
"Liebe Eltern, bitte benutzen Sie beim Abholen Ihr Handy nicht. Ihr Kind freut sich über Ihre Aufmerksamkeit", mahnt ein gut sichtbares Hinweisschild im Eingangsbereich unserer Kita.
Jedes Mal, wenn ich das Schild betrachte, frage ich mich, wer denn bitte schön auf so eine Grundsätzlichkeit noch hingewiesen werden muss. Versteht sich doch von selbst, dass ich nicht noch nebenbei eine Mail tippe, während ich gemeinsam mit meinem Sohnes seine Siebensachen zusammensuche und dabei seinem Tagesbericht lausche. Und dann fällt mir ein: Verdammt, habe ich nicht heute Morgen am Frühstückstisch noch selbst schnell meine Nachrichten gecheckt?
Wie sich Phubbing auf Kinder auswirkt
Das Phänomen, dem Smartphone mehr Aufmerksamkeit zu schenken als seinem Gegenüber, ist so häufig, dass es schon einen eigenen Namen hat: Phubbing – ein Kofferwort auf den englischen Begriffen "Phone" und "Snubbing" (jemanden brüskieren). Und ganz ehrlich: Wer sich davon gänzlich freisprechen kann, werfe das erste Handy ...
Der Begriff Phubbing wurde ursprünglich in Bezug auf Paarbeziehungen verwendet, um ein ganz spezielles Verhalten zu beschreiben. Wer andere phubbt, schaut während eines Gesprächs oder einer gemeinsamen Aktivität auf sein Handy statt seinem Gegenüber in die Augen. Für die gephubbte Person ist das unangenehm bis verletzend – das gilt für Erwachsene wie für Kinder.
"Wenn Eltern das Smartphone nutzen, haben Kinder oft das Gefühl, zur Nebenrolle zu werden", erklärt Kirsten Langer, Medienpädagogin der Initiative "Schau hin!". Das kann so weit gehen, dass sie regelrecht um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern buhlen. "Kinder möchten gesehen werden, möchten berichten und im Austausch sein", weiß die Expertin. In vielen Familien gelte zudem die Regel, dass die Kinder nicht stören dürfen, wenn die Eltern am Smartphone sind. "Kinder können sich dadurch bestraft fühlen. Sie vermissen etwas im Zusammensein mit den Eltern."
Manchmal entsteht ein regelrechter Teufelskreis: Je abgelenkter die Eltern sind, desto lautstarker machen manche Kinder auf sich aufmerksam – und umso genervter sind dann wiederum die Eltern.
Kinder einbinden statt ausschließen
Wenn Kinder immer wieder das Gefühl haben, die zweite Geige zu spielen, kann das auch auf lange Sicht Auswirkungen haben. "Kinder können sich unwichtig vorkommen, und das kann sich auf das Selbstwertgefühl auswirken", so Kristin Langer.
Klar, auch ohne Smartphone ist es schlicht nicht möglich, dass Kinder immer die volle Aufmerksamkeit ihrer Eltern für sich beanspruchen – schließlich gibt es auch im Haushalt Dinge zu erledigen, die einfach gemacht werden müssen. Dennoch besteht ein großer Unterschied, ob Eltern mit dem Abwasch oder mit dem Handy beschäftigt sind. "Für Kinder ist es nachvollziehbarer, dass Handgriffe in Haus, Hof und Garten getätigt werden müssen. Ich kann mein Kind beteiligen und einbeziehen. Das machen Kinder gern und wachsen dadurch." Mit dem Smartphone ist das deutlich schwieriger: Kinder verstehen meist nicht, was die Eltern da machen. "Es ist zu abstrakt."
Feste Smartphone-Regeln geben Orientierung
Etwas anderes ist es, wenn Eltern ihre Kinder in die Smartphone-Nutzung einbinden. "Wenn ich gemeinsam mit meinem Kind aufs Handy gucke, wird es für das Kind nachvollziehbarer. Ansonsten entsteht ein geschlossener Raum, in den Kinder keinen Einblick haben." Drastischer formuliert:
Sie fühlen sich als Störfaktor, weil sie von der Erlebniswelt der Eltern ausgeschlossen sind.
Ohne Smartphone geht in unserem digitalisierten Alltag heutzutage quasi nichts mehr. Umso wichtiger ist es, ein gesundes Maß für die Medienzeit zu finden. Wie das gelingt? "Indem ich nur wenige Situationen schaffe, in denen ich mehrere Sachen gleichzeitig mache." Klar: Wer ständig nebenbei noch aufs Handy guckt, konzentriert sich am Ende auf nichts richtig.
Haben Eltern jedoch etwas Dringendes am Smartphone zu erledigen, dürfen Kinder genau das auch erfahren: "Wenn das Kind zu mir kommt, kann ich ihm sagen: 'Moment noch, ich schreibe noch diese E-Mail fertig, danach bin ich bei dir', und ich muss das Handy nicht verschämt verstecken." Sie empfiehlt: "Klare Situationen schaffen – damit können Kinder am besten umgehen." Entscheidend sei jedoch, dann auch wirklich für das Kind da zu sein und nicht direkt das nächste Telefonat anzunehmen.
Exzessive Smartphone-Nutzung tut auch den Eltern in Wirklichkeit meist nicht gut. "Wir sollten uns fragen: Wie viel Zeit verbringe ich mit welchen Apps? Bin ich damit zufrieden oder möchte ich etwas verändern? Viele Eltern fühlen sich von ihrem Alltag überfordert und haben das Gefühl, sie hätten gar keine Zeit für sich." Ist das der Fall, kann es helfen, das eigene Medienverhalten zu hinterfragen. "In Social-Media-Kanälen gibt es Mechanismen, die mir sagen: Du musst wiederkommen, du verpasst was. Dadurch entsteht Gefühl, das alles gar nicht schaffen zu können." Hier gilt es, genau überlegen: Macht mich die Smartphone-Zeit wirklich rundum glücklich oder schränkt sie mich ein?
Mit gutem Vorbild vorangehen
Klare Regeln können sowohl Eltern und als auch Kindern helfen, ausufernder Mediennutzung vorzubeugen. "Das Smartphone sollte nicht ständig unsere Handlungen beeinflussen. In sozialen Situationen wie beim gemeinsamen Essen, Spielen, Ins-Bett-Bringen oder Abholen hat das Handy nichts zu suchen."
Und wie lässt sich der Phubbing-Falle in anderen Alltagsmomenten aus dem Weg gehen? "Indem Eltern vorleben, dass das Smartphone nicht ihr Ein und Alles ist und es ihnen gelingt, das Gerät zur Seite zu legen. Diese Haltung hinterlässt Spuren. Wenn Kindern niemand vorlebt, zu verzichten, dann können sie später darauf nicht als Muster zurückgreifen. Vorbild ist wichtig", so die Medienpädagogin.
Ihr Plädoyer: "Liebe Eltern, seid aufmerksam. Euer Kind braucht euch."