht richtig vorlebt?

(Svenja (35) Online-Community-Managerin aus Wien, eine Tochter (4) und ein Sohn (8))

"Wir erleben Alkoholkonsum nur zivilisiert."

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Unsere Tochter nennt ihre Flasche mit Apfelschorle ihr "Bier". Bier ist einfach der Name eines Getränks, mit dem sie sich zugehörig fühlt. Das hat in unserer Familie nichts mit Promille zu tun, sondern mit Geselligkeit. Unser Bier ist ohnehin alkoholfrei. Wir trinken beide schon seit einer Weile gar keinen Alkohol mehr. Das bedeutet aber keineswegs, dass wir das Trinken verteufeln – im Gegenteil. Wir erleben Alkoholkonsum nur zivilisiert. Ob das Grillfest, bei dem die Gäste eine Flasche Bier trinken, oder der Becher Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt – das sind ja Umstände, bei denen niemand auffällig wird. Natürlich soll kein Kind einen torkelnden oder lallenden Elternteil erleben müssen, soweit sollte sich jeder Vater und jede Mutter zurückhalten. Und wenn Kinder dabei sind, muss unserer Meinung nach eine Person immer nüchtern bleiben. Diese Einschränkungen sind gegeben? Dann spricht nichts gegen ein geselliges Genussglas, auch nicht beim Spieleabend mit Kids.

(Ulrike (38) wissenschaftliche Online-Tutorin und Thomas (42) Bürofachwirt aus Frechen, eine Tochter (2))

NEIN, Alkoholkonsum vor Kindern muss nicht sein

"Alkohol trinken wir erst, wenn die Kinder schlafen."

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Die Couch lädt ein und die Lieblingsserie wartet schon: Da darf es auch mal ein Glas Wein oder ein Bier für Mama und Papa sein. Das passiert bei uns aber erst, wenn die Kinder schlafen. Wir möchten, dass unsere Kinder verstehen, dass Alkoholkonsum nichts Alltägliches ist. Deshalb vermeiden wir es, so gut es geht, vor ihnen Alkohol zu trinken. In meinem Elternhaus war das Feierabendbier gang und gäbe und ich habe im Teenanger-Alter reichlich Diskussionen dazu mit meinem Vater geführt. Als Kind mochte ich es nicht, wenn auf Familienfeiern ausgiebig getrunken und geraucht wurde. Im Elternhaus meiner Frau hingegen ist Alkohol kein Thema. Es gibt an Weihnachten mal ein Glas Sekt, aber ansonsten konsumieren meine Schwiegereltern keinen Alkohol. Gemeinsam haben meine Frau und ich beschlossen, dass wir diesen Weg gehen wollen. Natürlich ist es trotzdem schon mal vorgekommen, dass wir etwas vor den Augen unserer Kinder trinken. Aber wir sprechen mit ihnen über das Thema, erklären es ihnen und versuchen es damit anders zu machen als meine Eltern.

(René (37) Mitarbeiter im Customer Service aus Wesel, eine Tochter (5) und ein Sohn (3))

"Ich zeige meiner Tochter: Es geht auch ohne Alkohol!"

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Meine Mutter hat sich von meinem Vater getrennt, als ich etwa ein Jahr alt war. Er hat mich nach der Trennung regelmäßig abgeholt und wir haben etwas unternommen. Schon in ganz jungen Jahren ist mir aufgefallen, dass er oft Bier trinkt. Ich habe gemerkt, dass er dann anders auf mich reagiert. Sein Lachen wurde anders, alles wurde langsamer, träger. Ich habe mich in seiner Anwesenheit nicht mehr richtig wohl gefühlt. Da fing ich an, vor Alkohol Angst zu bekommen. Ich selbst habe noch nie Alkohol getrunken. Meine Tochter wohnt bei Ihrer Mutter. Die Familie mütterlicherseits trinkt vor meinem Kind. Das werde ich nicht ändern können. Es hat auch damit zu tun, dass es in Deutschland völlig normal ist Alkohol zu trinken, egal zu welcher Tageszeit. Ein Kind sieht jeden Tag Menschen, die Alkohol trinken, oder trinkt selbst schon "Kindersekt". Mindestens einmal in der Woche unternehme ich etwas mit meiner Tochter. Dann freue ich mich, ihr zu zeigen: Man kann auch ohne Alkohol leben.

(Benjamin (38) Erzieher und Fachkraft für Integration aus Berlin, eine Tochter (9))

Wie sieht eigentlich die Rechtsprechung in Bezug auf Alkohol vor Kindern aus?

Beim Thema Alkohol vor Kindern gehen die elterlichen Meinungen auseinander. Was aber sagt die Rechtsprechung dazu? Ist es überhaupt erlaubt, etwas zu trinken, während die Kinder dabei sind? Wir haben einen Experten befragt.

Lisas Kinder sind drei und fünf Jahre alt. Auf dem Weihnachtsmarkt kauft Lisa zwei Fünfer-Karten fürs Karussell. Sie setzt die Geschwister in den Polizei Wagen mit der Sirene und sichert sich einen Platz mit Blick auf die beiden. Während die Kinder glücklich ihre Runden drehen, gönnt Lisa sich einen Glühwein. Was für ein entspannter Nachmittag, denkt sie – bis sie von zwei Müttern angesprochen wird: Was ihr einfallen würde, mit Kindern im Schlepptau Alkohol zu trinken, sie würde ihre Aufsichtspflicht verletzten. Lisa ist irritiert. Haben die Mütter Recht?

Es gibt keine starren gesetzlichen Promillegrenzen

"Promillegrenzen gibt es in Bezug auf die Betreuung der eigenen Kinder nicht", erklärt Rechtsanwalt Holger Klaus. "Die Menge und die Umstände machen den Unterschied: Die Kinder sind in diesem Fall sichtlich vergnügt auf einem Karussell, diese Situation ist relativ überschaubar. Was steht aber an, nachdem die Sause vorbei ist?", gibt der Experte zu bedenken: "Der weitere Besuch des vielleicht vollen Weihnachtsmarkts? Ein herausfordernder Heimweg? In diesen Fällen wäre mit erhöhten Anforderungen an die Aufsicht zu rechnen und Alkohol könnte hier den klaren Gedanken und der richtigen Risikoeinschätzung im Weg stehen."

"Aufsichtspausen" gibt es erst bei Kindern ab vier Jahren

Im Hinblick auf das Alter der Kinder in unserem Beispiel gilt es laut dem Rechtsanwalt zudem, die Rechtsprechung zu beachten. Die lautet: "Kleinkinder bedürfen ständiger Aufsicht, damit sie sich nicht Gefahren in ihrer Umgebung aussetzen, die sie aufgrund ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit noch nicht erkennen und beherrschen können. Diese Gefahren sind für sie allgegenwärtig; sie können schon aus Gegebenheiten erwachsen, die für jeden anderen gänzlich ungefährlich sind. (...) Daher gesteht die Rechtsprechung Kindern erst ab einem Alter von vier Jahren einen Freiraum zu, wobei allerdings eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Zeitabständen für erforderlich gehalten wird.*
Passen also weder Alkoholmenge noch die Umstände, kann das Trinken von Alkohol in Gegenwart der eigenen Kleinkinder durchaus eine Verletzung der Aufsichtspflicht darstellen", bringt Holger Klaus es auf den Punkt. Passiert dann ein Unglück, kann eine strafbare Körperverletzung durch Verletzung einer Obhutspflicht vorliegen.

*(BGH, Urteil vom 19. Januar 2021 – VI ZR 210/18 –).

Gelten zu Hause andere Regeln?

Grundsätzlich ist der Alkoholkonsum zu Hause vor Kindern erlaubt. "Die eigenen vier Wände sind üblicherweise sicherer und überschaubarer als öffentlicher Raum", so Holger Klaus. Dennoch gilt auch hier: Maß und Umstände müssen stimmen. Die ändern sich vor allem dann, wenn die Kinder Besuch zum Spielen haben, da bei fremden Kindern automatisch ein höheres Maß an Aufsicht geboten sein muss. Das gilt übrigens auch nachts, wenn die Kinder längst schlafen – und nicht nur bei Pyjama-Partys: "Gerade bei Kleinkindern kann sich jederzeit praktisch aus dem Nichts eine Situation entwickeln. Da damit stets zu rechnen ist, ist auch das eigene Verhalten entsprechend anzupassen", rät der Experte – für jeden Tag und jede Nacht.

Autorin: Silke Schröckert

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