
Das Baby im Bauch ist noch klitzeklein, der Traum von seinem künftigen Leben aber schon riesig groß. Unser Kind soll aufwachsen wie im Bilderbuch. Seine Eltern werden die glücklichsten Menschen der Welt sein, wenn sie an seiner Wiege im weichen Sonnenlicht stehen und den selig schlummernden Schatz betrachten. Wenn sie später zu dritt Hand in Hand durch den Garten laufen, das Kleine fröhlich zwischen Mama und Papa hüpft und die ganze Familie mit seinen niedlichen Späßen bei Laune hält. Es soll bald Geschwisterchen bekommen und in grenzenloser Harmonie aufwachsen. Frei von Konflikten, umsorgt von immer liebenden Eltern.
Ewige Harmonie? Das klappt mit Kindern nie!
Halt! Träume besser nicht solche Träume. Denn die halten nur so lange, bis das Baby da ist. Dann kehrt der Alltag ein – mit Geschrei, schlaflosen Nächten, Krankheiten, Streit in der Partnerschaft, Enttäuschung über das Scheitern am eigenen Anspruch. Jahrelang geht es dann weniger um die große Harmonie als einfach ums Durchstehen langer, anstrengender Tage und Nächte. Die allein wären gar nicht so schlimm; schließlich gibt’s ja zwischendurch auch immer wieder tolle Momente. Doch was viel mehr wehtut, ist der Schmerz über die verlorenen Illusionen. "Ich wollte doch eine rundum glückliche Familie haben und jetzt vergeht kaum eine Stunde ohne Frust. Was läuft bloß falsch?"
Familienregel: Konflikte lösen statt sie zu unterdrücken
Meistens gar nichts, trösten Experten. Denn eine Mecker-Mama ist besser fürs Familienglück als eine dauerlächelnde Mutter, die sich selbst aufgibt. Was tatsächlich falsch läuft, sind meist die Ansprüche. Wenn es Eltern gelingt, sich von den Friede-Freude-Eierkuchen-Träumen zu befreien, ist schon viel gewonnen. Denn eine glückliche Familie ist – zum Glück! – nicht das, was wir aus der Rama-Werbung kennen. Alle artig, alle immer fröhlich. Nein, niemand muss triefend vor Glück durchs Leben marschieren. Harmonie ist keine Pflicht. Konflikte müssen nicht abgeschafft, sondern gelöst werden. Familienglück ist Arbeit – und zwar eine, die sich lohnt. Denn trotz Gebrüll, Unzufriedenheit und Problemen kann ein Familienleben so gelingen, dass die Großen und die Kleinen sagen: Unsere Familie ist toll. Was kann man dafür tun? Erziehungsexperten fassen die Grundlagen für eine glückliche Familie auf wenige Eckdaten zusammen. Solange die stimmen, kann nicht mehr viel schief gehen.
8 Familienregeln für ein glückliches Miteinander
Regel Nummer 1: Wir sind füreinander da
Gleichgültig, was passiert. Es ist ein ganz tiefes menschliches Bedürfnis, von Anfang an die Zugehörigkeit zu anderen zu spüren. Die wichtigste Regel in einer guten Familie lautet daher: Wir verlassen uns aufeinander, unterstützen uns, vermitteln Geborgenheit und Sicherheit. Bei uns finden und bieten alle eine Schulter zum Anlehnen. Jeder darf einmal scheitern und danach wieder aufstehen. Neue Versuche machen und selbst dann nicht aufgeben, wenn das Ziel mehrmals verfehlt wurde. Auch nach Tagen mit Streit und Schwierigkeiten nehmen wir uns abends wieder in den Arm.
Regel Nummer 2: Gleiche Rechte für alle
Eine gute Familie zeichnet sich dadurch aus, dass jedes Mitglied seine eigenen Wünsche ausleben kann. Zum Beispiel beim Thema Krach oder Ruhe. Die Kinder brauchen Platz und Zeiten zum Spielen, Toben, Lautsein. Eltern möchten sich auch mal zurückziehen und in Ruhe gelassen werden. Alle haben verschiedene Bedürfnisse, die berücksichtigt werden müssen. Im Alltag gilt es deshalb immer wieder, Kompromisse zu finden. Eltern sollten ihre Macht und Überlegenheit nicht autoritär ausnutzen, den Kindern aber klare Grenzen aufweisen, wenn die ihnen auf der Nase herumtanzen.
Regel Nummer 3: So sein, wie man wirklich ist
Immer ein artiges Kind sein? Nie Widerworte geben oder mit den Geschwistern streiten? Ein fröhlicher Vater oder eine perfekte Mutter spielen? Den Kindern keinen Wunsch abschlagen, damit sie rund um die Uhr glücklich sind? Besser nicht. In guten Familien muss niemand eine Maske tragen und sich anders darstellen als er wirklich ist. Zu Hause darf man sich auch mal gehen lassen, seine Meinung offen sagen, sich schlecht benehmen, Schwäche zeigen, Hilfe fordern und mit der Gewissheit ins Bett gehen "Auch wenn ich nicht perfekt bin, werde ich geliebt". Trotzdem bleiben alle zusammen – nichts auf der Welt kann die Familie auseinanderbringen.
Regel Nummer 4: Optimistische Grundhaltung
Kein Problem ist zu groß, keine Hürde unüberwindbar – eine Lösung gibt es immer. Wenn Kinder diese Erfahrung früh machen und die Eltern das vorleben, wird die Familie zur Quelle der Stärke fürs Leben. Instinktiv machen die meisten Eltern das von Anfang an richtig, wenn sie zum Beispiel ihr brüllendes Baby auf den Arm nehmen und sanft schaukeln oder ihr kleines Kind trösten, wenn es weint. Wenn die Kinder größer werden, können sie sich allein wohltuende Bilder in Erinnerung rufen, die wiederum die Basis für eine optimistische Grundhaltung sind.
Regel Nummer 5: Familienrituale pflegen
Gute Familien haben feste Rituale, die so wichtig sind, dass alle Mitglieder darauf bestehen. Das abendliche Vorlesen, ein Gute-Nacht-Lied vorm Einschlafen, zusammen Essen – Familien, die solche Gewohnheiten halbwegs regelmäßig pflegen, haben es besser. Rituale machen den Alltag vorhersehbar, vermitteln Kindern Sicherheit und das Gefühl von Geborgenheit. Wenn Familienregeln aufgestellt werden und diese zu gewohnten Abläufen werden, wird das tägliche Miteinander leichter. Ganz einfach, weil nicht mehr diskutiert werden muss, ob Zähneputzen, Aufräumen, Anziehen oder Essen tatsächlich sein müssen.
Regel Nummer 6: Miteinander reden können
In unglücklichen Familien lebt man zwar unter einem Dach, jedoch eher nebeneinander als miteinander. Jeder macht sein Ding, und wehe ein anderer stört dabei. Gute Familien hingegen pflegen eine Gesprächskultur. Man interessiert sich füreinander, fragt genau nach der Meinung der anderen, achtet darauf, dass alle zu Wort kommen. Die Kommunikation sollte sich nicht auf ein flüchtiges "Wie geht’s?" – "Danke gut" beschränken. Lasse deine Kinder aus dem Alltag im Kindergarten, in der Schule oder unter Freunden erzählen, frage nach ihren Gefühlen. Wer gelernt hat, über die eigenen Emotionen zu sprechen, kommt später besser mit anderen zurecht.
Regel Nummer 7: Eltern sind auch nur Menschen
Auf der einen Seite stehen die Großen – mächtig, unantastbar und willkürlich entscheidend, was gut und was schlecht ist? Auf der anderen die Kleinen, die gehorchen müssen und möglichst wenig stören dürfen? Ein solches Familienbild ist nicht mehr zeitgemäß. Familienregeln aufstellen ist nicht nur Sache der Eltern! In glücklichen Familien behandeln Mütter und Väter ihre Kinder nicht von oben herab. Sie sind bereit, Entscheidungen zu revidieren, zeigen sich flexibel, hören sich neue Argumente und gestehen auch mal eigene Fehler ein. Wenn Kinder lernen, dass das geht, zeigen sie sich selbst auch nach bockigen Phasen schneller kompromissbereit.
Regel Nummer 8: Kinder brauchen Freiheiten
Moderne Eltern neigen häufig zur Überfürsorge und stellen zu viele Regeln auf. Sie möchten ihren Kindern am liebsten alle Hürden aus dem Weg räumen, damit die Kleinen es gut haben. Doch das schadet mehr als es nützt. Kinder haben einen ganz natürlichen Freiheitsdrang. "Ich kann das alleine" lautet ein typischer Satz, der genau das ausdrückt. Fördern allein reicht nicht. Eltern müssen auch loslassen können, damit die Kinder die Welt entdecken. Die Familie ist dabei der sichere Hafen, in den man immer wieder zurückkehren kann.
Autorin: Stephanie Albert