
"Jetzt setz dich doch mal gerade hin!" - Hand hoch, wer diesen Spruch früher nie zu hören bekommen und dabei innerlich die Augen verdreht hat. Hängende Schultern und ein krummer Rücken scheinen Eltern seit jeher ein Dorn im Auge zu sein. Der Gedanke dahinter ist ja auch erst mal löblich: Wer will schließlich schon einen Haltungsschaden?
Aber: Hat es wirklich negative Auswirkungen, wenn Kinder ständig zusammengesunken herumhängen?
Wer in Kindheit und Jugend unendlich genervt war von den ewigen Ermahnungen, doch bitte endlich mal gerade zu stehen, bekommt jetzt späte Genugtuung: Wissenschaftlich gesehen ist nicht bewiesen, dass eine aufrechte Haltung Rückenschmerzen im späteren Leben verhindert.
"Es gibt, wenn überhaupt, nur sehr wenige Belege dafür, dass eine gute Körperhaltung entweder die aktuellen Schmerzen lindert oder künftigen Schmerzen vorbeugt", erklärt Dr. Mark Queralt, medizinischer Direktor des Musculoskeletal Institute an der University of Texas. Eine aktuelle Studie ergab sogar: Eine zusammengesunkene Haltung bei Teenagern kann zu weniger Nackenschmerzen im jungen Erwachsenenalter führen.
Allerdings heißt das nicht, dass Eltern völlig im Unrecht sind, wenn sie ihre Kinder zum Aufrechtstehen auffordern. Eine weitere Studie fand nämlich heraus, dass eine krumme Haltung die Wirbelsäule brüchiger und anfälliger für Verletzungen machen kann. Eine gute Haltung vermeidet zwar nicht unbedingt Rückenschmerzen im späteren Leben, aber eine starke Wirbelsäule lindert die Beschwerden.
Nackenschmerzen durchs Aufs-Handy-Schauen
Aber was ist überhaupt eine korrekte Haltung? Wirbelsäulenchirurgen sagen: Der Kopf sollte sich mittig über dem Becken und den Füßen befindet. Nacken und Kopf sollten weder nach vorne noch nach hinten hängen, sondern zusammen mit Becken und Füßen eine Linie bilden. Bei einer krummen Haltung ist mehr Muskelkraft erforderlich, weil das Körpergewicht ungleichmäßig verteilt ist.
Schließlich wiegt ein ausgewachsener Kopf etwa sechs Kilo. Für jeden Zentimeter, den der Kopf nach vorne neigt, verdoppelt sich das Gewicht, das der Nacken tragen muss. Daher kommt es bei Menschen, die viel auf ihr Smartphone schauen, oftmals zum sogenannten "Handy-Nacken". Die gebeugte Haltung tut der Nackenmuskulatur auf Dauer nicht gut.
Training wichtiger als geradestehen
Anstatt ständig darauf zu achten, gerade zu stehen, ist es wichtiger, relevante Muskelgruppen zu trainieren. Dadurch kann die Wirbelsäule besser gestützt werden und wir stehen automatisch gerader, ohne verbissen darauf zu achten. Dafür sind zum einen die Muskeln vom Nacken bis zum unteren Rücken entscheidend, und zum anderen der Rumpf, der den Rücken zusätzlich stützt. Yoga, Pilates, Crunches oder Planks sind beispielsweise gut geeignet, um diese Muskelgruppen zu trainieren. Es hat bereits einen spürbaren Effekt, wenn kurze Übungen über den Tag verteilt in den Alltag integriert werden.
Denn: Wenn wir stundenlang in derselben statischen Position verharrt – beispielsweise bei der Arbeit – spielt es keine Rolle, ob wir dabei aufrecht oder zusammengesunken sitzen. Wer acht Stunden am Laptop sitzt, wird so oder so steif. Daher sind regelmäßige Bewegungspausen wichtig. Auch ein höhenverstellbarer Schreibtisch ist sinnvoll.
Das Fazit lautet also: Eine starke Rückenmuskulatur hat unumstrittene Vorteile. Doch der Druck, den Eltern ausüben, damit ihre Kinder geradestehen, ist in vielen Fällen übertrieben. Und: Wer zu Schulzeiten einen krummen Rücken hat, wird ihn zwangsläufig für den Rest seines Lebens behalten. Fitness und Bewegung helfen dabei, die Belastungen, denen die Wirbelsäule ausgesetzt ist, zu verringern.