
Sie sind bunt, sie sind fröhlich und wir alle können ihre Jingles mitsingen – doch bald soll es sie (fast) nicht mehr geben. Was gemeint ist? Na, klar: Werbung für Snacks und Süßigkeiten! Wenn es nach dem Gesetzesentwurf von Cem Özdemir geht, verschwinden die längste Praline der Welt, die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt und die Fruchtgummis, die alle Kinder froh machen, bald weitgehend aus dem TV-Programm.
Die Idee dahinter klingt erstmal gut und logisch. "Kinder sind das Wertvollste, was wir haben – sie zu schützen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und auch die Verantwortung des Staates. Neben ausreichend Bewegung und entsprechenden Angeboten braucht es eine möglichst gesunde Ernährungsumgebung, dafür sind klare Regeln unumgänglich", so der Bundesminister.
Und weiter: "Werbetreibende können auch weiterhin gegenüber Kindern für Lebensmittel werben, die keinen zu hohen Gehalt an Zucker, Fett oder Salz haben. Und genau dahin sollte der Trend gehen: weniger ist mehr! Wir setzen auf die Bereitschaft der Lebensmittelwirtschaft, Rezepturen zu verbessern."
Was ändert ein Werbeverbot?
Doch wird ein Werbeverbot wirklich etwas an der Ernährung unserer Kinder ändern?
"Leben & erziehen" hat bei Haribo nachgefragt: "Bewegung und eine ausgewogene Ernährung sind die wirksamsten Mittel, um Übergewicht zu verhindern. Studien zeigen, dass mit ausreichender Bewegung und regelmäßigen, gesunden Mahlzeiten das Risiko von Übergewicht deutlich sinkt. Deshalb sind Werbeverbote auch keine Lösungen, sondern verdecken nur den Blick auf das eigentliche Problem", so ein Sprecher des Unternehmens.
Sein Vorschlag: "Darüber hinaus ist auch die Ernährungskompetenz ein wichtiger Faktor. Denn Kinder sollten den richtigen Umgang mit Süßigkeiten lernen. Deshalb ist es ratsam, lieber auf kleine Portionen zu setzen als Süßes komplett zu verbieten. Im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung ist auch Platz für etwas Süßes - natürlich in Maßen genossen."
Eine rigide Einteilung in "gute" und "schlechte" Lebensmittel werde unserer Lebenswirklichkeit und dem Problem nicht gerecht, heißt es weiter. "Es sind sich alle Experten einig, dass wir eine ganzheitliche Strategie benötigen, die eine gute Ernährung, Bewegung und Sport für alle Menschen in Deutschland möglich und einfach erreichbar macht."
Reicht ein Werbeverbot allein nicht aus?
Prof. Dr. Lotte Rose, Essens- und Körperforscherin an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), geht das Werbeverbot indes nicht weit genug. Sie bezeichnet die Pläne des Ministeriums als einen mutigen Schritt, dem weitere folgen müssten. Nicht die Werbung allein sei das Problem, sondern die Lebensmittelindustrie.
"Ob die Kinderernährung gesünder wird, wenn Kinder weniger der Werbung für ungesunde Nahrungsprodukte ausgesetzt sind, darf bezweifelt werden. Denn es gibt sie ja weiter, all die schädlichen Nahrungsprodukte. Sie stehen in den Regalen der Läden, sie stehen im Schulkiosk und den Vorratsschränken der Familien und Großeltern. Sie 'winken' aufdringlich mit ihren faszinierenden Verpackungen, und sie schmecken einfach unwiderstehlich gut", so Rose.
Daher sind die angekündigten Werbebeschränkungen allein ein zahnloser Tiger. Sie sorgen für weniger Verführungen, aber nicht dafür, dass die schädlichen Nahrungsprodukte aus den Kinderwelten verschwinden.
Die Debatte um gesunde Ernährung sollte sich laut Rose nicht beschränken auf Menschen unter 14 Jahren. "Warum sollen die schädlichen Nahrungsprodukte nur für Kinder so schädlich sein? Warum kapriziert sich das Werbeverbot so sehr auf Kinder, wo doch Erwachsene bekanntlich kaum anders essen als Kinder? Glauben wir tatsächlich, dass diese Nahrungsprodukte Erwachsenen nichts anhaben können?"
Sie hofft, dass das Werbeverbot nur der Anfang einer größeren Veränderung ist. "Vielleicht ist es der Beginn von Mehr – einem tatkräftigen Mehr an Auflagen für die Agrar- und Lebensmittelindustrie – zum Schutz der Kinder, Erwachsenen und letztlich auch zum Schutz des Planeten."
Wann und in welcher Form das Werbeverbot wirklich in Kraft tritt, ist derzeit noch nicht beschlossen. Noch ist der Gesetzesentwurf in Arbeit.
In anderen europäischen Ländern wie Spanien gibt es allerdings bereits seit längerem eine vergleichbare Werbeeinschränkung.
So sieht das geplante Werbeverbot aus
Verboten werden soll Werbung, die ...
... nach Art, Inhalt oder Gestaltung an Kinder adressiert ist
... Kinder aufgrund des Werbeumfeldes werblich beeinflusst (zum Beispiel im Umfeld von Kinder- und Familiensendungen, in sozialen Medien oder im Umkreis von Schulen).
Dazu zählt:
- Werbung in allen für Kinder relevanten Medien (darunter auch Influencermarketing)
- Außenwerbung
- Werbung, die zwischen 6 und 23 Uhr gesendet wird
- Werbung für Lebensmittel, die die Höchstwerte für den Gehalt an Gesamtfett, gesättigten Fettsäuren, Gesamtzucker, zugesetztem Zucker, Süßungsmitteln, Salz und/oder Energie pro 100 Gramm Lebensmittel überschreiten