Verbotene Gefühle

Neidisch aufs eigene Kind: Das verbotene Eltern-Gefühl

Eltern dürfen nicht neidisch auf ihr Kind sein. Das ist tabu. Nur leider kommen Neid und Eifersucht auch in Eltern-Kind-Beziehungen vor. Vorschläge zum Umgang mit dem verbotenen Gefühl. 

Neugeborener Junge auf dem Arm seiner Mama© iStock/ReMa
Neid kann die Eltern-Kind-Beziehung belasten.

Wütend, ja. Genervt, gereizt, überfordert: auf jeden Fall. Eltern sind inzwischen bereit, eine Menge negativer Gefühle in Bezug auf ihre Kinder zuzugeben. All das ist gesellschaftsfähig. Nur eines nicht: Neid aufs eigene Kind zu empfinden.

Das wäre ja auch albern. Und kindisch. Schließlich sind es doch wir Eltern, die alles für das Wohl unserer Kinder tun, die ihnen alles in unserer Macht stehende ermöglichen und ihnen von Herzen nur das Allerbeste wünschen. Die völlig selbstlos zurückstehen, wenn wir dafür nur unsere Kinder glücklich wissen. 

Und genau da setzt es an. Da meldet sich hin und wieder dieses leise Stimmchen, quasi das eigene innere Kind, das fragt: Warum hat es mein eigenes Kind eigentlich so viel besser als ich? 

Die meisten sind mal neidisch

Es sind Gedanken, über die die wenigsten zu sprechen bereit sind. Wer Neid zugibt, offenbart damit auch immer die eigenen Unzulänglichkeiten. Minderwertigkeitsgefühle, Frust, Verbitterung. Es ist ein Hinweis darauf, dass wir mit uns selbst nicht im Reinen sind. Doch nur weil niemand darüber redet, heißt es nicht, dass das Gefühl nicht existiert – und mehr noch: dass es nicht weit verbreitet ist.

Familienberaterin Christina Eberitsch sagt: "Ich glaube, dass alle Eltern immer mal wieder neidisch auf ihre Kinder sind." Viele jedoch, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. "Sowohl in meiner Praxis als auch im täglichen Umfeld gibt es immer wieder Aussagen, dass die Kinder so viel bekommen und trotzdem noch meckern. Diese Aussage zeigt ja: Ich finde, mein Kind bekommt so viel, dass es glücklich sein sollte. Ich als Kind hätte gerne so viel gehabt. Das ist Neid."

Neid: Ein unangenehmer, aber wichtiger Wegweiser

Auch wenn Neid als negatives Gefühl verrufen ist, ist es doch immer auch ein Navigator, der Wichtiges über das eigene Leben und die eigenen Gefühle mitzuteilen hat. "Neid per se ist nichts Schlechtes", stellt die Expertin klar. 

Verbunden mit dem Neid sind oftmals auch Selbstaufgabetendenzen, die dazu führen, dass sich viele Eltern über ihre eigenen Belastungsgrenzen hinaus für das Kind aufopfern. 

"Wenn ich meinem Kind mehr gebe, als ich eigentlich gewillt bin, nur weil ich denke, man macht das heute so. Wenn ich meinem Kind jeden Morgen das Brot als Herz aussteche, nur weil viele das auf Social Media so zeigen, dann kann ich schon mal neidisch werden, denn für mich hat das damals wahrscheinlich keiner gemacht. Oder wenn ich mein Kind abends zwei Stunden in den Schlaf begleite, obwohl ich selbst nicht mehr kann, dann kann ich schon mal neidisch werden, dass mein Kind so viel Aufmerksamkeit bekommt", erklärt sie.

Selbstfürsorge ist damit der erste Schritt, um Neid entgegenzuwirken. Wer auch auf die eigenen Bedürfnisse achtet, ist auch in der Lage, die seiner Kinder zu erfüllen – ohne Neid und Bitterkeit.

Die verschiedenen Gesichter des Neids

Neid ist oftmals ein Gefühl voller Widersprüche, das Eltern vor eine Zerreißprobe stellen kann. Denn natürlich gönnen wir unseren Kindern von Herzen das Allerbeste – und verspüren dennoch ein Gefühl von Ungerechtigkeit.

Neid lässt sich in drei Arten unterteilen: den destruktiven, den konstruktiven und den selbstzerstörerischen Neid. Ersterer kommt als Missgunst, Schadenfreude oder gar Feindseligkeit daher. Der konstruktive Neid hingegen ist geprägt von Anerkennung, Wertschätzung und Wohlwollen. Er kann uns motivieren, das gleiche zu erreichen. Die dritte Form, der selbstzerstörerische Neid, ruft Gefühle wie Traurigkeit, Enttäuschung oder Wut hervor. Die Art von Neid, die Eltern ihrem Kind gegenüber empfinden, ist oftmals ambivalent. Sie können zugleich stolz auf ihr Kind sein oder es für bestimmte Eigenschaften bewundern und auf der anderen Seite Groll empfinden, weil sie selbst das Gefühl haben, für ihr Kind ständig zurückstecken zu müssen.

"Neid kann den Stress, den Eltern sowieso schon haben, noch verstärken", erklärt die Familienberaterin. "Sie wollen ihr Kind liebevoll erziehen, ihm ein gutes Leben ermöglichen. Und wenn sie dann merken, dass sie neidisch sind und ihrem Kind manches nicht gönnen, dann zerrt das am Nervenkostüm und kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass sie eher laut werden, Strafen aussprechen oder Ähnliches. Dann bekommt das Kind einen Stress ab, den es gar nicht verursacht hat."

Wann Neid zum Problem wird

Wenn vor allem die folgenden zwei Gedanken immer wiederkehren, ist es für Eltern sinnvoll, genau in sich hineinzuhorchen: 

  • "Das gab es bei uns früher nicht, mein Kind sollte dankbarer sein."
  • "Das haben meine Eltern nicht für mich gemacht."

Wichtig ist, den Neid nicht zu verdrängen, sondern anzuschauen und offen darüber zu sprechen, denn oftmals drückt er die eigenen Sehnsüchte oder ein Gefühl des Mangels aus. Manchmal hilft es bereits, sich dessen bewusst zu werden. 

"Meist ist der Neid ein flüchtiger Gedanke", so Christina Eberitsch. Aber er kann sich ansammeln. Und wie alle aufgestauten Gefühle entlädt sich auch Neid irgendwann mit Wucht. "Wenn ich immer mal wieder diesen Gedanken habe, dann halte ich das vielleicht fünfmal aus und beim sechsten Mal motze ich mein Kind an, warum es nicht mal dankbarer sein kann."

Die eigenen Bedürfnisse wiederentdecken

Ein sinnvoller erster Schritt ist, mit dem Partner oder einer anderen erwachsenen, vertrauten Person über das Gefühl zu sprechen. Oftmals verstärkt das Gefühl mangelnder Wertschätzung den Neid aufs eigene Kind. "Manchmal reicht es aus, wenn der Partner, die Partnerin dann sagt: 'Danke, dass du das für unsere Kinder tust. Ich weiß das zu schätzen.' Denn von Kindern können wir keine Dankbarkeit verlangen. Wir können es vorleben, aber nicht verlangen."

Ziel dabei ist nicht, Neid komplett zu verbannen. "Wenn ich es als Elternteil schaffe, diesen Neid wahrzunehmen und ihn als Erinnerung zu nutzen, dann ist Neid sehr hilfreich. Neid erinnert uns daran, wieder etwas für uns selbst zu tun, vielleicht etwas nicht mehr zu tun oder auch uns das Leben leichter zu machen. Jedes Gefühl ist ein Hinweis, ein Reminder und hat seine Daseinsberechtigung. Ich brauche nur den richtigen Adressaten. Und der ist im Fall von Neid nicht das Kind, sondern ich selbst."

Neid vermeiden durch klare Grenzen

Selbstbestimmtheit ist das Stichwort. Wenn Eltern sich von dem Irrglauben freimachen, nur genug geben zu müssen, um von ihrem Kind Dankbarkeit und Liebe zu erfahren, ist das der beste Ansatz, um Neid gar nicht entstehen zu lassen. "Wenn ich also bis zwei Uhr nachts eine Geburtstagstorte backe, um dem Kind ein Strahlen ins Gesicht zu zaubern, dann kann das ganz schnell schief gehen. Vielleicht weil es das Kind doch nicht so toll findet. Wenn ich aber beschließe: 'Ich habe da richtig Freude dran, das für mein Kind zu tun', dann kann ich es besser aushalten, wenn mein Kind nicht nur Freude zeigt."

Wichtig ist auch, die eigenen Grenzen zu kennen und zu wahren. Das bedeutet: Erschöpfung und Überlastung rechtzeitig benennen und gegensteuern. "Das heißt, ich spreche darüber, dass es ein anstrengender Tag war oder dass ich das laute Spielen der Kinder gerade nicht aushalten kann. Wenn ich das kommuniziere, solange ich noch ruhig bin, besteht die Möglichkeit, eigene Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen, bevor man neidisch wird."

Es gilt: Wer die eigene Scham überwindet und offen über seine Gefühle spricht, wird auf überraschend viel Verständnis stoßen. "Oft denken Eltern, sie seien die Einzigen die so fühlen. Doch das stimmt nicht", so Christina Eberitsch. Der Weg aus der Neid-Falle kann in vielen Fällen ganz einfach sein. "Meist reicht es schon, mit anderen Erwachsenen darüber in Austausch zu gehen." Denn das beste Gegenmittel gegen Neid ist: sich gesehen und ernst genommen zu fühlen. 

Unsere Expertin: Christina Eberitsch
Christina Eberitsch

Christina Eberitsch ist Familienberaterin und vierfache Mutter. Sie berät Eltern, Paare und Familien in herausfordernden Situationen und ist Expertin für Erziehungsfragen, Partnerschaftskonflikte und Überforderung. 

Mehr unter www.christina-eberitsch.de