"Dass Kelly lebt, ist unser größtes Glück"

Meningokokken-Meningitis: Eine betroffene Mutter berichtet

Manchmal, wenn Tamara ihrer Tochter Kelly (3) beim Spielen zuschaut, muss sie die Tränen unterdrücken und kann ihr Glück kaum fassen. Denn sie weiß, es hätte auch anders kommen können: Als Kelly ein halbes Jahr alt war, erlitt das Mädchen eine lebensgefährliche Meningokokken-Meningitis

Die kleine Kelly ist ganz normal entwickelt, bisher zeigen sich keinerlei Spätfolgen ihrer Meningokokken-Meningitis.© Foto: Mareike Klindworth
Die kleine Kelly ist ganz normal entwickelt, bisher zeigen sich keinerlei Spätfolgen ihrer Meningokokken-Meningitis.

Als Kelly im Februar 2018 Fieber bekommt, denkt Mama Tamara Leippert (30) zunächst an einen grippalen Infekt. Es ist kalt draußen und mitten in der Erkältungszeit. Weil ihr sechs Monate altes Baby sich auch noch erbricht, will Tamara lieber mit der Kinderärztin abklären, was Kelly fehlt. "Ich bin keine, die beim ersten Schnupfen direkt zum Arzt rennt", sagt sie. "Aber als Mutter merkt man ja häufig, wenn etwas mit dem eigenen Kind nicht stimmt."

Tückisch: Die Symptome einer Meningokokken-Infektion

Die Kinderärztin checkt Kelly durch, wirft das Stichwort "Meningitis" in den Raum. Gegen den Erreger, Meningokokken, ist Kelly noch nicht geimpft. Doch ihre Symptome sind unspezifisch, deuten nicht eindeutig auf eine Meningokokken-Infektion hin. Mit der Bitte, das Mädchen genau zu beobachten und sich zu melden, falls sein Zustand sich verändert, schickt sie Tamara und ihre Tochter nach Hause.

In den nächsten Stunden legt sich die Aufregung etwas, Kelly spielt im Laufstall mit ihrer großen Schwester Amy (damals 3), quiekt und lacht. Abends muss sie sich wieder übergeben und weint, doch sie lässt sich auch immer wieder beruhigen. "Meine Große hat das auch manchmal, dass sie eine hohe Temperatur hat, spuckt – und am nächsten Morgen ist es so, als wäre nichts gewesen. Von 'Meningitis' hatte ich zwar mal gehört, konnte damit aber nicht wirklich etwas anfangen, also machte ich mir keine weiteren Gedanken darüber", sagt Tamara. Gegoogelt habe sie den Begriff zu diesem Zeitpunkt bewusst nicht, denn: "Im Internet findet man in solchen Fällen ja oft diverse Horror-Storys." Zudem ist auch die Kinderärztin mittags beruhigt, als sie Kelly bei einem Telefonat mit Tamara munter im Hintergrund spielen hört.

Die Diagnose: Meningokokken-Meningitis

Am nächsten Morgen der Schockmoment. Kelly ist unruhig, weint und schreit – dann bemerkt Tamara auf dem Wickeltisch, dass die Kleine ihren Kopf überstreckt, sieht auf Kellys Bauch rote Punkte. "Sie war gar nicht mehr bei mir, guckte nur ins Leere, nahm mich gar nicht mehr richtig wahr." In der Kinderarztpraxis ist noch keine Sprechstunde, doch Tamara setzt sich sofort mit ihrer Tochter ins Auto. Heute ist sie unendlich dankbar für diese Entscheidung. "Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich noch eine Stunde gewartet hätte." Die Kinderärztin ist alarmiert, als sie Kelly sieht, schickt die Familie sofort ins Krankenhaus. Zehn Minuten brauchen Tamara und Kelly.

Die Ärzte in der Notaufnahme warten bereits. Kellys Kinderärztin hat sie vorgewarnt. Sie checken das kleine Mädchen sofort im Behandlungsraum durch. Dann schicken sie Tamara aus dem Zimmer: Ihrer Tochter soll Hirnwasser entnommen werden. Die Ärzte sagen Tamara, das sei kein Anblick, den sie Eltern zumuten wollen. "Das Schlimmste war, als die Ärzte die Tür vor mir zugemacht haben, ich wusste nicht, was da drinnen passiert. Und ich habe gehört, dass Kelly geschrien und geschrien und geschrien hat. Und du stehst draußen und kannst nichts machen. Ich musste mein Kind bei all den fremden Leuten lassen und konnte ihm nicht helfen."

Von den Ärzten erfährt Tamara, dass das Hirnwasser bereits dickflüssig und voller Eiter ist. Aus dem Labor wird die Diagnose "Meningitis", ausgelöst durch Meningokokken-B-Bakterien, bestätigt. Sofort bekommt Kelly Antibiotika und Kortison, wird mit ihrer Mutter in einem Einzelzimmer auf der Kinderkrankenstation isoliert. Glücklicherweise schlagen die Medikamente schnell an. Auch die große Schwester und ihr Vater Frank bekommen vorsorglich Antibiotika. Dem Gesundheitsamt muss Tamara Auskunft über die Kontaktpersonen der letzten zehn Tage geben. Alle bekommen eine einmalige Dosis.

Meningokokken-Erkrankung: Eine gemeinsame Erfahrung verbindet

Die Folgen einer Infektion

Jetzt erkundigt sich Tamara, was genau eine Meningokokken-Meningitis ist. "Im Krankenhaus hieß es immer nur, mein Kind ist schwer krank. Mir ist aber erst später bewusst geworden, wie schlimm die Krankheit wirklich sein kann. Auch im Austausch mit anderen betroffenen Eltern", erzählt Tamara. "Erst da habe ich erfahren, was die Meningitis alles anrichten kann. Wie viele Eltern ihre Kinder daran verloren haben. Selbst im Jugendalter. Dass manche Kinder ins Bett gehen, am nächsten Morgen nicht mehr aufwachen. Im Vorfeld denkt man sich eben immer: 'Warum mein Kind? Warum sollte es gerade uns erwischen?'"

Am dritten Tag auf der Kinderstation fängt Kelly wieder an zu lachen und zu essen. Auch wenn sie anfangs motorische Probleme hat, sich nicht mehr dreht, scheint sie keine schwerwiegenden Folgeschäden zu haben. "Ich hab es am Gesicht und an ihren Augen gesehen, dass sie vom Kopf her nicht anders ist als vorher." Später fällt Kelly das Sitzen etwas schwer, sie lernt erst mit 16 Monaten laufen, aber eine Physiotherapie hilft ihr. Möglich wäre, dass Kelly später in der Schule Lernschwierigkeiten haben wird, doch bisher macht sie einen fitten und fröhlichen Eindruck, wie die meisten Kinder in ihrem Alter. "Das kommt nur selten vor", sagt Tamara. Bei jedem fünften Erkrankten kann es zu Spätfolgen wie Vernarbungen oder Amputationen kommen. Taubheit und Entwicklungsstörungen sind selbst bei rechtzeitiger und richtiger Behandlung häufige Folgen einer Meningokokken-Meningitis.

© Foto: Mareike Klindworth
Dankbar: Tamara ist unendlich froh, dass das Schicksal es trotz Meningokokken-Meningitis gut mit ihrer Tochter meinte.

"Abschließen kann man damit nie"

Auch heute, drei Jahre nach der Erkrankung, fällt es Tamara schwer, über die Zeit zu sprechen. "Ich bin so wahnsinnig dankbar, dass die Kinderärztin damals so schnell reagiert hat. Und auch die Ärzte im Krankenhaus. Abschließen kann man damit nie, das wird immer ein Teil von uns sein, wir sprechen heute immer noch viel darüber. Was hätte passieren können. Wenn mein Mann und ich Kelly angucken, wie sie mit ihrer Schwester spielt, kann man nur sagen: 'Gott sei dank, ist da nicht mehr passiert.' Es ist einfach unser größtes Glück, dass sie lebt."

Jährlich gibt es knapp 300 Meningokokken-Fälle in Deutschland. Mehr als 40 Prozent der Erkrankungen treten bei Säuglingen und Kleinkindern unter fünf Jahren auf. In einem Drittel aller Fälle kann eine Meningokokken-Erkrankung zu einer Sepsis – einer innerhalb von Stunden lebensbedrohlichen Blutvergiftung – führen.

Tamara möchte zur Aufklärung über Meningitis beitragen. "Damit andere Eltern sensibler und hellhöriger für die Krankheit werden. Vielleicht genau von einer Mama, die nie gedacht hätte, dass es ihre Familie trifft."

Drei mögliche Impfungen gegen Meningokokken

Für einen umfassenden Schutz gegen Meningokokken-Erkrankungen gibt es mehrere Impfungen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt aktuell die Meningokokken-C-Impfung für alle Kinder im Alter von zwölf Monaten. Des Weiteren stehen in Deutschland zwei zusätzlich mögliche Impfungen zur Verfügung: gegen Gruppe B sowie gegen die Gruppen A, C, W und Y in Kombination.

Eltern sollten ihren Kinder- und Jugendarzt frühzeitig auf die unterschiedlichen Meningokokken-Impfungen ansprechen.
Weitere Infos unter meningitis-bewegt.de.

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