Mütter am Limit

Burnout-Expertin: "Kinder werden zum Projekt, das gelingen soll"

Mutterschaft fühlt sich oft an wie ein Struggle zwischen Job und Care-Arbeit. Warum die Anforderungen an Mütter einfach unrealistisch sind und was sich wirklich ändern muss.

Gestresste Mutter mit zwei Kleinkindern zu Hause.© iStock/Halfpoint
Mütter am Limit: Zwischen Job, Haushalt und Erziehung bleibt die psychische Gesundheit vieler Frauen auf der Strecke.

Mamas können einfach alles. Vormittags im Job performen, nachmittags gut gelaunt Fensterbilder basteln, Waffeln backen (zuckerfrei natürlich), trösten, fördern, bedürfnisorientiert erziehen und dem Ehemann nachsichtig lächelnd die Wäsche hinterherräumen. Na, schon wütend? Das unerreichbare Ideal der Superpower-Multitasking-Mom geht längst vielen Frauen gegen den Strich. Doch woher kommt das Vereinbarkeits-Märchen, dem zufolge Frauen einfach alles mit Leichtigkeit meistern?

Helen Heinemann, Expertin für Work-Life-Balance und Burnout-Prävention, will mit dieser rosaroten Vorstellung von Mutterschaft aufräumen. Die Autorin ("Zu erschöpft, um wütend zu sein") setzt sich für ein realistische Darstellung dessen ein, was es bedeutet, Mutter zu sein.

"Den Müttern geht es heutzutage oftmals seelisch und materiell schlechter als zu der Zeit, als ich mir meine vier Kinder gewünscht und bekommen habe", schreibt sie ihrem Buch. Und das, obwohl damals in den 70ern die Zeichen günstig standen für gesellschaftlichen Wandel. Was ist also seither schiefgelaufen? 

Dass in den letzten 50 Jahren für Mütter nichts besser geworden ist, hänge mit dem Arbeitsmarkt zusammen. "In den 50er und 60er-Jahren brauchte man Frauen dort nicht. Die Arbeitsplätze sollten den Männern zur Verfügung stehen. Deshalb war die Bedeutung der mütterlichen Fürsorge ein zentrales Thema in allen Medien", erklärt Helen Heinemann.

Der Druck auf Mütter wächst

Auch wenn viele Frauen seit den 70er-Jahren nach höheren Bildungsabschlüssen und besseren Jobs strebten, blieb eine tiefgreifende Veränderung der klassischen Rollenverteilung aus. "Das Bild der guten Mutter war noch so dominant, dass sich die meisten Frauen mit Kindern mit Teilzeitstellen und wenig Karriere begnügten."

Doch die Arbeitswelt änderte sich, für Frauen eröffneten sich neue Chancen – aber auch Herausforderungen. "Anfang des neuen Jahrtausends brauchte der Markt aber nun zunehmend auch die gut ausgebildeten Frauen. Deshalb kam es 2008 zu einer Gesetzesänderung, die die Frauen zu ihrer finanziellen Absicherung zwang in Vollzeit berufstätig zu sein. Anders als im Osten wurde aber keine ausreichende Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt, und auch die Väter der Kinder sahen sich nicht in der Verantwortung", erklärt Helen Heinemann. "Seitdem haben die Frauen einen unglaublichen Spagat zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit zu leisten. Gleichzeitig sind sie immer noch für alles verantwortlich was das gesellschaftlich erwünschte Verhalten von Heranwachsenden anbelangt."

Inzwischen sind wir in Sachen Gleichberechtigung – zumindest auf dem Papier – einen großen Schritt weiter. Väter haben Anspruch auf Elternzeit, auf Teilzeitstellen, es gibt mehr Kitaplätze. Doch wer hinter die Fassade schaut, sieht wie groß der Druck, der auf Müttern lastet, wirklich ist. "Die Mütter gehen auf dem Zahnfleisch und versuchen gleichzeitig, es sich nicht anmerken zu lassen", so Helen Heinemann. "Erholungszeiten gibt es kaum, und wenn, dann spüren sie, wie ihre Fähigkeit, sich zu erholen, zunehmend nachgelassen hat. Die alte Spannkraft lässt sich nicht so einfach wiederherstellen.“

Höhere Ansprüche an die Erziehung

Dahinter stecken oft auch die hohen Erwartungen, die – auch von außen – an Mütter herangetragen werden. Das Bewusstsein für die Bedürfnisse von Kindern hat sich in den letzten Jahren stark verändert – was zwar grundsätzlich positiv ist, die Anforderungen an die Mütter aber noch weiter erhöht. "Der Anspruch an das Wohl der Kinder, die Intensivierung von Elternschaft und damit die Performance der Mutter ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. Dazu kommt: Die heutigen Kleinfamilien leben oftmals sehr isoliert und fühlen sich gezwungen, ihre Probleme im Privaten zu lösen."

Eltern haben hohe Ansprüche, alles perfekt machen zu wollen. "Die meisten Kinder sind gewünscht und oftmals gibt es nur ein oder zwei 'Goldstücke', so Helen Heinemann. "Dagegen sind bei einer Schar von Kindern kleine Eigenheiten von einzelnen leichter zu akzeptieren."

Außerdem geben gerade Frauen für ihre Kinder vieles andere auf. "Da soll sich der Einsatz lohnen. So werden Kinder zum Projekt, das gelingen soll."

Gleichberechtigung einfordern

Erschwerend kommt hinzu, dass in vielen Partnerschaften wahre Gleichberechtigung noch immer nicht gelebt wird. "Viele Männer sehen immer noch die materielle Sicherstellung der Familie als ihre erste Aufgabe an. Die wollen sie nicht gefährden", erklärt Helen Heinemann. 

Schon in der Schwangerschaft beginnt oftmals das Auseinanderdriften – wenn die werdenden Väter nicht mit zum Ultraschall dürfen oder von der Hebamme kaum beachtet werden. "Männer sind frühzeitig auf einer anderen Schiene und fühlen sich nicht gleichberechtigt in der Bedeutung." 

Dabei sehnen sich viele Väter nach mehr Zeit mit ihrer Familie. "Viele Männer sind zum Teil sehr unglücklich, dass sie nicht so engen Kontakt zu ihren Kindern haben. Viele bereuen, dass sie nicht mehr Zeit mit ihren Kindern verbracht haben", weiß Helen Heinemann durch ihre Arbeit. 

Es geht darum, gegenüber der höheren Ebene die eigene Position zu vertreten – und beim Chef für seine Forderung nach besserer Work-Life-Balance einzustehen. "Es gibt immer mehr Männer, die mehr Care-Arbeit übernehmen wollen und nicht wissen, wie sie das hinkriegen."

Ausweg aus der Überforderung

Um mehr Leichtigkeit in den Alltag zu bekommen, ist es wichtig, dass Eltern die unrealistischen Erwartungen an sich selbst herunterschrauben. "Gute Eltern müssen nicht perfekt sein", so Helen Heinemann.

Und auch materielle Dinge sind für Kinder meist viel nebensächlicher als die Eltern denken. "Den Kindern soll es möglichst an nichts mangeln – Geld spielt also eine große Rolle in vielen Familien." Dadurch steigt der Druck, im Job erfolgreich zu sein, nur noch mehr.

"Bei der Frage 'Geld oder Leben?' sollte das gemeinsame Leben führen und weniger die materielle Außendarstellung", erklärt sie.

Unsere Expertin: Helen Heinemann

Helen Heinemann ist Pädagogin mit einer psychotherapeutischen Ausbildung, mehrfache Mutter und Großmutter und seit mehr als 40 Jahren in der Gesundheitsförderung tätig. 2005 gründete sie das Institut für Burnout-Prävention in Hamburg. Sie ist Buchautorin und Expertin zum Thema Stress, Erschöpfung und Burnout.