Wichtiges vom Unwichtigen unterscheiden

Nicola Schmidt: "Wir dürfen uns eingestehen, dass sowieso nicht alles zu schaffen ist"

Wie begleiten wir unser Kind durch Streit, Trauer und beim Freunde finden? Ein Interview mit Bestsellerautorin Nicola Schmidt.

Eltern küssen ihr Baby in der Sonne. © Pexels/Nataliya Vaitkevich
Nicola Schmidt gibt Tipps, wie wir Kinder artgerecht begleiten.

Wir haben mit Artgerecht-Gründerin und Bestsellerautorin Nicola Schmidt über das weite Feld der Kindererziehung gesprochen und daraus wertvolle Erkenntnisse gezogen, die wir hier mit euch teilen möchten.

Wie Kinder mutig werden

Frau Schmidt, wie bringt man Kindern Mut, aber keinen Übermut bei? (Oder ist auch Übermut gar nicht so schlecht?)

Mut bringen wir Kindern vor allem bei, indem wir sie weder drängen, noch ausflippen, wenn sie Fehler machen. Sie lernen dann: Ich kann mutig sein, und wenn es schiefgeht, ist jemand da. Übermut heißt, ich gehe ein Risiko ein, das ich nicht einschätzen kann. Wir können unseren Kindern den Unterschied beibringen, indem wir die richtigen Fragen stellen: Was könnte passieren? Kannst du das absehen? 

Inwiefern setzen viele Eltern ihre Kinder noch zusätzlich unter Druck, wenn die Kinder wütend sind? Wie geht es anders?

Wir erklären, schimpfen oder weisen zurecht – das stresst das Kind zusätzlich. Besser ist es, sich erst einmal mit dem Kind zu verbinden, mitzufühlen, und erst Lösungen zu suchen, wenn sich die Situation beruhigt hat.

Warum bringt es nichts, im Streit lauter zu werden und ein "Nein" zu wiederholen? Was wäre eine Lösung?

Ein gestresstes Kind weiter zu stressen wird nur dazu führen, dass sein ohnehin aufgeregtes Gehirn für uns noch schlechter zu erreichen ist. Stattdessen verbinden wir uns mit unserem Kind – oder auch mit anderen Menschen, indem wir sagen: Ich höre dich. Ich verstehe, dass du es so siehst. Ich bin trotzdem nicht deiner Meinung. Lass uns eine Lösung finden.

Mit Waffen spielt man nicht – oder doch?

Was halten Sie davon, wenn Kinder mit Spielzeugwaffen spielen?

Eltern fürchten oft, dass Kinder durch Spielzeugwaffen aggressiv werden. Das ist laut Forschung nicht der Fall. Ja, es ist richtig: gestresste Kinder spielen aggressiver mit Spielzeugwaffen – das ist aber die Ausdrucksform, niemals die Ursache der Aggression. Kinder dürfen mit imaginären oder Spielzeugpistolen und Pfeil und Bogen spielen, ohne dass wir uns sofort Sorgen machen müssen.

Wie gehen Eltern am besten damit um, wenn Schulkinder immer sofort ihr gesamtes Taschengeld ausgeben?

Wir akzeptieren es erst einmal – über das Taschengeld entscheidet das Kind selbst. Aber wir können ein Gespräch führen, und fragen: Wie ist das für dich, dass du Anfang des Monats alles ausgibst und dann den Rest des Monats nichts mehr hast – vielleicht ist es für das Kind ja total okay. Falls nicht: Was brauchst du, wie könnten wir das besser einteilen?

Was tun, wenn das eigene Kind keine Freunde findet?

Als Erstes dürfen wir immer durchatmen und auch hier klären, ob es überhaupt ein Problem gibt. Manche Kinder sind glücklich mit einem oder zwei Freunden, dann müssen wir nichts machen. Wenn das Kind sich mehr Freunde wünscht, dann können wir üben, wie man Kontakte knüpft und hält. Das fängt damit an, dass die meisten Kinder viel von sich erzählen und wenig fragen – wir bringen ihnen also als Erstes bei, die richtigen Fragen zu stellen.

Kinder trauern lassen

Wie unterstützen Eltern ihre Kinder im Trauerfall darin, handlungsfähig zu bleiben?

Kinder gehen je nach Alter ganz unterschiedlich mit dem Thema Tod um. Dreijährige fragen nach der Beerdigung, wann denn Opa jetzt wieder zu Besuch kommen wird. Vierjährige stellen tausend Fragen. Schulkinder sorgen sich, dass noch jemand sterben könnte, und Teenager ziehen sich zurück.
Alle Kinder, die sprechen können, brauchen eine klare Information: "Opa ist gestorben, er kommt nicht wieder." Wir sind authentisch: "Ich fühle mich so …", und wir begleiten die Trauer, statt sie zu beseitigen. Statt zu sagen, "Jetzt essen wir erst mal" oder "Denken wir an etwas anderes", können wir einfach da sein und respektieren, wie das Kind trauert: Mit Wut oder Weinen, mit Rückzug oder dem Wunsch, unbedingt die Beerdigung zu sehen – das ist alles okay.

Warum sollten wir nach dem Tod einer nahestehenden Person nicht zu unseren Kindern sagen: "Ich weiß, wie du dich fühlst"?

Weil wir es nicht wissen. Jeder Mensch trauert anders. Gut ist es, wenn Kinder ein Trauerritual haben: eine Kerze anzünden, etwas singen, gute Wünsche mitgeben.

Was möchten Sie Eltern noch mitgeben?

All diese tollen Tipps klappen nur, wenn wir die Energie haben, auf unsere Kinder einzugehen. Wir dürfen lernen, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, unsere hohen Ansprüche an uns selbst kritisch zu überprüfen und uns einzugestehen, dass sowieso nicht alles zu schaffen ist. Das müssen wir auch nicht! Wir ziehen Kinder groß – und das machen wir richtig gut.

Unsere Expertin
Nicola Schmidt

Nicola Schmidt ist Wissenschaftsjournalistin, Bestsellerautorin in Erziehungsthemen und Gründerin von "artgerecht". 
Foto: Emmanuel Avargues Diptica

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