Große Gefühle

Wie Eltern am besten reagieren, wenn Kinder beleidigend werden

Wenn mit Kindern die Gefühle durchgehen, vergreifen sie sich nicht selten ordentlich im Ton. Was dahintersteckt und wie Eltern am besten mit Beleidigungen und Beschimpfungen umgehen.

Kleines Mädchen zeigt den Mittelfinger.© iStock/stineschmidt

"Du Kackmann!" schallt es durchs Viertel. Ein Blick aus dem Fenster bestätigt: Der Nachbarsjunge hat gerade seinen x-ten Meltdown des Tages. Das Warum ist nicht klar auszumachen. Wahrscheinlich hat seine Mutter ihn gerade aufgefordert, zum Essen reinzukommen. Oder ihm verboten, mit dem Fußball auf die Fensterscheiben zu zielen. Ich ziehe jedenfalls vor beiden meinen Hut: Vor ihm aus Bewunderung für so viel Kreativität in Sachen Schimpfwortfindung – und für die Mutter, die es schafft, die Ruhe zu bewahren. Denn: Wenn Kinder beleidigend werden, ist das für Eltern meist alles andere als lustig. 

Irgendwann, meist nach dem dritten Geburtstag, trifft es wohl so ziemlich jede Familie: Die Zeit des Fluchens, Schimpfens und Beleidigens geht los. Kinder lernen, ihrer Wut oder Frustration mit Worten Luft zu machen – und sie erkennen, dass sie mit bestimmten Ausdrücken starke Reaktionen hervorrufen. Denn ganz ehrlich: Wem gelingt es schon immer, gelassen zu bleiben, wenn er gerade aufs Übelste bepöbelt wird – auch (oder besonders) wenn es vom eigenen Kind ist?

Gründe, warum Kinder beleidigend werden

Die deftigen Beleidigungen und Verwünschungen, die Kinder bisweilen ausstoßen, sind meist nicht zu sehr auf die Goldwaage zu legen. "Kinder schimpfen, schreien und beleidigen. Das ist vollkommen normal und ist kein Zeichen für eine 'schlechte' Erziehung. Sie greifen zu beleidigenden Ausdrücken oder Schimpfwörtern, um ihre Emotionen auszudrücken oder um endlich gehört zu werden", erklärt Susann Schmeißer, Familienberaterin und Coach für gewaltfreie Kommunikation. Dazu kommt, dass Kinder Verhalten und Person noch nicht trennen können. Die Familienberaterin erklärt die Problematik am Beispiel Medienkosum: "Das Kind schaltet nach mehrmaligem Ermahnen den Fernseher nicht aus. Die Eltern wissen: Das Verhalten des Kindes ist für sie gerade nicht in Ordnung, doch das Kind an sich ist natürlich vollkommen in Ordnung. Machen die Eltern den Fernseher aus, sind es 'doofe Eltern, eine blöde Mama und ein scheiß Papa'." Dahinter steckt oft das Bedürfnis nach Autonomie: "Eigentlich ist das Kind wütend, weil es gefragt werden wollte oder es alleine entscheiden möchte. Dieses Ohnmachtsgefühl macht Kinder sauer und das führt zu Beleidigungen. Sie können es schlichtweg noch nicht besser. Das dürfen sie von ihren Eltern lernen."

Bei Kindern ist die "Datenbank" an Wörtern, Erfahrungen und Redeweisen noch relativ klein. Sie haben daher nicht so viele Möglichkeiten, um ihre Gefühle mitzuteilen – und landen dann häufig bei dem intensivsten Ausdruck, den sie finden können. Auch wenn das für Eltern oft schwer zu ertragen ist, hilft es, sich bewusst zu machen, dass dies nicht bewusst geschieht. Die Bahnen des Gehirns, die für Logik zuständig sind, schalten sich schlichtweg vorübergehend ab, wenn große Emotionen im Spiel sind. 

Grenzen setzen, Alternativen aufzeigen

Auf die Verbal-Attacken reagieren Eltern am besten mit Verständnis. Eine erste Antwort könnte sein: "Das ist eine sehr starke Art, mir zu zeigen, dass du wütend/traurig/frustriert bist."

Wichtig ist, ruhig zu bleiben und dem Kind klarzumachen, dass beleidigende Wörter nicht akzeptabel sind. "Eltern sollten klare Grenzen setzten und liebevoll konsequent bleiben. In einer ruhigen Situation können sie ihrem Kind erklären, warum solche Ausdrücke verletzend sind und alternative Wege aufzeigen, um Gefühle auszudrücken. Zeigen Sie Ihre Freude, wenn Ihr Kind sich respektvoll verhält und ermutigen Sie es, Konflikte auf konstruktive Weise zu lösen", rät Susann Schmeißer.

Kinder profitieren davon, wenn Eltern ihnen durch Stimme, Körpersprache und Worte vermitteln: "Ich sehe, dass es dir nicht gut geht." Und zeigen: "Ich kann mit diesen großen Emotionen umgehen und ich kann dir dabei helfen, ebenfalls damit umzugehen."

Sind Kinder noch ganz klein, also zwischen ein und drei Jahren, ist es sinnvoll, die Beleidigung zu übersetzen. "Sie wissen oft gar nicht, was das bedeutet und was sie da in ihrem Gegenüber auslösen", erklärt Susann Schmeißer. Zudem ist es wichtig, eine Sprache vorzuleben, die sie sich für ihre Familie wünschen.

Ab dem vierten Lebensjahr dürfen Kinder lernen, dass bestimmte Begriffe beleidigend und nicht erwünscht sind. "Ein 'Das sagt man nicht!' reicht hier nicht aus. Kinder brauchen klare Grenzen und vor allem Alternativen. Die Wut ist ja da", weiß die Familienberaterin.

Für ein harmonisches Zusammenleben sind feste Regeln entscheidend. "Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Kind und sagen Sie ihm, dass sich ab heute etwas ändern wird und es zu Hause neue Regeln gibt", rät Susann Schmeißer. "Im Gegenzug darf es auch Regeln für Kinder geben, an die sich die Eltern halten. So leben Sie vor, dass es wichtig ist, die Regeln von anderen zu respektieren und auch die Grenzen zu achten."

3-Schritte-Plan, um Beleidigungen zu vermeiden

  • Ich-Botschaften: Aussagen, die mit "Du bist" anfangen werden näher betrachtet und in "Ich bin" Sätze umformuliert. (Statt: "Du bist doof." lieber: "Ich bin wütend, weil ich noch fernsehen will.")
  • Grenzen setzen: Auf jede Beleidigung folgt ein "Stopp! Das möchte ich nicht hören!" und das am besten mit einem Handzeichen. Dann übersetzen Eltern, was das Kind eigentlich ausdrücken möchte (z. B. "Du wolltest noch fernsehen und jetzt kommt Mama und sagt Nein. Das findest du jetzt richtig doof."
  • Nachfragen: Hat sich das Kind beruhigt und erlaubt vielleicht sogar etwas Nähe, sollten Eltern erneut das Gespräch suchen, z. B.: "Mir ist ein liebevoller Umgang wichtig. Dir auch? Möchtest du, dass ich lieb zu dir bin, auch wenn du wütend bist?" Dann können Alternativen angeboten werden: "Du kannst sagen, dass du wütend bist und es blöd findest, dass der TV aus ist. Wollen wir das mal zusammen üben? Oder kannst du wiederholen, was ich gerade gesagt hab?"

Hier gilt: Übung macht den Meister. "Das werden Eltern einige hundert Male machen dürfen, bis es Früchte trägt", weiß Susann Schmeißer.

Auf Beleidigungen reagieren: So besser nicht

Auch wenn es ein langer Weg ist, bis Kinder beleidigende Ausdrücke aus ihrem System kriegen, lohnt sich Geduld und Durchhaltevermögen. 

"Eltern reagieren oft kontraproduktiv, wenn Kinder beleidigend werden, indem sie die Situation entweder ignorieren, überreagieren oder selbst beleidigend reagieren", erklärt die Expertin. "Ignorieren kann dazu führen, dass das Kind denkt, sein Verhalten sei akzeptabel, oder es entstehen tiefe Verlustängste und sie passen sich an, was zur Überanpassung führen kann. Überreaktionen können die Situation eskalieren lassen und dem Kind Aufmerksamkeit für sein Verhalten geben. Wenn Eltern selbst beleidigend reagieren, senden sie ein widersprüchliches Signal an das Kind und zeigen ihm, dass solche Ausdrücke doch in Ordnung sind."

In manchen Situationen kann es sinnvoll sein, wenn sich Eltern selbst kritisch hinterfragen, ob sie ihrem Kind womöglich nicht aufmerksam genug zugehört haben. Oftmals beklagen wir uns darüber, dass unsere Kinder nicht auf uns hören, wenn wir etwas sagen – aber manchmal sind wir selbst nicht besser. Dadurch kann bei Kindern das Gefühl entstehen, dass sie die Aufmerksamkeit ihrer Eltern nur gewinnen, wenn sie dramatisch sind. Wenn Eltern also auch den leiseren Ausdrucksformen Beachtung schenken, lässt sich die ein oder andere Eskalation vermeiden.

Wie Eltern ihren Kindern helfen, ihre Gefühle herauszulassen

Susann Schmeißer rät Eltern zu drei Strategien, um konstruktiv mit kindlicher Wut umzugehen:

  • Vielen Eltern fehlt es an Gefühlsworten, die sie ihrem Kind anbieten können. "Gut" und "schlecht" sind zum Bespiel keine Gefühle. Drucken Sie sich im Internet eine Gefühlsuhr für Kinder aus oder basteln Sie selbst eine und fragen Sie im Laufe des Tages öfter, wie es ihnen gerade geht. Das funktioniert auch mit Bedürfnissen.
  • Überlegen Sie sich, wie Ihr Kind die Wut rauslassen darf. Darf es schreien, stampfen, rennen, in ein Kissen schlagen, in einen Rucksack schreien oder ein Strichmännchen malen und zerknüllen oder zerreißen? Was machen Sie, wenn Sie wütend sind?
  • Machen Sie gemeinsam Atemübungen mit Ihrem Kind, das reguliert das Nervensystem am schnellsten. Zum Beispiel die bekannte 4-7-8 Atmung (4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden halten und 8 Sekunden ausatmen). So werden wir zugänglich für neue Impulse.